Los Angeles. Es mag viele Gründe geben, nach Los Angeles zu reisen. Die Verkehrssituation und die sichtbare soziale Kluft gehören gewiss nicht dazu, eher die Filmstudios in Hollywood oder eine Autofahrt auf dem Mulholland Drive durch die Santa-Monica-Mountains. Dieser kurvenreichen Panoramastraße mit den gerade nachts beeindruckenden Ausblicken auf Los Angeles widmete der jüngst verstorbene Regisseur David Lynch 2001 seinen gleichnamigen Film über die Filmbranche.
Vor allem aber ist auch aus kurpfälzischer Sicht ein Besuch im Getty-Center naheliegend. Dort finden sich Kunstwerke aus der Zeit des Mittelalters und der Renaissance - Altäre, Statuen - bis zur Moderne. Mit Schwerpunkten auf der italienischen Klassik - Skulpturen und Gemälde -, auf den Jahren 1600 bis 1800 in Frankreich - Malerei und dekorative Arbeiten -, und nicht zuletzt auf Skulpturen und Malerei von 1700 bis in die Neuzeit. Zu den Höhepunkten der in vier Kubusbauten untergebrachten Sammlungen zählen Arbeiten von Paul Cézanne, Edgar Degas, James Ensor, Vincent van Gogh, Francisco de Goya, Edouard Manet, Claude Monet. Wechselausstellungen sowie Räume zu Fotografie kommen hinzu.
Gemälde zeigt Prinz Karl Ludwig von der Pfalz mit seinem Lehrer Volrad von Plessen
Ein erster Besuch verschafft den Überblick über die Sammlungen, beim zweiten Besuch lassen sich dann ausgesuchte Punkte ansteuern. Einen Charakterkopf von Franz Xaver Messerschmidt etwa, eine Zeichnung von Rembrandt van Rijn, Plastiken von Auguste Rodin und Camille Claudel, Gemälde von Paul Gauguin, Edvard Munch, Max Liebermann oder Giovanni Segantini, oder aber Porträts von Théodore Géricault, eine Bronzebüste von Herbert Ward.
Museum der Superlative
Das Getty-Center im Stadtteil Brentwood von Los Angeles - nicht zu verwechseln mit der Getty-Villa im Stadtteil Pacific Palisades - wurde von dem Architekten Richard Meier entworfen und Ende der 1990er Jahre fertiggestellt. Es versammelt in mehreren kubischen Gebäuden rund 50.000 Kunstwerke aus der Sammlung des Milliardärs J. Paul Getty.
Getty macht sein Vermögen mit Öl aus Saudi-Arabien . Der fünf Mal verheiratete Getty galt als sehr eigenwillige Persönlichkeit. Als 1973 sein 16-jähriger Enkel John Paul Getty III. entführt wurde - dem die Entführer ein Ohr abschnitten -, verlangte er von seinem Enkel nach dessen Freilassung die Rückzahlung eines Tells des Lösegeldes - samt Zinsen.
Neben den Kunstwerken sind auf dem Gelände ein Forschungszentrum , die Verwaltung der Getty-Stiftung, ein Fortbildungsinstitut, ein Restaurierungszentrum sowie eine Bibliothek untergebracht. Auch die Gartenlandschaft um den Museumskomplex ist bemerkenswert.
Der Eintritt ins Museum ist kostenlos , das Parkhaus, von dem ein Shuttle zum Center führt, kostenpflichtig.
Und eben das Gemälde „Prinz Karl Ludwig von der Pfalz mit seinem Lehrer Volrad von Plessen in historischer Tracht“, 104,5 mal 97,5 Zentimeter groß. 1631 gemalt von Jan Lievens (1607-1674) aus Leiden. Mit acht Jahren war dieser zu Pieter Lastman in Amsterdam in die Lehre geschickt worden und begann mit zwölf Jahren seine Karriere als unabhängiger Künstler. Mitte der 1620er Jahre war Lievens eng befreundet mit Rembrandt van Rijn, mit dem er Gemälde gemeinsam gestaltete. Zwischen 1632 und 1644 lebte Lievens in England und Antwerpen, und als er 1644 nach Holland zurückkehrte, war er sehr gefragt.
Bild war einst im Besitz von Elizabeth Stuart
Zum Gemälde: Bis 1662 war es im Besitz von Elizabeth Stuart (1596-1662), Gattin von Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, die nach dem Ende ihrer kurzen Regentschaft in Böhmen als „Winterkönigin“ und „Winterkönig“ tituliert Zuflucht in den Niederlanden gesucht hatten. Nach Elizabeths Tod erhielt Earl William Craven das Gemälde, und es blieb bis 1968 im Besitz der Craven-Familie. Nach 306 Jahren verkaufte diese es an eine New Yorker Galerie, die es drei Jahre später an das J. Paul Getty Museum veräußerte.
Was zeigt dieses Bild? Zu sehen ist der kleine Karl Ludwig (1617-1680), der älteste Sohn von Friedrich V. und Elizabeth Stuart, der seine Kindheit im niederländischen Exil verbrachte. Er ist es, der nach dem Westfälischen Frieden die Kurpfalz in verkleinerter Form - also ohne Oberpfalz -, dafür aber mit Kurfürstenwürde zurückerhalten und der Stadt Mannheim zu einem beachtlichen Aufschwung verhelfen sollte. Berühmtestes seiner Kinder: Liselotte von der Pfalz.
Lievens stellt ihn und dessen Lehrer in der Pose eines antiken Herrschers dar, der - ähnlich wie Alexander der Große durch Aristoteles - von einem Gelehrten, nämlich Volrad von Plessen, Geheimrat und Staatsminister der Kurpfalz, unterrichtet wird. Bemerkenswert sind der goldfarbene Mantel Karl Ludwigs, der nicht nur materiellen Reichtum andeutet, sondern in Verbund mit dem dicken Lehrbuch auch Wissensreichtum.
Ähnlichkeiten mit einem Gemälde aus der Rembrandt-Werkstatt
Aber noch etwas ist interessant, denn kurz zuvor, 1629 oder 1630, entstand in Rembrandts Werkstatt ein verblüffend ähnliches Gemälde, „Ein junger Schüler und sein Lehrer“. Dort unterweist ein älterer Mann einen Jungen, der ein prächtiges orientalisches Kostüm trägt. Auch diese Figuren sind als historische Persönlichkeiten dargestellt, möglicherweise als der junge Prophet Samuel mit seinem Lehrer Eli. Auch dieses Gemälde stammt aus dem Besitz von Elizabeth Stuart und kam über die Familie Craven und die New Yorker Galerie H. Shickman ans Getty-Museum, 1984 war das.
So vermag ein einziges Gemälde aus der Sammlung J. Paul Getty viele Geschichten zu erzählen, noch gar nicht erwähnt der Einsatz von Licht und Farbe. Das zeigt, wie viel Geschichte in diesem Museumskomplex mit seinen rund 50.000 Kunstwerken versammelt ist - und dafür ist Los Angeles eine Reise wert.
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