Mannheim. Die Premiere beginnt mit einer kleinen, munteren Umfrage im Publikum: Wer spricht mehr als zwei Sprachen? Als drei, vier oder fünf? Und wer mischt gerne Sprachen? Wenig später wird die Bühnenwand im Saal des Jungen Nationaltheaters Mannheim (JNTM) mit Wörtern übersät sein, mit türkischen, koreanischen, (schweitzer)deutschen und nicht zuletzt: monnemerischen.
Mit Ausdrücken wie „Tüh be!“ (in etwa: „Verflixt!“, wie es einem entfährt, wenn man knapp den Zug verpasst hat), „Dibbelschisser“ (um einen allzu pedantisch veranlagten Kurpfälzer zu adressieren), „herzig“ (für schweizerische, durch Possierlichkeit hervorgerufene Entzückung) oder „Jeong“ (wenn es um eine innige Verbindung zu Menschen, Dingen und Orten geht, die über die Zeit wächst).
All diese Begriffe werden von den Schauspielerinnen Soyi Cho und Hanna Valentina Röhrich sowie Darsteller und Musiker Ögünç Kardelen so launig wie persönlich eingefärbt erläutert. „Es gibt Tausende Sprachen / Millionen von Worten“, singen die Drei alsbald und begleiten sich dazu auf der Gitarre und zwei Geigen.
„Mutter dili – alle Farben meiner Sprachen“ („dili“ bedeutet im Türkischen „Sprache“) heißt die Uraufführung des Stücks, in dem das JNTM das „sprachliche Dazwischen-sein“ seines Ensembles, der Jungen X Bühne und der Stadt Mannheim gesucht und in der Regie von Tanju Girişken mithin „ein Stück über Sprache, Identität und Zugehörigkeit gebaut“ habe, wie es im Programm heißt.
Man darf sich dabei an die Mannheimer Dalbergstraße erinnert fühlen
Die von Lisa Chiara Kohler (auch: Kostüme und Illustrationen) eingerichtete Bühne verwandelt den Theatersaal hierbei in so sinnfälliger wie visuell ansprechender Weise in eine Haltestelle - also gleichsam in einen Transitraum, einen Ort der Bewegung und Begegnungen. Man darf sich dabei an die Mannheimer Dalbergstraße erinnert fühlen, den einzigen unterirdischen Straßenbahn-Stopp der Stadt, in der übrigens, wie Röhrich anmerkt, mehr als 170 Nationen beheimatet sind.
Auf die orange gekachelte Wand werden die schon erwähnten Wörter projiziert, doch ebenso auch bildhafte Darstellungen, mit denen das glänzende Ensemble interagiert. Interaktiv ist auch die Spielform des ab 14 Jahren empfohlenen Stücks, in dem es obendrein sehr musikalisch zugeht und Kardelen unter anderem mit einem Song daran erinnert, wie er 2014 mit seiner Band beim Kölner Birlikte-Festival gegen rechte Gewalt auftrat.
Fünf weitere Vorstellungen allein im November
In drei Kapitel stellt das Trio seine Lebenswege vor – Cho und Kardelen, die ihre Heimat (Südkorea/Türkei) einst verlassen und eine neue samt dazugehöriger Sprache gefunden haben, und Röhrich, die lange in einem anderen Land (der Schweiz) lebte. In Toneinspielungen berichten daneben junge Leute von ihren Erfahrungen und Prägungen, zweisprachig aufgewachsen zu sein. „Mutter dili“ ist ein lebensvolles, aufschlussreiches und warmherziges Stück, das den Wert von Sprachvielfalt und den kulturellen Reichtum eines Idioms hell aufleuchten lässt. Und das einen nebenbei daran erinnert, wie viel aufregenden Spaß es bereitet, eine neue Sprache kennen und sprechen zu lernen, daran, dass sich das immer anfühlt, wie eine neue Welt zu betreten.
Nächste Vorstellungen am 4., 5., 26., 27. und 28. November. Karten unter www.nationaltheater-mannheim.de, Tel. 0621/1680302.
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