Mannheim. Dieser Abend hat durch die jüngsten Entwicklungen an Aktualität hinzugewonnen. Vor einigen Wochen kündigte US-Präsident Donald Trump an, illegal eingereiste Migranten im Gefängnis Guantánamo auf Kuba inhaftieren zu wollen. Ein Lager für bis zu 30.000 „Abschiebehäftlinge“ soll entstehen, um „die schlimmsten kriminellen illegalen Ausländer zu internieren, die die Amerikaner bedrohen“ so Trump.
Doch, und das wird am Donnerstagabend in der Mannheimer Alten Feuerwache deutlich, auch ohne diese Entwicklungen sind die Gefangenenlager auf Guantánamo und die damit verbundenen Gräueltaten noch lange keine dunkle amerikanische Vergangenheit. Nachdem das Lager nach den Anschlägen vom 11. September 2001 errichtet wurde und dort zwischenzeitlich fast 800 Menschen inhaftiert waren, leben auch aktuell noch 15 Menschen in Guantánamo – einige davon bis heute ohne Anklage.
Sebastian Köthe bei Lesen.Hören in Mannheim: Geschichte in Guantánamo wiederholt sich
Dass Trump dieses Gefangenenlager „wiederbeleben“ möchte, „ist eine Katastrophe“, sagt Sebastian Köthe auf der Bühne der Alten Feuerwache. Es bedeute, dass sich Geschichte wiederhole, erklärt er. Gemeinsam mit Literaturkritikerin Insa Wilke spricht er beim Mannheimer Literaturfest Lesen.Hören über Kunst aus dem Gefangenenlager Guantánamo.
Der Kulturwissenschaftler, der in seiner Forschungsarbeit „Guantánamo bezeugen“ die Geschichte von Widerstand und Folter im Gefangenenlager anhand der Zeugnisse der Gefangenen dokumentiert, betont dabei immer wieder, welche menschenverachtenden Zustände in Guantánamo herrschten und herrschen - und wie wichtig es sei, das Lager endlich zu schließen.
Bestärkt werden Köthes Ausführungen über die grausamen Umstände in Guantánamo an diesem Abend auch durch Gedichte und Briefe ehemaliger Gefangener – gefühlvoll vorgetragen von Birgitta Assheuer. Das „Todesgedicht“ – eine Suizidnote eines ehemaligen Gefangenen, der zwischen 2002 und 2008 zahlreiche Suizidversuche unternommen hatte – verdeutlicht beispielsweise den grausamen Umgang mit den Häftlingen im Gefangenenlager. Durch ständige Überwachung wurden ihnen laut Köthe neben der Freiheit auch die Entscheidung zum Tod genommen – eine weitere „Art der Folter“, wie der Kulturwissenschaftler ausführt.
Briefe bei Lesen.Hören in Mannheim bezeugen das Leben der Häftlinge in Guantánamo
Neben Gedichten und gemalten Bildern nehmen vor allem Briefe von Mansoor Adayfi an diesem Abend Raum ein. Der im Jemen geborene Autor wurde im Alter von 19 Jahren nach Guantánamo verschleppt und dort 14 Jahre gefangen gehalten, gefoltert und nie eines Verbrechens angeklagt.
Mit wem Menschen sprechen, wenn sie eigentlich mit niemandem sprechen können, verdeutlichen Adayfis Briefe, erklärt Köthe. So wendet sich der Jemenit in seinen Schreiben an „Instanzen, die nie zurückschreiben“: an Außerirdische, an Herr oder Frau Google - oder an einen Leguan, den Adayfi während seiner Zeit in Guantánamo kennengelernt und auf den Namen „Prinzessin“ getauft hatte.
Die Briefe bezeugen, was es heißt, abgeschottet von der Welt in grausamsten Bedingungen leben zu müssen. Adayfis Brief an die Außerirdischen spiegelt beispielsweise seine Sehnsucht nach der Freiheit und seinen Ärger über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit wider. Weitere Briefe, die kurz vor seiner Entlassung ins Exil bzw. im Exil entstanden sind, konterkarieren diese Sehnsucht und thematisieren die Angst vor der nun fremden Welt. Es sind bemerkenswerte Briefe, die an diesem Abend zum Nachdenken anregen.
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