Das Wichtigste in Kürze
- Die Komödie "Achtsam morden" hatte Premiere in Heidelberg.
- Anwalt Björn Diemel versucht, seine Work-Life-Balance zu finden.
- Die Inszenierung bietet schwarzhumorige Unterhaltung mit dynamischem Bühnenbild.
Heidelberg. Eine geradezu inszeniert anmutende malerische Abendidylle herrscht hier oben, bei den Heidelberger Schlossfestspielen im Dicken Turm, wo die Sonne sich gerade anschickt, gänzlich entschleunigt hinter dem Heiligenberg zu versinken. Jählings heult da ein schneidend-schnaubender Motorenlärm auf, und schon stiebt ein diebischer, krächzender Rabenvogel über die Turmbühne, verfolgt von einem Mann, der ein mutmaßlich blutverspritztes Regencape und eine Taucherbrille trägt - und eine Kettensäge in den Händen hält. In den kommenden, atemlosen eineinhalb Stunden werden an diesem Ort keine Ruhe und Entspannung mehr zu finden sein – allen Achtsamkeitsanstrengungen zum diametralen Trotz, die der Mann mit der Kettensäge, der Anwalt Björn Diemel, unternimmt. Oder eben: gerade deswegen.
Zum Stück
- Der erste Teil von Karsten Dusses Buchreihe „Achtsam morden“ erschien 2019. Bis 2024 wurden vier weitere Romane veröffentlicht.
- Bernd Schmidts Bühnenfassung der Krimikomödie wurde 2022 am Kammertheater Karlsruhe uraufgeführt.
- Die Schlossfestspiele des Theaters und Orchesters Heidelberg finden noch bis zum 3. August statt.
- Zuletzt waren sämtliche „Achtsam morden“-Vorstellungen bis einschließlich 29. Juli ausverkauft . „Restkarten eventuell an der Abendkasse“, teilt das Theater für die jeweiligen Aufführungen im Dicken Turm mit. Infos gibt es online unter www.theaterheidelberg.de.
Den populären Titel „Achtsam morden“ trägt die Kriminalkomödie, die Intendant Holger Schultze für die Schlossfestspiele des Theater und Orchesters Heidelberg inszeniert. Zugrunde liegt ihr der gleichnamige Bestseller von Autor Karsten Dusse, aus dem eine Romanreihe mit mittlerweile fünf Bänden sowie unlängst eine Netflix-Serie hervorgegangen sind. Die Handlung hastig skizziert: Björn Diemel, Anwalt des Gangsterbosses Dragan, wird von seiner Gattin angehalten, seine Work-Life-Balance doch bitte ins rechte Maß zu bringen, andernfalls droht die Trennung von ihr und der gemeinsamen kleinen Tochter Emily. Achtsamkeits-Coach Joschka Breitner gibt dem chronisch gestressten Juristen daraufhin zwar Klangschalen-gestützte (Kalender-)Weisheiten mit auf den Weg („Ich muss nicht tun, was ich nicht tun will“), die dessen Leben radikal verändern.
Ein mörderisches Wochenende voller schwarzem Humor
Was allerdings auch dazu führt, einen Wochenendausflug mit Emily darin gipfeln zu lassen, dass der wegen einer Bluttat zum Untertauchen genötigte und in Diemels Kofferraum verfrachtete Dragan den Hitzetod erleidet - während die beiden anderen munter am See verweilen. Womit wir bei der Leichenbeseitigung und zurück bei der Kettensägen-Szene vom Anfang wären, wo erwähnter Vogel einen Ring-geschmückten Finger des Verblichenen stibitzt, der dann wiederum unvorteilhafter Weise in die Hände der Polizei gelangen wird. Diemel, der Dragans Tod verheimlicht und an seiner Stelle statt der Bande chiffrierte Anweisungen erteilt (via „Killt“-Zeitung) muss bald gehörige Geschicklichkeit an den Tag legen, um die Syndikatsverwaltung und das eigene Glücksstreben in Einklang zu bringen.
Schultze inszeniert diese schwarzhumorige Krimi-Satire, in der die Ich-zentrierte Seelenpflege bald eine blutige Schneise durch die Außenwelt zieht, in der von Bernd Schmidt für die Bühne bearbeiteten Fassung als Dreipersonenstück. Während Friedrich Witte dabei ausschließlich der Anwaltsrolle und mithin auch der des Erzählers verhaftet bleibt, spielen sich Martin Wißner und Anna Schönberg in nachgerade schwindelerregender Manier durch ein Figurenkabinett von 20 Charakteren - Mensch wie Vogel.
Ein Bühnenbild voller Dynamik und Innovation
Rasches Auf- und Abtreten sowie Requisitenwechsel werden durch die (gleichfalls von Schultze eingerichtete) Bühne effizient unterstützt, deren Zentrum ein rundest Podest bildet, das - wie auch die mit einer Tür und mehreren Fensteröffnungen versehene Rückwand - von roten Blutlachen-Flecken bedeckt ist. Verschiedene darin eingebaute Fächer beherbergen allerlei Utensilien, und die auf dem Podest stehende Truhe wird mal zum Tisch, mal zum Autositz, mal zum Kofferraum.
Das alles wird mit hohem Tempo und präzisen schauspielerischem Timing in Szene gesetzt - teils wird eine Rolle gleichsam aus der Bewegung heraus gewechselt, einmal kommt es auch zum Kampf mit sich selbst, als Wißner sowohl den verräterischen Intriganten Toni als auch Bandengegner Malte zugleich verkörpert. Und bei einem Gangstertreffen werden von Schönberg und Wißner zusätzlich Klappmaul-Puppen geführt, um sechs Figuren auf einmal auftreten zu lassen. Friedrich Witte gibt daneben mit fiebrigem Charme den Dauerstress-Getriebenen, der zusehends an selbstbestimmter Dynamik gewinnt und schleichend selbst zum Strippenzieher und Mafiafürsten wird.
Ausstatter Marcel Keller greift tief in den Perücken- und Kostümfundus, um Dragan etwa in bester Aerosmith-Leder-Rocker-Manier auszustaffieren, Energieblitz Emily in ein plissiertes rosa Tüllkleid samt Einhorn-Mütze zu hüllen oder Toni einen üppig wattiertem Muskel-Torso anzulegen.
Wie hanebüchen Figuren und Geschichte im Grunde sind, muss bei so viel Screwball-Comedy-Witz und lustvoller Schauspiel-Verve nicht weiter stören: „Achtsam morden“ bietet ein überaus kurzweiliges Theatervergnügen.
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