Mannheim. Unter dem Titel „Kabinettstücke“ präsentiert das Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen regelmäßig Kunstwerke, die besondere Aufmerksamkeit verlangen. Der etwas antiquiert anmutende Begriff evoziert, dass sich die Besucher für diese Ausstellungen besonders viel Zeit nehmen sollten. Auch der Ort innerhalb des Museumsgebäudes, wo die Kabinettstücke gezeigt werden, ist besonders. Es ist der schlauchartige Zwischenraum in dessen Mitte.
Im Falle der aktuellen Ausstellung: „Jonathan Meese Gesamtkunstwerk Erzbuch (Buch der Bücher)“ liegt die Frage nahe, ob die Wahl dieses Raumes wohl eine bewusste Entscheidung war? Denn unter dem Begriff „Zwischenraum“ lassen sich Jonathan Meeses Künstlerbücher, die in Ludwigshafen bis zum 6. April 2026 zu sehen sind, recht gut einordnen. Meese sieht seine Kunst in einem Zwischenraum entstehen. Zwischenräume zwischen den Buchseiten zum Beispiel. Darüber hinaus hat das Buch als Skript, Konzept, Tagebuch oder Notizheft eine ordnende, strukturierende Funktion.
Die Ausstellung in Ludwigshafen zeigt einen bisher verborgenen Aspekt im Schaffen von Jonathan Meese
Das Buch schafft Ordnung in Meeses überquellendem Chaos des Kunstkosmos, den man für gewöhnlich mit seinen Inszenierungen verbindet. Monumentale Projekte wie „Erzstaat Atlantisis“ im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck oder „Generaltanz den Erzschiller“ bei den 17. Schillertagen in Mannheim 2013.
Selbst an die Inszenierung des „Parsifal“ in Bayreuth hat er sich herangetraut. Die wurde allerdings aus Kostengründen gecancelt (ein vorgeschobener Grund, so Meeses Überzeugung). Ein Teil der Bücher handelt von solchen Projekten und dokumentiert die Suche nach Freiräumen. Geschäftig werden manche Zeilen mit dem Stempel „Erledigt“ versehen.
Daneben gibt es Bilderbücher, die auf Jugenderinnerungen zurückgreifen. Trivialliteratur oder Fernsehserien werden zitiert. So zum Beispiel, wie Kurator Eikmeyer betont, der Science-Fiction-Film „Zardoz“, in dem Sean Connery die Hauptrolle spielte, oder die Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ mit der unwiderstehlichen Diana Rigg als Emma Peel.
Mit der Ausstellung von etwa einhundert Künstlerbüchern – insgesamt sollen es 380 sein, zeigt die Ausstellung einen bisher verborgenen Aspekt im Schaffen des Künstlers. Das Buch, so Meese im Gespräch, sei die kongeniale Form für seine Kunst. „Wenn ich eine Seite umblättere“, begeistert er sich, „verschwindet ein Eindruck und es entsteht ein neuer. Die Geschichte in ihrer Gesamtheit ist zwischen den Seiten des Buches verborgen.“
Inhaltlich geht es bei Meese immer ans Eingemachte. Er befasst sich mit den Grundmythen der deutschen Geschichte und den Horrorgestalten des zwanzigsten Jahrhunderts wie Hitler oder Stalin, denen er den Schrecken nimmt, indem er sie auf seine spezifische Art und Weise anschaulich macht.
Meese bedient sich dabei nicht nur aller möglichen künstlerischen Techniken wie der Zeichnung, der Collage, der Fotokopie oder der Druckgrafik. Er benutzt auch Handschrift und Schreibmaschinenschrift. Von der mittlerweile fast hundertjährigen Mutter (die Meese nicht nur in seinem Atelier unterstützt, sondern ihn auch zu den Ausstellungen begleitet) mit einer Maschine der Marke „Brother“ sorgfältig getippt.
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