Bayreuth. Vollendet das ewige Werk? Zum strahlenden Erlösungs-Motiv baumelt Wotan vom Schnürboden, Leichen auf dem Beckengrund, Brünnhildes Tochter – hier Symbol für all das, worum so zäh gerungen wird – hat die Bühne noch rechtzeitig verlassen. Nur eine hochschwangere Frau sitzt am Fuße der Pooltreppe. Großer Jubel am Ende der „Götterdämmerung“. Für Regisseur Valentin Schwarz bleibt der Bayreuth-Effekt – erst verdammt, dann gefeiert – allerdings aus. In den Applaus mischen sich beim einzigen Vorhang für das Regieteam heftige Buhs.
Schwarz‘ eigenwillige Ring-Deutung in den durchweg geschlossenen Räumen von Andrea Cozzi bleibt auch im vierten und letzten Jahr umstritten. Trotz sichtbarer Verjüngung und Internationalisierung des Ring-Publikums. Tickets sind neuerdings auch für einzelne Vorstellungen der Tetralogie zu erwerben. Das macht sich nicht nur an wechselnden oder fehlenden Sitznachbarn bemerkbar. In den Pausen wird fleißig gegoogelt, die Reclams erleben eine Renaissance. Nützen tut das freilich wenig. Traditionelles Ring-Wissen erweist sich hier als verwirrend, wenn nicht gar störend.
Man muss sich auf den Schwarz-Kosmos einlassen
Der Werkstatt-Tradition entsprechend wurde auch im vierten und letzten Jahr gefeilt, entrümpelt, geschärft. Wie die Gold und Tand verkörpernden Kinder seiner radikalen „Ring“-Umdeutung, schreibt der Regisseur im Programmheft, sei die Inszenierung mitgewachsen: „Ein paar Holzwege mussten wir aufgeben, manche Zaumpfade wichen veritablen Forststraßen und am Ende wurden einige unerwartete Kreuzungspunkte neu erschlossen.“ Wer sich Zeit nehme, könne im Dickicht immer mehr Details am Wegesrand entdecken.
Tatsächlich schaffen Spielzeugpferdchen, Fotografien, Kinderzeichnungen, Schusswaffen (weit weniger als im letzten Jahr) und viel zusätzliches Personal immer wieder Bezüge, ersetzen Wagners mythologisch-märchenhafte Symbolrequisiten. Ist man grundsätzlich bereit, sich auf den Schwarz-Kosmos einzulassen, erweist sich manches als nicht so schlecht, stringent gar. Etwa die spektakuläre Föten-Animation zum raunend sich aus der Tiefe aufschwingenden Es-Dur-Dreiklang des „Rheingold“-Beginns: Da wird das Ringen um Macht geboren. Der Anfang vom Ende. Blut zwischen ungeborenen Zwillingen, die, so will es Schwarz, Wotan und Alberich darstellen. Erhellend auch die vielen Sidekicks: Ross Grane stets an Brünnhildes Seite, Hagens tödlicher Hass erschließt sich schon durch einen jungen Hagen im „Siegfried“ und Brünnhildes und Siegfrieds gemeinsames Töchterlein wird in der „Götterdämmerung“ szenisch zum Dreh- und Angelpunkt.
Dramaturgisch dagegen obsolet die bereits (offenbar von Wotan?) geschwängerte Sieglinde im ersten „Walküre“-Akt. Statt mit dem Zwillingsbruder den Helden Siegfried zu zeugen, schwelgt man in Kindheitserinnerungen. Der im dritten Akt bereits geborene Siegfried ist also Siegmunds Sohn nicht. Dabei singt Baritenor Michael Spyres dieses Jahr hinreißend, schafft mit den Bayreuth-Debutanten Jennifer Holloway (Sieglinde) und Vitaly Kowaljow (Hunding) zunächst Gänsehaut-Atmosphäre, die im „Wonnemond“-Kinderzimmer szenisch verpufft.
Kommen und Gehen im Walhall-Atrium des zweiten „Walküre“-Akts. Während sich der gesamte Clan von der aufgebahrten Freia verabschiedet, streiten sich Wotan und Fricka (Christa Mayer). Was für ein Einfall, der Selbstmord der verstörten Göttin am Ende des „Rheingold“! Zum Verzichten dagegen der Walkürenritt in einer Schönheitsklinik und immer noch viel Konvention und Leerlauf im ersten Siegfried-Akt (mit Klaus Florian Vogts ordentlich gesungenen Schmiedeliedern). Da sprüht nur der Flammenwerfer. Eindrücklichkeit geht anders: Wotans Abschied von Brünnhilde auf leerer Bühne. Einsam und leidend der hier zu Höchstform auflaufende Tomasz Konieczny – im Mezzavoce und piano auch endlich textverständlich artikulierend. Ergreifend! Trotz fehlenden Feuerzaubers. Großes Theater auch, wie er die triumphierende Fricka einfach stehen lässt und seinen Hut nimmt: Diese Bilder werden bleiben. Genau wie der suggestive Mannen-Auftritt in der „Götterdämmerung“ mit hervorragend disponiertem Chor.
Herausragende Stimmen und sängerfreundliches Dirigat
Verfolgt man also großzügig und frei von (Libretto-)Wissen dieses „Ring“- Theater, wird man dank ungeheurer Präsenz fast aller Sängerdarsteller über weite Strecken gut unterhalten. Erlebt mit der jungen Altistin Anna Kissjudit als Erda sogar eine veritable Ausnahmestimme. Catherine Foster zeigt auch in ihrem dreizehnten Bayreuther Brünnhilden-Jahr mit klangschönen Spitzentönen, dass es für sie gar nicht hochdramatisch genug sein kann. Und Klaus Florian Vogt überzeugt jetzt mit virilem tenoralem Klang bei seinen beiden Siegfrieden.
Große Verbeugung vor Simone Youngs souveränem, überaus sängerfreundlichem Dirigat, das in ihrer zweiten Saison noch mehr zu feiner Transparenz bei breit fließenden Tempi und Schönklang neigt. Etwas zu kurz kommt die atmosphärische Düsternis, die aufwühlende Rhythmik. Aber wie sie in der „Götterdämmerung“ die übereinander gelagerten Motive freilegt und so scheinbar jedem einzelnen Instrument Gehör verschafft, das hört man selten. Das Festspielorchester spielt fast 15 Stunden lang auf höchstem Niveau. Ein Zyklus noch … wer weiß, wie der KI-gestützte Ring 10010110 im Jubiläumsjahr 2026 wird?
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-der-ring-des-nibelungen-in-bayreuth-am-ende-alles-gut-_arid,2320000.html
