Bayreuth. Angela Merkel ist gleich multipel da. Auf der Bühne. Zweimal. Als anatomisch zum Verwechseln ähnliches Double im typischen Merkel-Outfit in der Grün-Version und als länglichere Version ihrer selbst. Und dann natürlich im Auditorium, wo sie seit Jahrzehnten nicht fehlt und ganz in der Nähe ihres Nach-Nachfolgers Friedrich Merz in der Königsloge Platz genommen und sicherlich bestaunt hat, dass sie, wie etwa Thomas Gottschalk und andere doppelt über die Bühne schlappende Promi-Imitate, schon zur lebenden Festspielgeschichte gehört.
Der aktuelle Bundeskanzler, ohnehin nie um ein Wort verlegen, hat denn ja auch gleich lobende Worte für die Sache parat: Der CDUler sprach von einer „tollen Inszenierung“, einem tollen Bühnenbild und tollen Künstlern – und sagte schon für 2026 zu, wenn Deutschlands weltweit bekannte Festspiele 150 Jahre alt werden.
„Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth
- Das Werk: Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ entstanden von 1845 (Prosaentwurf) bis 1868 (Uraufführung in München). In Bayreuth wurde das Werk erstmals 1888, fünf Jahre nach Wagners Tod, gespielt.
- Die Handlung: Die Meistersinger sind eine christliche, verkrustete, von alten Regeln und Bräuchen erlahmte Gesellschaft vor allem von Handwerkern. Sie singen sogar nach präzisen Regeln ihre Lieder, die schablonenhaft aus Bar, Stollen und Abgesang bestehen, die der strenge Beckmesser eisern hütet. In diesen Kreis tritt der Junker Walther von Stolzing und verliebt sich in Eva, Tochter von Goldschmied Pogner. Der gibt seine Tochter aber nur einem Meistersinger zur Frau. Stolzing kreiert mit Hilfe von Hans Sachs, der hinter seinem modernistischen Singen eine große Begabung sieht, ein Meisterlied und besteht die Prüfung im Beisein von ganz Nürnberg. Als er zum Meister gemacht werden soll, lehnt er ab. Sachs mahnt: „Verachtet mir die Meister nicht.“
- Die Termine: 2., 5., 11. und 4. August, dann wieder 2027.
Im dritten Aufzug seiner „Meistersinger von Nürnberg“ lässt es Regisseur Matthias Davids jedenfalls optisch und aktionistisch krachen. Endlich, muss man sagen. Denn was schon im Vorfeld dieser Festspiele – unter anderem und vor allem von ihm selbst – als humorvolle Komödie proklamiert wurde mit juristisch angehauchten Sätzen wie, er wolle „die Komödie zu ihrem Recht kommen lassen“, hat längliche Szenen, in denen man sich als Zuhörer immer wieder die Frage stellt: Wohin will er mit dem Stück, was will er damit anfangen, außer es nah am Textbuch und der Partitur nachzuerzählen, bunt und möglichst unterhaltsam zu bebildern und auszustatten?
Zukunft des Liebespaars nicht in der verkrusteten Gesellschaft
Immerhin: was für eine Bilderflut im Finale! Gefühlt Hunderte bevölkern die Bühne unter einer riesigen, bunten und aufgeblasenen Kuh, die samt Eutern quer und auf dem Rücken liegend über der Szenerie hängt – für Davids Symbol der „Preiskuh“ Eva, um die hier sängerisch geworben wird. Es wird schon heftig modern zu Wagners zünftiger Musik getanzt, bevor die Zünfte der Handwerker mit großem Blechblasgetöse und im „großen Ornat“ überhaupt aufmarschieren. Davids schreit uns entgegen: „It's Show-Time!“ Und tatsächlich hat das Ganze mehr von Broadway und Friedrichstadtpalast als von der hehren Kunst, für die Bayreuth seit 149 Jahren steht mit dem berühmten Hans-Sachs-Satz: „Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“
Und hier weicht Davids tatsächlich von Wagner ab und deutet um. Die Zukunft des jungen Liebespaars, um die sich doch dieses ganze Werk mehr als viereinhalb Nettostunden lang dreht, wird nämlich nicht – wie von Wagner festgelegt – innerhalb des verkrusteten und hier mit Narrenkappen versehenen „Meistersinger“-Clans stattfinden, sondern in der freien Welt. Die Meistersinger-Kette geben Walther und Eva dem Goldschmied und Eva-Vater Pogner zurück und verlassen – in ziviler heutiger Kleidung ohne Schnickschnack – das Geschehen.
Wagners ultimative Fortissimo-C-Dur-Orgie mit dem „Heil Nürnbergs teurem Sachs!“ rufenden Volk verpufft da natürlich, schließlich wollte es Sachs definitiv anders, als es hier kommt. Fast zwölf Minuten jubelt aber „das Volk“ im Festspielhaus nach diesem Schluss, ein Volk, das im Vorspiel sechseinhalb Stunden davor ärgerlicherweise noch minutenlang Mühe hatte, überhaupt mal zur Ruhe zu kommen – als hätte man sich schon aufs Jubeln eingestellt. Das gehört offenbar zum aktuellen Neu-Bayreuth genauso wie nicht ganz ausverkaufte Vorstellungen.
Es gibt ein paar nette Details in der Inszenierung, die über lange Strecken aber eher nicht zündet, wobei gesagt werden muss, dass Daniele Gatti, das Orchester und die Solisten über weite Strecken sehr schön musizieren – nur die Prügelfuge gerät – nun ja, ausgerechnet – aus den Fugen. Der Chor von Thomas Eitler de Lint klingt hier chaotisch und inhomogen schrill. Zu diesen Details gehört das erste Bild mit einer kleinen Kirche am Ende einer elend langen und fast in den Schnürboden führenden Treppe.
Der Einstieg in den Abend gelingt, es knistert zwischen Eva und Walther, sie wirft Papierflieger runter, er formt daraus, während nebenan eine kleine Klezmer-Combo spielt, ein großes Bühnenherz. Auch der fragmentarische Nachbau des Festspielhauses für die erste Meistersingerszene ist ganz lustig, wie auch immer wieder andere Einzelheiten auf der Bühne von Abdrew D. Edwards.
Aber weder gelingt Davids ein Feuerwerk der Personenführung noch eine plastische Zeichnung der Charaktere – mit Ausnahme Beckmessers, der bei Michael Nagy darstellerisch und sängerisch in optimalen Händen ist.
Davids Version ist so etwas wie die Antipodin zu den letzten „Meistersingern“ von Barrie Kosky. Kosky ging voll auf Politisierung und ließ in der erwähnten Prügelfuge die schon vom Antisemiten Wagner angelegte Judenkarikatur Beckmesser übel zurichten. Das Volk hielt ihn unter einem Gemälde Cosima Wagners fest, schlug ihn und setzte ihm in einem Akt höchsten Hohns eine fratzenhafte Maske auf, die alle hässlichen Judenklischees kumulierte: Hakennase, Zöpfe, große Ohren, spitzes Kinn, diabolischer Blick.
Davids folgt dem Credo „verlasst euch nicht auf die Politik, sondern auf die Kunst“. Das funktioniert beim politischen Künstler Wagner nur bedingt. Der Abend tuckert über die Bühne ohne echte Highlights und zündenden Ahnungsdrang.
„Meistersinger“ werden wohl der Renner werden
Dafür gelingt musikalisch vieles. Gatti nimmt Wagner eher streng, große Rubati oder überhaupt viel Agogik sind sein Ding nicht, er konzentriert sich sehr aufs Vertikale, ist dieses Werk ja vielleicht auch Wagners vertikalstes. So werden dann aber auch Harmonien entsprechend transparent. Auf der anderen Seite geht Gatti nicht voll aufs Auskosten von emotionalen Höhepunkten, sondern bleibt schlank. Das darf man mögen.
Neben Nagys Beckmesser überzeugt auch Georg Zeppenfelds Hans Sachs, auch wenn er aus der Figur nicht einen Typen machen kann wie Michael Volle oder noch früher Franz Hawlata. Überhaupt fehlt es an echten Charakteren. Michael Spyres singt den Stolzing beachtlich gut und körperlich, wenn auch in der Höhe etwas eng. Darstellerisch bleibt er leider blass, während Christina Nilssons Eva mit mühelosem Sopran immerhin ein bisschen sexuelles Pubertier ausstrahlt – aber warum interessiert sie sich für diesen Typen?
Mit Mathias Stier (guter David), Christa Mayer (warm klingende Magdalene) und Jongmin Park (etwas röhrender Pogner) stehen starke Stimme auf der Bühne, sogar ein ehemaliger Mannheimer ist dabei: Patrick Zielke als Hans Foltz.
Auch diese „Meistersinger“ werden wohl ein Renner werden. Schrill, nett bebildert und am Ende auch kunterbunt und showbizzmäßig bieten sie zwar nicht viel Anregung zum Nachdenken, aber als Anti-Kosky und Anti-Wagner passen sie ja in ihrer Leichtigkeit vielleicht ganz gut in unsere mitunter geistig tiefer gelegte Erlebnisgesellschaft.
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