Schillertage

Schillertage: Lea Ypi hält die Festivalrede und spricht über ihre Großmutter

Zum Abschluss der elf Schillertage sprach die albanisch-britische Philosophin und Schriftstellerin Lea Ypi vor dem Alten Kino Franklin über Freiheit - und Schiller

Von 
Wam
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Lea Ypi und Christian Holtzhauer beim Nachgespräch. © Maximilian Borchardt

Vermutlich hätte sich Schiller nicht träumen lassen, dass gut zwei Jahrhunderte nach seinem Tod eine Schriftstellerin, die in Albanien (einem zu seiner Zeit noch gar nicht existierenden Staat) aufgewachsen ist, in Rom Philosophie und Literatur studiert hat, in London lebt, bei einem deutschen Festival zu seinen Ehren in Englisch die Abschlussrede hält und sich bei der Suche nach Freiheit und Würde auf ihn, den einstigen Stürmer und Dränger, beruft. Und dass Lea Ypi obendrein aus seinem Gedicht „Die Götter Griechenlands“ zitiert – weil die darin aufgeworfene Frage „Schöne Welt, wo bist Du?“ als Motto der 22. Internationalen Schillertage dient, hätte ihn vermutlich ebenfalls verblüfft.

Das Publikum sitzt an Gartentischen vor der kleinen Bühne am Alten Franklin-Kino. Die Freiluft-Szenerie passt wunderbar zu der Rede, die gleichzeitig Lesung und auch ein bisschen Performance ist. Lea Ypi hat zwar ein Manuskript mitgebracht, aber dieses liest sie nicht einfach ab – vielmehr spricht 43-Jährige zu den aufmerksam lauschenden Menschen, die ihr auch ohne Englischkenntnisse dank einer vorher verteilten Übersetzung mühelos folgen können.

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Warum Freiheit für Lea Ypi ein so zentrales Thema ist, offenbart ihr autobiografisches Buch „Frei – Erwachsenwerden am Ende der Geschichte “ . Darin erzählt sie, wie sie als Kind überzeugt war, in einem freien Land aufzuwachsen. Und später, als vermeintliche Gewissheiten in ihrer Heimat Albanien, dem letzten stalinistisch geprägten Land Europas, zusammenbrachen, fand sie Halt bei der ursprünglich aus Thessaloniki stammenden Großmutter.

Kostproben aus ihrem Buch

Ihr widmet die Enkelin ein Buch, aus dem sie Passagen vorliest – vor allem solche, die von nachspürenden Recherchen erzählen. In den Text-Kostproben blitzt auf: Die 1918 geborene Leman Ypi muss eine für die damalige Zeit sehr ungewöhnliche Frau gewesen sein – nicht nur wegen ihrer Herkunft, Bildung und Anstellung in der albanischen Verwaltung. Sie war höchstwahrscheinlich auch die erste Frau, die einem Mann einen Heiratsantrag machte, vermutet die Enkelin und erzählt, dass dies auf der Hochzeit von König Zog war.

Anschaulich schildert die Autorin, wie schwierig es ist, rückblickend der Großmutter mit all ihren Facetten, Stärken und Brüchen gerecht zu werden. Und deshalb sei die Buchfigur Leman Ypi zwar real, aber gleichwohl fiktiv und konstruiert. Und hier kommt Schiller ins Spiel. Mit ihm ist sich die Professorin für politische Philosophie einig: Die Interpretation von Fakten ist immer das Ergebnis einer Ideologie. Und deshalb schlägt sie mit Blick auf Schillers Vermächtnis vor, sich an die Kunst zu wenden und damit an die Macht der Fantasie, um Menschen wieder zur Moral zu führen.

Lea Ypi führt aus: Sie sehe wie Schiller das Instrument der politischen Erziehung in der Kunst. Auch deshalb weil Politik die Kunst nicht entwürdigen könne – allenfalls vermöge sie, Künstler zu demütigen. Um eines beneidet Lea Ypi ihr großes Vorbild: „In Schillers Welt gab es noch Hoffnung – wenn auch nicht real, so zumindest imaginär.“

Hingegen dürfte so manchen Besucherinnen und Besuchern durch den Kopf gegangen sein: Menschen wie Lea Ypi lassen für die Zukunft hoffen. In der abschließenden Fragerunde, die Intendant Christian Holtzhauer und Festivaldramaturgin Lena Wontorra moderierten, erfährt das Publikum so manch Erstaunliches: Beispielsweise, dass es im kommunistischen Albanien „wunderbare“ Übersetzungen von Schillers Gedichten und Dramen gegeben hat ...

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