Mannheim. Er hat einen neuen Chor, ist also in gewisser Weise in den künstlerischen Flitterwochen. Dementsprechend schwärmt Alistair Lilley: Seine ihm am Nationaltheater anvertrauten Chorsänger und -sängerinnen seien „superfreundlich“. Aber auch - was vielleicht noch mehr zählen könnte - „sehr begabt“ und „stimmlich spitze“. Eine „tolle Gruppe“, die zu schneller Arbeit fähig sei, doch gleichzeitig penibel an den Kleinigkeiten feilen wolle. Denn auf die Details komme es an, besonders in dem Stück, in dem der neue Chordirektor nun in Mannheim seinen Einstand geben wird. Es ist zugleich die erste Operneinstudierung von Roberto Rizzi Brignoli seit der Inthronisation zum neuen Generalmusikdirektor: „Turandot“, das letzte, nicht mehr ganz vollendete Musiktheaterwerk von Giacomo Puccini, steht auf dem Programm, wird konzertant im Musensaal des Rosengartens aufgeführt.
Vom Pianissimo bis zum Fortissimo wird Lilley alles abverlangt
Alistair Lilley treffen wir im Nationaltheater-Werkhaus. Er wirkt motiviert bis in die Haarspitzen, die Worte sprudeln rasch aus ihm heraus. Er outet sich als „großer Fan“ Puccinis. Sogar er, als ausgebuffter Opernpraktiker mit viel Berufserfahrung auf dem Buckel, wird da offenbar noch immer mitgerissen. Er bekennt sich auch zu seiner Rührung, die ihn nach wie vor in „Madama Butterfly“ befalle. Und die wunderschönen, zarten (Frauen-) Arien aus der „Turandot“ berührten ihn nicht minder. Lilley rühmt zudem die Art, in der Puccini Farben mische, im Orchester wie im Chor. Und sein „sinfonisches“ Musikverständnis.
Dabei schlägt der Komponist in diesem Spätwerk durchaus ein paar neue künstlerische Wege ein. Wir fragen: Gilt das auch für seine Chorbehandlung? Lilley ist sich sicher: Ja, zum einen sei der Chor hier ungewöhnlich umfangreich. Vom Pianissimo bis zum Fortissimo werde ihm alles abverlangt. Zum anderen gebe es „so viele Facetten“ und diverse halbsolistische Passagen, etwa für die Bässe. Lilley schwärmt auch von der Stelle, wo der „große“ Chor nur summt, aber der Kinderchor den Text darüberlegt. Und der Direktor kann in Mannheim aus dem Vollen schöpfen: Denn der Kinderchor hat über 30 Mitglieder, der Extrachor, der ebenfalls in „Turandot“ gebraucht wird, fast genauso viele. Dazu kommt die Nationaltheater-Stammbesetzung: 56 Chorsänger und -sängerinnen.
Mannheim bietet eine Vielfalt an künsterlichen Möglichkeiten
Lilley hat zuvor elf Jahre lang in Regensburg gearbeitet, am dortigen Theater konnte er nur 25 Sänger aufbieten. Das hier in Mannheim ist also eine Art Quantensprung für ihn, eine Verdoppelung der künstlerischen Möglichkeiten. Und die langwierige Opernhaussanierung, die den Spielbetrieb stark einschränkt, gibt ihm immerhin viel Zeit, gründlich zu proben und sich einzuarbeiten - zumal es nicht allein um musikalische Belange gehe. Lilley sagt: „Man muss die Menschen kennenlernen.“ Chorleitung sei „eine sehr intime Arbeit“.
Ziemlich ehrenvolle Aufgabe
Alistair Lilley hat sie von der Pike auf erlernt. Der Brite, der auch einen deutschen Pass besitzt, kam früh mit britischen Musik-Institutionen in Berührung. Als sehr junger Mann etwa bewarb er sich am Covent Garden-Opernhaus in London. Mit Erfolg. Man kann es auf einer CD nachhören, und auch damals ging es um Puccini. Allerdings um „Tosca“, Dirigent der Produktion war Antonio Pappano. Lilley spielte zwar nur die Celesta und ein keusches „Ding-ding-ding“, aber auch das war eine ziemlich ehrenvolle Aufgabe. „Jetzt muss ich’s richtig machen“, sei ihm damals durch den Kopf gegangen, sagt der Chorleiter im Werkhaus: „Mag es auch bloß ‚Ding-ding-ding‘ sein.“
In britischer und deutscher Tradition: Alistair Lilley
- Lilley, Jahrgang 1975, stammt aus Cornwall. Er studierte dann am Royal College of Music in London Klavier, Orgel und Dirigieren. Früh kam er als „Music Staff“ - am ehesten einem mit Dirigier-Verpflichtung ausgestatteten Korrepetitor zu vergleichen - an die großen Häuser wie die Scottish oder English National Opera.
- Er wagte schließlich auch den Wechsel auf den Kontinent: 2008 begann er seine Arbeit an der niederländischen Reisopera in Enschede - mit einem Chor, der etwa 30 Sänger hatte und also beträchtlich kleiner als am Nationaltheater war. 2012 ging er nach Regensburg, als Chordirektor und Kapellmeister. Er dirigierte dort auch viele Musicals.
- „Turandot“-Termine: 2. November (Premiere), 8. und 29. November, 6. und 17. Dezember; sie sind allesamt im Musensaal des Rosengartens Mannheim anberaumt.
Mittlerweile hat er deutlich mehr Verantwortung - und kaum noch Zeit für schöne Nebentätigkeiten wie die Instrumentalisten- oder Liedbegleitung am Klavier: „Man muss eine Entscheidung treffen.“ Hinsichtlich der Art der Tätigkeit, aber auch hinsichtlich der Wirkungsstätte, denn: „In London braucht man eine Menge Zeit, um von zu Hause an den Arbeitsplatz zu kommen.“ Und wieder zurück. Lilleys Familienleben litt darunter.
Außerdem lockte die „große Chorkultur in Deutschland“ und die hohe Zahl an Opernchören. Alle brauchen einen Chef. Ans alte England wird sich Lilley dennoch schon recht bald erinnern können, wird es doch am Nationaltheater unter seiner musikalischen Gesamtleitung die Oper „Dido and Aeneas“ geben, Henry Purcells Meisterstück von 1688. Aufführungen sind im nächsten März geplant.
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