Schwetzingen. Also wenn schon der „Don Giovanni“, diese „Oper aller Opern“ über den Wüstling aller Wüstlinge, das Musiktheater nicht mehr füllt, dann wird es zappenduster um die Gattung. Sex and Crime and the Genius of Mozart – gibt es Höheres? Nicht mal Gott Fußball. Okay, nach juristischer Regel könnte man sagen: im Zweifel für die Angeklagte.
Es ist Donnerstag. Der Sommer ist heiß. Und der Sommer spielt, obwohl er Mannheimer Sommer heißt, in Schwetzingen, ist genau genommen also ein Schwetzinger Sommer, bei dem man aber weitgehend Mannheimer Sommergänger sieht – die üblichen. Aus dem Nationaltheater. Um das Nationaltheater. Und um das Nationaltheater herum. Das ist die traurige Wahrheit.
Wir hoffen es nicht, aber wir fürchten es: dass das nämlich die Zukunft ist, dass Oper, egal von wem inszeniert, von wem dirigiert und von wem gesungen (mit Ausnahme vielleicht, wenn Mozarts Donna Anna auch Netrebko heißt) keine Säle mehr füllt – wobei fairerweise gesagt werden muss, dass die kommenden Aufführungen im kleinen Schlosstheater laut NTM voll sind. Gut so!
Don Giovanni eröffnet den Mannheimer Sommer in Schwetzingen
Oder auch nicht. Denn diese Produktion über den größten – Pardon! – Samenspender der Operngeschichte ist zwar um hundert Prozent besser als ihre Vorgängerin; man erinnert sich schmerzlich an die albernen großen Füße der Russin Ekaterina Vasileva. Aber schlüssig, klug oder gar zündend ist auch dieser „Don Giovanni“ nicht, der den Mannheimer Da-Ponte-Zyklus in Kooperation mit Prag abschließt und das von Jan Dvorák kuratierte Festival eröffnet.
Ein Hauch Sandra Leupold und Bert Brecht hängen zunächst in der Luft. Leupold hat in Heidelberg den weit und breit spannendsten „Don Giovanni“ gezeigt, der den Figuren als singende und spielende Menschen nachspürte, und Brecht – nun ja – der hat die Brecht-Gardine erfunden. Theater ist halt nur Theater. In Schwetzingen ist es zunächst ähnlich.
Mozarts „Don Giovanni“ in Schwetzingen
- Das Werk: Eigentlich heißt Mozarts Dramma giocoso (heiteres Drama) in zwei Akten „Der bestrafte Wüstling oder Don Juan“. Das Textbuch (Libretto) stammt von Lorenzo Da Ponte. Das Werk wurde 1787 in Prag uraufgeführt und bereits 1789 in Mannheim (auf Deutsch) gespielt.
- Die Handlung: Frauenverführer Don Giovanni ist ins Schlafgemach Donna Annas eingedrungen. Sie wehrt sich gegen seine Gewalt, ihr Vater, der Komtur, kommt hinzu, wird von Giovanni getötet. Mit Donna Elvira hatte Giovanni auch bereits ein Verhältnis, der Bäuerin Zerlina macht er den Hof. Giovannis Diener Leporello singt die „Registerarie“ über ein Buch, in dem er die Sex-Eskapaden Giovannis auflistet. In Spanien hatte er 1003 (mille trè) Frauen. Nach und nach sind Elvira, Anna, Zerlina und deren Männer Ottavio und Masetto von der Schuld Giovannis überzeugt und jagen ihn. Auf dem Friedhof spricht die Statue des Komturs und lädt Giovanni zum Abendmahl ein. Alle versuchen, ihn zum Ändern seines Lebensstils zu bewegen. Er lehnt ab – und wird von Flammen verschlungen.
- Termine: 29. Juni, 2., 4., 7., 10., 12., 14., 16. und 18. Juli, dann wieder ab 14. September.
- Info/Karten: 0621/1680 150.
Wir sehen: Sänger, wie sie sich zu Mozarts zwingender Ouvertüre hinter den Kulissen noch umarmen und gute Vorstellungen wünschen. Wir hören: schroff und plastisch musizierte Musik, die von den Paukenwirbeln des Beginns bis hin zu den drängenden Sechzehntelketten in den Violinen die Extreme der Partitur auslotet. Wir riechen: eine Sensation. Doch dieser Sinnesrausch ist von kurzer Dauer. Leider. Denn weder das Konzept von Regisseur Alexander Mørk-Eidem noch die (anfangs) radikale Klanglichkeit von Dirigent Janis Liepins entwickeln sich im Schwetzinger Schlosstheater schlüssig weiter.
Mørk-Eidem, der Mozarts Meisterwerk quasi aus den Kulissen hinter der Bühne erzählen will, wird nach und nach zum Knecht seiner Idee, die sich nicht durchhalten lässt, denn: Es agieren eben doch immer die Figuren, nie die darstellenden Menschen. Die dauernd rauf- und runterfahrenden Vorhänge und Kulissenteile (Christian Friedländer) sind auf Dauer auch ermüdend. Und Liepins wird mit Orchester und Chor (Alistair Lilley) immer flaumiger, glatter und in der Koordination zwischen Graben und Bühne (oder Foyer) unpräziser.
Giovanni beim Mannheimer Sommer rücksichtslos wie ein Virus
Was ist nicht alles (hinein)philosophiert worden in und über dieses Werk. Bemerkenswert sind Vergleiche mit der Antike, in der Geist und Sinnlichkeit angeblich noch eins waren, bevor der Christen-Gott sie getrennt hat. Friedrich Nietzsche brachte die These – wohl frei nach Søren Kierkegaard – auf den plakativen Punkt: „Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete – zum Laster.“
Und dieses Laster sucht Don Giovanni wieder zu entdiabolisieren – als Gegengift für das christliche Verbot der gesunden Sinnlichkeit, die Don Giovanni bei Elvira, Anna und Zerlina entfacht wie bei Tausenden anderen. Er ist mehr Philosophie, ideengeschichtliche Maschine oder ethisches System als human handelnder Mensch.
Und das macht Nikola Diskic richtig gut. Sein Giovanni agiert rücksichtslos wie ein Virus, mit dem sich alle anstecken (wollen). Dass er gleich im nächtlichen Gefecht mit Annas Vater selbst tödlich verwundet wird, ist eine Regie-Idee. Er soll in Todesnähe (am Ende im Rollstuhl) agieren. Aber spielt ihm nicht sowieso immer der Tod ein Lied? Diskics Giovanni jedenfalls hat auch stimmlich Format. Das brillante Kavaliertimbre (etwa in der Presto-Weinarie „Fin ch’han dal vino“) überstrahlt den Abend, der mit historisierenden Kostümen (Jenny Ljundberg, Moa Möller) immer wieder mehr als nur einen Hauch Klamottenkiste verstrahlt.
Keine Langeweile – und Mozart ist ohnehin nicht kaputtzukriegen
Mitunter ist das vergnüglich. Das liegt auch an Leporello Bartosz Urbanowicz. Seine Situationskomik komplettiert das Führungsduo, das stimmlich (siehe Register-Arie) gar nicht so sehr auseinander liegt. Urbanowicz und auch Marcel Brunner (Masetto) und Sung Ha (Komtur) sind quasi tadellos als Sänger. Und Tenor-Einspringer Raphael Wittmer gelingt die zweite Ottavio-Arie „Il mio tesoro“ auch sehr anständig.
Schwieriger ist die Damenriege, bei der man immer wieder hört, wie schwer Mozart zu singen ist. Zumindest intonatorisch haben Seunghee Kho (Anna) und die darstellerisch sehr motivierte Nataliia Shumska (Zerlina) kaum Probleme. Doch die Schwierigkeit der Leichtigkeit eines „Non mi dir“ (Anna) mit seinen Verzierungen ist dann doch hörbar.
Immerhin: Shumskas erotisch aufgeladene Zerlina ist auf Teufel-komm-raus das Ich-will-es-doch-auch-Gör und macht, von einigen scharfen Spitzen abgesehen, Eindruck. Shachar Lavi indes entwickelt die Elvira zum Paradoxon des amoralischen Moralapostels. Im Grunde suchen hier ja alle nach sexueller Katharsis, der Einheit von Sinnlichkeit und Geist, eine Freiheit, die nur Giovanni (Viva la libertà!“) ihnen geben kann.
Lavi spielt das am überzeugendsten. Wenngleich sie im Konversationston Intonationsprobleme hat, gelingt ihr etwa das zuckende „Ah, fuggi il traditor“ sehr kultiviert und die zum A emporschnellenden Sechzehntelketten messerscharf. Beeindruckend.
Langweilig ist das nicht und Mozart eh nicht kaputtzukriegen. Das Glas ist also durchaus halb voll. Ein bisschen Begeisterung wallt auch auf im Schlosstheater. Der Mannheimer Sommer ist los – in Schwetzingen.
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