Der Mann ist Dichter, das merkt man schnell. Es passt gut zu Amir Gudarzi, das gute alte deutsche Wort, denn der gebürtige Iraner erdichtet und verdichtet – und ist spürbar ein Sprachfreund. Gerade ist sein erster Roman beim dtv Verlag in Produktion. Im Herbst erscheint also Amir Gudarzis „Das Ende ist nah“. In Mannheim allerdings, wo wir ihn in der zur Kantine umgebauten Werkhauslobby treffen, steht er erst am Anfang, ganz am Anfang. Hier wird Gudarzi nämlich, wenn sein Buch herauskommt in der Nachfolge Friedrich Schillers bereits Hausautor am Nationaltheater sein, eine Position, die die Freunde- und Förderer des NTM wieder großzügig finanziell wie ideell unterstützen. Inne hat diesen Posten derzeit zwar noch die Ukrainerin Anastasiia Kosodii, aber die Bekanntgabe des Nachfolgers wird traditionell bereits im Frühjahr bekanntgegeben.
Als Romancier hat sich Gudarzi noch keinen Namen machen können, als Theaterautor hat er indes schon einiges auf dem wohltönenden Verdienst-Kerbholz. Das Dichten hat er buchstäblich erlernt, in Teheran, an der damals einzigen Theaterschule im Iran, wo er ein Studium in Szenischem Schreiben abschloss.
Amir Gudarzi – vielfach ausgezeichneter Hausautor
Für sein Stück „Wonderwomb“ wurde Amir Gudarzi mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker 2022 ausgezeichnet.
Das Stück erhielt auch eine „spezielle Erwähnung“ durch die Jury der „Autor:innentheatertage 2022“, verbunden mit einer szenischen Einrichtung im Rahmen des Festivals am Deutschen Theater Berlin.
Gudarzi wurde 2021 mit dem Förderungspreis der Stadt Wien ausgezeichnet und erhielt zahlreiche Dramatik- und Literaturstipendien, u. a. 2018 bis 2020 das „DramatikerInnenstipendium des österreichischen Bundeskanzleramts“ sowie 2020/2021 das Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquiums Berlin.
Für „Quälbarer Leib – ein Körpergesang wurde Amir Gudarzi mit dem Christian-Dietrich-Grabbe-Preis 2022 ausgezeichnet. rcl
Er verließ das Land und lebt seit 2009 im Exil in Wien. „Das ist eine lange und verwobene Geschichte – und ich habe nicht den geraden Weg genommen“, sagt er vielsagend, aber ausreichend für ein erstes Kennenlernen. Die Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend voller Gewalt nahm er mit auf die Flucht. „Die lange, verwobene Geschichte“, wie aus einem Künstler ein Flüchtling in Österreich wird, erzählt er uns mit all ihren traurigen Facetten dann in seinem Roman.
Füllhorn der Stile
Sein Deutsch ist gut und blumig und so sagt er Sätze wie „Ich arbeite mit einer Fülle literarischer Gattungen“, womit er nicht nur sein Wandeln zwischen Roman und Drama meint, sondern damit durchaus auch schon einiges über sein stilistisches Verfahren innerhalb seiner Stücke verrät. Seine Theatertexte springen zwischen essayistischen und lyrischen Passagen, zwischen Dialogen und Chören. Das ist erfolgreich, denn 2017 gewann Gudarzi den „Exil-DramatikerInnenpreis“ für sein Stück „Zwischen uns und denen liegt ...“.
Gleich das Jahr darauf wurden sein Text „Arash // Heimkehrer“ am Theater Drachengasse in Wien sowie seine Performance „The Knowledge Tree“ in Jerusalem gezeigt. Sein Auftreten ist somit bereits international. Das Stück „Die Burg der Assassinen“ war 2019 zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen. 2020 war „Geleemann“ am Werk X in Wien zu sehen sowie „Who cut the cake“ am Royal Court Theatre in London als Teil des Living Newspaper Projekts.
Für sein Stück „Wonderwomb“ erhielt er im Januar 2022 den „Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker“. Eine beeindruckende Auszeichnungskette, bedenkt man, dass Gudarzi nie einen Deutschkurs besuchte: „Übung macht den Meister“, sagt er und dass er sich die Sprache und ihre Logik selbst erarbeiten wollte, eine „sehr raue und räumliche Sprache, die ihre Grammatik mit Richtungen und Entfernungen ausgehend von den Hebungen des Brustkorbs geordnet hat“. Dass er dabei auch seine Muttersprache Farsi neu gelernt und verstanden habe, sei ein positiver Nebeneffekt.
Randerscheinung der Grammatik
Die Studien des auf Deutsch schreibenden Autors kommen auch zu dem Schluss, dass „Deutsch eine sehr neurotische Sprache“ ist. Sie strebe eine begrenzende Genauigkeit an, die ihm (etwa in den Artikeln „der, die das“ oder bei Vorsilben und Suffixen) fast zwanghaft einschränkend erscheine. Das habe schon Sigmund Freud bemerkt, sagt der Dichter und liest daraus eine Angst vor Randerscheinungen und ein Symptom der angestrebten Geschlossenheit. Er selbst arbeite aber eben gerne mit Doppeldeutigkeiten. Wer seine Texte liest, stellt fest, dass Gudarzi das sehr kunstvoll tut.
Wir sprechen über seine Heimat, das vermeintliche Tauwetter unter Irans Ex-Präsidenten Hassan Rohani und den Zustand unter dessen Nachfolger Ebrahim Raisi. Klar ist seine Haltung zur Situation im Iran: „Ich habe nie an eine Reform geglaubt. Wie soll sich ein Staat erneuern, dessen drei Säulen, die Religion, der Hass auf Israel und die Unterdrückung der Frau heißen?“ Für diese Haltung sei er auch in Exilantenkreisen scharf angegangen worden, auch körperlich. Heute seien viele endlich aufgewacht. Die Lage bleibt komplex.
Sein Stück „Wonderwomb“ (Wunderbauch) bildet diese Komplexität ab. Er schreibt über Öl. „Aber wie macht man das?“, fragt er rhetorisch. Es gibt jeweils wichtige ökologische, politische und kapitalistische Aspekte. Und nicht nur bei der Mobilitätsdebatte: Kaugummis, Plastik, Kosmetik ... Öl ist einerseits der Motor des Kapitalismus, selbst aber ein lebendiger Stoff aus abgestorbenem Plankton an dem viele Interessen kleben. Schmutzige Geschäfte damit laufen wie geschmiert – gerade für Diktatoren. Wie wird man der Vielfalt des Stoffes gerecht? Der Dichter begegnet der Vielfalt stilistisch, lässt den Chor der toten Tiere, das Meer, das personifizierte Öl selbst auftreten – prosaisch, lyrisch oder chorisch. Was die deutsche Sprache angeht, will Amir Gudarzi, so verspricht er, genau hinhören, besonders darauf, wo und wann sie versucht, zu verschweigen ...
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-nationaltheater-deutsch-ist-eine-sehr-neurotische-sprache-_arid,2056634.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html