Mannheim. Es gibt Momente in dieser Nacht, da braut sich alles zu einer Art Big Bang zusammen: Bässe pumpen, detonieren und wummern in Eingeweide erschütternden Frequenzen, es stampft auf 135 Beats per Minute, Blitze fegen über die Bühne und verwandeln die Szenerie in ein optisches Gewitter, Wolken und Rauch verströmen unheilvolle Ahnungen. Urknall? Apocalypse now? Nein! Da vorn, auf der Bühne, steht einfach nur eine blonde Frau, die wie von der Tarantel gestochen ihrer physischen Energie freien Lauf lässt und an die 100 Mal in alle möglichen Richtungen auffordert: „Hab Sex mit mir“.
Zaho de Sagazans sprachliches Lustspiel zwischen Zärtlichkeit und Technik
So einfach ist die Sache natürlich nicht. Denn was Zaho (Mélusine Le Moniès) de Sagazan singt, sind keine Bedienungsanleitungen fürs Leben. Vielmehr ist es ein Lustspiel mit der Sprache, das sie auf die Spitze treibt. Im französischen Teil des Lieds „Hab Sex“ singt sie noch zärtlich „j’aimerais faire l’amour avec toi“ (ich würde gern mit dir Liebe machen), und dem eher zärtlichen und romantischen französischen Ausdruck setzt sie auf Deutsch die technischste aller Bezeichnungen gegenüber, weil Deutsch für sie eine kalte, harte Sprache ist, die sie aber spätestens auf einer Klassenfahrt in Berlin lieben gelernt hat. Egal: Die Menge jedenfalls bringt sie auf diese Weise locker zum orgiastischen „Dansez“. Beine arbeiten. Hormone strömen. Pärchen knutschen.
Das ist schon gegen Ende ihres Auftritts auf dem Maifeld Derby, bei dem vier schwarz angezogene Männer 80 Minuten lang an E-Drums und allerlei Elektrogerät die helle Frau in Weiß-Schwarz begleiten. Und wer weiß, dass de Sagazan Kraftwerkfan ist, hört im repetitiven „Hab Sex mit mir“ auch sich wiederholende Kraftwerk-Volten wie etwa „Tschernobyl, Harrisburg, Sellafield, Hiroshima“ am Beginn von „Radioactivity“, die durch die endlose Wiederholung ikonografiert werden.
Klangliche Feinheiten gehen im Sound unter
Der Sound im Zelt ist leider nicht optimal, geprägt von tiefen, breitflächigen Frequenzen, bei denen de Sagazans Mittellage schnell überdeckt wird. Gut klingt sie, wenn sie in ihre hohe Lage wechselt. Um es anders auszudrücken: Die 15 Lieder der Setlist, die mehr oder weniger ihr Album „La symphonie des éclairs“ abbildet, schaffen es live nicht, jene klangliche und atmosphärische Feinheit und farbliche Abwechslung wiederzugeben, die diese Musik ausmacht. Vieles klingt zu ähnlich, versumpft in dunklen, sphärischen Feldern.
Setlist
- La fontaine de sang
- Aspiration
- Le dernier des voyages
- Mon inconnu
- Les dormantes
- Dis-moi que tu m‘aimes
- Je rêve
- Tristesse
- Ô travers
- La symphonie des éclairs
- Old Friend
- Ne te regarde pas
- Hab Sex
- Dansez
- Zugabe:
- Modern Love
Ist der Akzent ihres exzellenten Albums also auf der Gratwanderung zwischen Chanson-Romantik und industriell geprägtem Electro und Techno, so haben es eben gerade die ruhigeren Nummern „Aspiration“, „Old friend“ oder eben auch „La symphonie des éclairs“ schwer, ihren zwischen Barbara oder Jacques Brel changierenden poetisch-romantischen Chanson-Reiz zu entfalten – allein die vielen Wortspiele zu verstehen, ist auf dem Maifeld schier unmöglich, was schade ist, weil sie zu Zaho de Sagazan gehören.
Französin Zaho de Sagazan lässt uns den Kopf ausschalten
Drücken wir es so aus: Das Dionysische überwiegt das Apollinische, die Ausschüttung, das Rauschhafte, das Körperliche und Triebhafte lassen nur wenig Intimität, Gedanken und Psychologie zu, was freilich bei einer Nacht wie dieser nur dazu führen kann, den Kopf maximal aus- und den Körper einzuschalten. Bisweilen aber schaut man doch nur einer jungen Französin dabei zu, wie sie bei wummerndem Techno auf der Bühne die Sau rauslässt. Positiver betrachtet: Viele begeisterte Fans machen immerhin mit.
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