Es fügt sich in Worms. Denn was sich zwischen Kaiserdom und Marktplatz in mehr als zwei pandemischen Jahren an Energie aufgestaut hat, ist in der Nibelungenstadt nicht einfach verpufft: Die Kräfte haben sich konzentriert. Für ein Festival wie Jazz & Joy sind es genau diese Energien, die konstitutiv sind - denn zwischen Spaß und Eleganz, zwischen Pop und Swing, zwischen Party-Sound und subtilen Basslinien sind es die entschlossenen Besucher selbst, die diese Kontraste mit Leben erfüllen. Und die sorgen bereits an den ersten beiden Tagen für eine Stimmung, die Veranstalter träumen lässt.
Die Kunst ist dabei, dass die Vielfalt bei dieser Jazz & Joy-Ausgabe sichtbar nicht nur Trumpf ist, sondern auch Neugierige anlockt. Das bekommen Kammerjazz-Formationen wie das Duo Lehmler/Debus oder Julia Hülsmann schon zum Auftakt zu spüren. Denn neben den ganzen Routiniers, die Soli gekonnt mit Beifall goutieren, versammeln sich auch ganze Trauben an Neulingen, die jeden Saitenlauf mit offenen Augen verfolgen, bei jeder Klavierkaskade die Ohren spitzen - und auf den Wegen zwischen den Bühnen aufgeregt darüber diskutieren, dass der Jazz ihnen doch viel mehr anzubieten hat, als sie jemals angenommen hätten.
Stilistische Vielfalt mit Flair
Ein Versprechen, dass sich vor allem an den Rändern des Genres immer wieder von Neuem einlöst. Denn ob die Whiskydenker ein erlebnishungriges Publikum in der ersten Nacht zwischen Electro Swing und Groove Jazz in die Dunkelheit geleiten, die Großformation Ecos de Siboney ihre Zuhörer gefühlt direkt in den Buena Vista Social Club einlädt, oder die Fusion-Jazz-Künstlerin Yvonne Mwale ihren sambischen Wurzeln mit ihrem bombastischen Organ alle Ehre macht: Diese Sounds haben Kraft, verkörpern Mut und klingen nach Entschlossenheit. Wenn Festivalchef Sascha Kaiser und die Seinen nach zwei bitteren Corona-Absagen auch nur im entferntesten auf dem Zettel hatten, jenseits der reinen Durchführung solch proaktive Genrearbeit zu leisten, ist dieses Vorhaben mehr als gelungen.
Zumal auch für Ästheten zwischen den klassischen harmonischen Abteilungen mehr als genug Material bereit steht. Das Indie Pop-Duo von Sinu bleibt in seinen Entfaltungsräumen zwar recht verhalten - wer aber die anatolisch-elektronischen Arrangements einer Derya Yildirim oder den völlig entgrenzten Klangreichtum eines Lui Hill zur Kenntnis nimmt, kann kaum umhin, ins Schwärmen zu geraten.
Zumal Jazz & Joy sich durch die Konzentration auf die Innenstadt einmal mehr auch als atmosphärischer Verstärker der eigenen Umgebung erweist. Was Kulturmacher auf Konferenzen und Podiumsgesprächen immer wieder als Belebung des urbanen Raums verhandeln, ist in Worms längst Realität geworden -und wird entsprechend ausgiebig zelebriert. Das Flanieren zwischen den insgesamt vier Bühnen, die gastronomischen Angebote - die Lust am Entdecken ist hier quasi schon mit impliziert.
Zugegeben, es gibt auch Konzerte, die in ihrer Dimension andernorts vermutlich besser aufgehoben wären. Einem eigentlich motivierten Enno Bunger, der stolz mit der Sonne kämpft, hätte man jedenfalls weit mehr als die Handvoll Gäste gewünscht, die sich bei satten Sommertemperaturen schon am frühen Nachmittag auf die große Bühne am Marktplatz wagt. Doch, dass es dem Publikum deshalb keineswegs an intrinsischem Interesse mangeln würde, spürt man spätestens beim Achtungserfolg von Ben Aylon, der auf der beschaulichen Bühne am Schlossplatz unter Beweis stellt, dass selbst die Stammesklänge der selbst ernannten „One Man Tribe“ an Felltrommeln und Knochenlaute hier ihr interessiertes, aufgewecktes Publikum treffen.
Party mit Enthusiasmus
Ohnehin scheint Worms nicht der Ort zu sein, an dem künstlerische Fallhöhe zur Philosophie gehörte. Vielmehr regiert hier der künstlerische Pragmatismus. Das spürt man schon beim Sonderkonzert der Poprocker von Silbermond, die nicht zuletzt dank einer ausgezeichnet aufgelegten Stefanie Kloß am Mikrofon ein akustisch abgemischtes Best Of-Set auf die Bretter legen, das man zuletzt in der SAP Arena kaum besser gehört hat. Aber auch die Jungs von Jupiter Jones hängen mit einem straffen Nachmittags-Set keineswegs nach, überspielen mit ihren geradeaus gezogenen Punk- und Indie-Arrangements locker den unter anderen Umständen sicher peinlichen Elektronik-Aussetzer bei Frontmann Nicholas Müller - und werden für diese Coolness auch noch gefeiert. Weiter hinaus in die Gefilde der Souveränität geht es dann eigentlich nur noch bei der Party Pop-Combo von Moop Mama, die ernsthaft die Chuzpe haben, nach einem Gig in Leipzig am gleichen Tag noch in Worms aufzutreten - gleichzeitig aber die Energie mitzubringen, auf dem gesamten Marktplatz mit purer Willensleistung noch einmal die Hände fliegen zu lassen. Zu den flirrenden, entgrenzten, zwischen Trap und Soul changierenden Klängen von Jazzanova geht es dann konsequent und psychedelisch in die Nacht. Nicht jedoch ohne einen Enthusiasmus, der nach Wiederholung ruft und Kontinuität verlangt. Ein Stück weit kommen diese beiden Tage damit diesem selbstbewusst ironischen Kommentar eines brillant aufspielenden Curt Stigers gleich, der bei der Vorstellung seiner Band kurzerhand erwähnt: „By the way, I’m Curtis!“ Und so weist sich auch das Jazz & Joy-Festival als Format zwischen Wiederkehr und Aufbruchsstimmung aus, das ebenso lauthals wie treffend festhält: Übrigens, ich bin wieder zurück. Also hör’ mir zu, du wirst es nicht bereuen!
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-worms-feiert-die-wiederkehr-seines-jazz-joy-festivals-_arid,1987076.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/worms.html