Worms. „I’m Curtis, by the way“ („Ich bin übrigens Curtis”). Es ist dieser augenzwinkernde Satz, mit dem sich ein US-Superstar des Jazz am späten Abend auf dem Wormser Weckerlingplatz vorstellt – und damit so vieles erklärt, was diesen ersten Tag beim Festival Jazz & Joy in der Nibelungenstadt treffend erzählt.
Besucher kosten den Augenblick aus
Denn wohin auch immer das Auge im Verlauf dieser Stunden blickt: Es regiert der Frohsinn. Da mögen die Temperaturen vor den insgesamt vier Bühnen noch so schwül daherkommen: Die Besucher kosten den Augenblick aus. Zu lange haben sie während der Corona-Pandemie auf jenes jährliche Highlight verzichten müssen, das ganz bewusst nie in große Hallen verlagert, sondern im Zentrum der Innenstadt installiert wurde.
Festivalchef Sascha Kaiser nennt das bei der Eröffnung „die Magie des Flanierens“, etwas nüchterner betrachtet darf man von einer Kraft der Leichtigkeit sprechen, die in diesen Stunden um sich greift – um sich nahtlos auf die Künstler fortzusetzen.
Ein perfekter Festivaltag
Denn gemeinhin, so offen darf man sprechen, sind die ersten Konzerte eines jeden Festivaltages selten bis zur Gänze gefüllt. Doch als Saxophonistin Alexandra Lehmler und Bass-Spezialist Matthias Debus ihr klangvolles „Tandem“ formen, applaudieren nicht nur prächtig besetzte Reihen: Auch das Duo bekommt bei solcher Wertschätzung regelrecht Flügel. Auch an der Ausnahmepianistin Julia Hülsmann geht diese Atmosphäre nicht vorüber.
Pressevertretern wurde vorab mitgeteilt, die ECM-Saitenvirtuosin sei erst kürzlich von einer Krankheit genesen – doch wer Hülsmann auf der Schlossbühne mit ihrem Trio musizieren hört, lauscht seidenfeinen Tongirlanden, wie sie prächtiger kaum daherkommen könnten. „Not Far From Here“ („Nicht weit von hier“) heißt die derzeit noch aktuelle Platte des Trios, und stilgemäß könnte man kommentieren: Nicht viel mehr als das und man erlebte hier einen nahezu perfekten Festivaltag.
Mutige Soul- und Jazzpop- Arrangements
Dazu trägt freilich auch der kuratorische Mut bei. Denn – sich selbst ganz treu – Jazz & Joy lässt in einer „Private Selection“ auch einmal mehr Musiker aufeinandertreffen, die zuvor noch nie gemeinsam auf der Bühne standen. Wer Sängerin Jil Pappert und Riaz Khabirpour (Gitarre), Drummer Julian Losigkeit und Martin Simon (Bass) die Aufmerksamkeit schenkt, darf sich jedenfalls über mutige Soul- und Jazzpop-Arrangements freuen, die sich in Zukunft gerne auch andernorts fortsetzen dürften.
Auf der großen Sparkassen-Bühne am Marktplatz durfte es dann pünktlich zum Sonderkonzert noch ein wenig „Meer sein“ – und zwar mit den Deutschpop-Größen von Silbermond. Ganz füllt sich die Freifläche neben dem Kaiserdom für die 90 Minuten zwar nicht, dafür zelebriert das Quartett aus Bautzen vor einer entschlossenen Fan-Schar, dass ein Best-Of der eigenen Hits auch relativ akustisch ganz wunderbar funktioniert.
Der Sound ganz bewusst nicht aggressiv abgemischt, konzentrieren sich Silbermond allem voran auf eine energiegeladene Show, die zeitlose Klassiker der Bandgeschichte zwischen „Krieger des Lichts“ und „Irgendwas bleibt“ sensibel, aber auch kraftvoll auf die Bretter bringt. Allen voran Sängerin Stefanie Kloß springt, tanzt und jubiliert fast schon über die Bühne, setzt sich mit den Stolle-Brüdern immer wieder in Szene und dankt auch den Anhängern, die das entsprechend ausgelassen kommentieren: „Worms, ihr seid großartig!“
Die Romantik eines lauen Sommerabends
All jenen, denen der Drive von Silbermonds Rockpop zu dieser Stunde für zu raschen Puls sorgt, liefert Gentleman Curtis Stigers die würdige Abendunterhaltung. Und das nicht nur, weil der Saxophonist und Sänger bestens über den Wettstreit zwischen Worms und Trier um das Dasein als älteste deutsche Stadt im Bilde ist und sich natürlich für die Kommune aus Südhessen ausspricht. Nein, Stigers überragt auch stilistisch.
Mit seinem Quartett, das mit Combo-Musikern erster Qualität ausgestattet ist, gelingt dem 56-Jährigen selbst auf der massiven Bühne eine Art Intimität, die sonst häufig in so manch lauschigem Jazzclub nicht Einzug hält. Man könnte das die Romantik eines lauen Sommerabends nennen – bei einem Protagonisten wie Stigers, der auch in Worms instrumental nicht weniger glänzt als stimmlich, darf man auch einfach sagen: Das ist einfach showtechnische Spitzenklasse.
Eine gelungene Mission
Für all jene, denen der Kopf bis dahin noch nicht zu sehr rauschte, gaben die Party-Jazzer von Whiskydenker noch den melodisch zeitlosen Hinweis mit auf die Reise in die Nacht, dass sich Eleganz und Freude ganz vortrefflich vertragen können. Was nicht zuletzt auch für die Marke Jazz & Joy ja nicht weniger als ein Beweis für die Schlüssigkeit eines Konzepts ist, das nicht von ungefähr Kontraste zwischen Émile Parisien und Bonnie Tyler zu einem vielfältigen Ganzen verwebt. Eine Mission, die man bis jetzt als überaus gelungen beschreiben darf!
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