Hintergrund

Wie Rap-Alien Marsimoto auf ein 53 Jahre altes Lied der Mannheimerin Joana kam

Das politische Chanson "Für dich, du heile Welt"  von Joana prägt den von Vincent Graf von Schlippenbach produzierten Deutsch-Rap-Hit „Heile Welt“ von Marterias Alien-Alter-Ego Marsimoto

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Ungleiche Hit-Paarung: Alien-Rapper Marsimoto alias Marteria hat für seinen Hit „Heile Welt“ ein Sample von Joana verwendet. © Maggie Herke/Intercord/„Folk Magazin“/Emetz

Mannheim. „Ich staune bloß“ – der Titel von Joanas 2010er Album ist Programm. Jedenfalls wenn man die im Studio verfremdete Stimme und einen Text der Mannheimer Liedermacherin im Lied „Heile Welt“ hört, das der Rap-Alien Marsimoto als Vorab-Single seines Albums „KI – Keine Intelligenz“ veröffentlicht hat. Wie es zu der ungewöhnlichen Kollaboration zwischen dem 41-jährigen Rostocker Rapper Marten Laciny, besser bekannt als Marteria, und der 79-jährigen Joana Emetz gekommen ist, erklären die Sängerin und Vincent Graf von Schlippenbach. Dieser ist als Teil des Produzententeams Gerda mitverantwortlich für den Sound des fünften und letzten Marsimoto-Albums, das am 20. April erscheint.

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Joana berichtet im Gespräch, dass das Original „Für dich, du heile Welt“ 1971 das Titellied ihres ersten Albums bei der Intercord war. Als ihre damalige Plattenfirma 1986 vom Major-Label EMI übernommen wurde und es Versuche gab, auf ihre oft politischen Inhalte Einfluss zu nehmen, ging die Mannheimerin eigene Wege und gründete für ihre Lieder den Joana Emetz Musikverlag. Deshalb war Joana selbst Ansprechpartnerin, als Marsimotos Verlag im November um Zustimmung für die Verwendung von Teilen ihres Liedes bat. „Ich finde sein Lied wirklich klasse, weil ich glaube, dass es junge Leute anspricht.“

Umweltthematik als verbindendes Element über Generationengrenzen

Es sei wichtig, gerade auf Umweltthemen immer wieder die Aufmerksamkeit zu lenken. Marsimotos Text sei dafür ideal: „Einfach und klar – und dann kommt immer wieder die Zeile ,Für dich, du heile Welt’ von mir. Wenn auch nicht mit meiner Klarstimme“, so Joana – singend.
Das neue „Heile Welt“ ist ein post-apokalyptischer Song, in dessen Video Marsimoto aus dem All die Erde betrachtet. Mit dem Refrain: „Und von hier oben ist die Welt so schön / Ja, der Mensch, der war hier das Problem / Die Rettung kam zu spät, zu spät, für dich / Du heile Welt.“ Gesellschaftliche Themen waren immer zentral in Joanas Arbeit. Im kämpferischen, an Hannes Wader erinnernden Originallied geht es vor allem um Gleichheit, um Rassismus – „aber auch die Umweltthematik kommt vor. Deshalb passt es so gut zusammen.“

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Als die Anfrage von Marsimotos Team kam, „musste ich ehrlich gesagt erstmal nachschauen, wer das ist.“ Dann habe sie um ein Demo des geplanten Songs gebeten: „Das fand ich toll.“ Sie habe festgestellt, dass Marsimoto/Marteria sich schon lange mit Umweltthemen beschäftige und eine gemäßigte Sprache nutze. „Er brüllt keine Unflätigkeiten herum.“ Der finanzielle Aspekt sei ihr dabei nicht wichtig, sagt Joana auf Anfrage. Deshalb habe sie eine – vermutlich überschaubare – Beteiligung am Umsatz, an GEMA-Einnahmen und so weiter vereinbart, so dass auch ihr Name auf dem Album und bei den Streaming-Diensten als Co-Autorin auftauche. Eine schöne Anerkennung für ihre Relevanz. Schließlich zählt Marteria zu den erfolgreichsten Hip-Hop-Stars der Republik und hat unter anderem für die Toten Hosen getextet. Mit dem am 20. April erscheinenden Longplayer verabschiedet der hinter der Marsimoto-Maskerade steckende Rostocker sein stets grün gewandetes Alter Ego mit dem Helium-Effekt in der Stimme in den Ruhestand.

Marteria und Produzent von Schlippenbach lieben alte Samples

Von Schlippenbach, bis 2005 DJ der Dancehall-Band Seeed um Peter Fox und Mitglied der Hip-Hop-Sound-Ikonen The Krauts, erklärt auf Anfrage das Zustandekommen dieser generationenübergreifenden Kollaboration: „Seit dem Anfang meiner Zusammenarbeit mit Marten weiß ich, dass ihn Wort-Samples, also Schnipsel von alten Platten, die entweder gesungene oder gesprochene Wort-Schnipsel enthalten, sehr inspirieren.“
Das sei auch kein Novum in seinem Werk: „Nachzuhören ist diese Lieblingsdisziplin von uns beiden auf Marteria Songs wie ,Wie mach ich dir das klar’, ,Veronal’ oder dem Marsimoto-Song ,Angst’. Bei ,Veronal’ habe ich zum Beispiel meinen Großonkel Stefan von Lepel gesamplet, der in seinem Chanson das Beruhigungsmittel Veronal besang. Marten hat daraus einen Song über seine eigenen Einschlafprobleme in Berlin gemacht.“
Bei „Wie mach ich dir das klar“ hätten Sie aus einem eigentlich romantischen Stück des Sängers Adamo die Phrase benutzt, um einen düsteren Song über das Überbringen sehr schlechter Nachrichten zu machen. „Angst“ enthält Sounds aus dem Song „ „Pieciobój Nowoczesny“ (1976) der polnischen Jazz-Fusion-Band Laboratorium. „Seitdem bin ich immer auf der Suche nach interessanten Sprach- oder Gesangssamples“, erklärt der Sohn des Jazzpianisten Alexander von Schlippenbach.

Auf Joanas Debütalbum bei der Plattenfirma Intercord aus dem Jahr 1971 stieß Produzent Vincent Graf von Schlippenbach in einer Kiste vor Jahren bei seinem Vinyl-Händler. © Intercord

„Über das Stück ,Für dich, du heile Welt’ von Joana bin ich schon vor über zehn Jahren gestolpert, als ich bei einem befreundeten Vinyl-Händler mal wieder die deutsche 70er-Jahre Schlagerkiste nach inspirierenden Platten durchsucht habe“, erinnert sich der 44-Jährige. „Ich wusste aber nie so richtig, in welchem Kontext ,Heile Welt’ wirklich Sinn machen würde, deswegen hatte ich es zwischendurch schon wieder völlig vergessen. Im Zuge der Produktion für das neue Marsimoto-Album „KI – Keine Intelligenz“ hatten wir mit den Krauts ein Instrumental, dessen Stimmung wir sehr mochten, aber es fehlte noch die richtige thematische Idee. Marsimoto habe ihn dann darum gebeten, „irgendeines meiner verrückten Wort-Samples“ da reinzubasteln, dann würde ihm schon was einfallen. „Ich probierte ein paar Sachen aus und stieß dann wieder auf ,Heile Welt’ von Joana. Mir war tatsächlich sofort klar, dass es genau das sein musste – es passte einfach zur düsteren Grundstimmung und auch zum Thema des Albums.“
Marteria habe dann in weniger als einer Stunde den kompletten Text geschrieben – „und der Song stand. Wir feilen gern mal ewig lang an Songs herum, aber mir ist es immer am Liebsten, wenn es so schnell geht wie bei diesem Lied.“

Das Tara-G.-Zintel-Zitat in Apaches Hit „Fame“ hat keine Rolle gespielt

Der ähnlich angelegte Hit „Fame“, in dem der in Mannheim geborene Rapper Apache 207 einen Schnipsel des Kinderlieds„Die Reise der Sonne“ (2013) von der Ludwigshafenerin Tara G. Zintel verwendet, spielte für „Heile Welt“ keine Rolle: „Ich muss zugeben, dass ich den Song bisher gar nicht auf dem Schirm hatte“, sagt der Erfolgsproduzent auf Nachfrage.

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Seine Qualitäten als Sample-Spürhund bringen Joana im Jahr ihres 80. Geburtstags ungeahnte Klickzahlen: „Heile Welt“ hat auf Spotify bisher mehr als 340 000 Aufrufe, ihr Original ist bei dem Streaming-Dienst gar nicht gelistet. Auf YouTube gibt es von „Für dich du heile Welt“ eine Standbild-Version mit rund 1650 Aufrufen. Der Marsimoto-Song kommt bei der Video-Plattform YouTube auf 92 000 Klicks.

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