Mannheim/Rostock. Rapper Marteria über sein neues Album „5. Dimension“, Stranden auf Barbados, positive Gefühle und das politisch umstrittene Konzert von Xavier Naidoo in seiner Heimatsdtadt Rostock.
Marteria, Ihre neue Platte „5. Dimension“ taucht noch tiefer als gewohnt in Club-Soundsphären ein – ein Ausdruck von Sehnsucht im Party-Lockdown?
Marteria: Das sehe ich ein bisschen anders. Ich habe mit DJ Koze und Siriusmo natürlich neue Produzenten, mit denen ich neben neben The Krauts zusammenarbeite. Ich bin kein Fan davon, alte Sachen aufzuwärmen und immer dasselbe zu machen. Ich versuche, Kunst immer an die erste Stelle zu setzen – und nicht den Hit. Ich bin auch Albumkünstler, versuche also, mir vorher einen Plan zu machen, einen Trip zu beschreiben, der ungefähr 45 Minuten dauert. Ich finde, dass das Album zu meinen Anfängen zurückführt, beziehungsweise zu Songs wie „Verstrahlt“, „Seit dem Tag als Michael Jackson starb“ oder „Endboss auf „Zum Glück in die Zukunft“ von 2010. Damals habe ich viel mit dem tollen Produzenten Robot Koch von Jahcoozi gearbeitet. Das sind sehr, sehr elektronische Songs – oder auch bei den Marsimoto-Projekten.
Woher kommt das, Sie sind doch in erster Linie Hip-Hopper?
Marteria: Elektronische Musik war immer wichtig, auch Grime und englische Sounds. Ich war nie der klassische Hip-Hop-Typ, außer vielleicht bei „Zum Glück in die Zukunft II“ von 2014. Ich glaube eher, dass ich mich auf der neuen Platte wiedergefunden habe. Wenn man mich nach meiner meinem Lieblingsalbum fragt, ist das eher „The Experience“ von The Prodigy und nicht „Enter The Wu-Tang“. Ich war schon immer eher das England-Rave-Kid und Fan von Massive Attack, Goldie, Tricky, Prodigy und Björk. Deshalb bin ich sehr stolz auf die Arbeit mit DJ Koze und Siriusmo, die weltweit ihren Ruf haben und für eine ganz besondere, sehr melancholische und berührende Musik stehen – und trotzdem sehr ravig und housig nach vorn gehen.
Das ist auffällig. Inhaltlich geht es zwar viel ums Nachtleben, aber keineswegs mit plumpen Abfeier-Songs, eher tiefschürfend und melancholisch. Das ist kurios, weil Sie die Linien für das Album in einem ziemlich harten Lockdown auf Barbados auf dem letzten käuflichen Laptop vor Ort gezogen haben sollen.
Marteria: Ja, aber das ist komischerweise oft so. Meine Lieblingsplatte von Björk ist zum Beispiel das total düstere „Homogenic“. Da dachte ich, das hat sie bestimmt auf irgendeinem Gletscher auf Island geschrieben. Dann gucke ich auf die Platte: Produziert auf Ibiza (lacht). Bei mir ist das eigentlich immer so, und es ist ja nicht, das erste Mal, dass ich zum Schreiben irgendwohin fahre.
Aber das war doch so nicht geplant, oder?
Marteria: Nein, das war schon eher Zufall. Ich war einer von den Gestrandeten in der Pandemie und vier Monate auf dieser Insel – verrückt! Aber das eher eisige, anarchische Marsimoto-Album „Ring der Nebelungen“ habe ich auch auf Jamaika geschrieben, allerdings in einem Monat. Die neue Platte ist vom Spirit her schon sehr im Berliner Nachtleben anzusiedeln, und nicht in der karibischen Raggaton- oder Reggae-Szene. Manchmal kann man dieses Gefühl auch an einem ganz anderen Ort treffen. Bei mir funktioniert es so am besten.
Wie oft konnten Sie feiern gehen seit der Pandemie? Oder drücken die Songs eher eine Sehnsucht danach aus?
Marteria: Natürlich, aber da ist alles mit drin. Und wer vergisst schon, wie man feiert? (lacht) Es ist jedenfalls sehr extrem diese Musik zu hören, wenn man nicht rausgehen kann – „Paradise Delay“ macht mir da schon Bock drauf. Es ist ja immer so: Wenn man Sachen nicht hat, werden sie größer und bekommen emotional eine andere Ebene. Aber ich versuche auch andere Ebenen und Lebenssituationen in den Songs unterzubekommen.
Neben Musik und Fußball ist Ihnen Reisen extrem wichtig. Die Erfahrung in einer Pandemie zu stranden, hat Ihr Fernweh nicht kuriert, oder?
Marteria: Auf keinen Fall. Reisen, vor allem Fliegen ist sicher nicht das geilste Ding für die Umwelt. Aber es ist eine enorme Errungenschaft. Weil es für die Gesellschaft unfassbar wichtig ist, dass man andere Kulturen, Leute und Farben kennenlernt. Man erweitert den Horizont und verliert dadurch die eigene Engstirnigkeit. Natürlich muss man sich das erstmal leisten können – und den Mut dazu aufbringen, womöglich Ängste überwinden. Aber das ist ja besonders wichtig heute. Denn viele Dinge werden von Angst bestimmt. Aber alles, was mit Angst beginnt, ist schlecht. Jeden Morgen mutig und positiv den Tag anzugehen, ist schon die halbe Miete. Das ist vielen Menschen vielleicht gerade abhandengekommen. Was verständlich ist. Aber das bekommt man auch wieder hin. An das Gute zu glauben, ist nicht schlecht, auch wenn es manchmal aussichtslos zu sein scheint.
Inhaltlich begegnet einem auf „5.Dimension“ ziemlich regelmäßig der Tod in den neuen Texten. „Niemand bringt Marten um“ so eine Art Pfeifen im Walde?
Marteria: Man schreibt erstmal das, was man schreibt. Okay, mit „DMT“ gibt es ein klares Lied für einen Freund, der verstorben ist. Aber es gibt ja nicht nur den einen großen Tod. „Niemand bringt Marten um“ handelt mehr von den vielen kleinen Toden, die man stirbt. Das Ende einer Freundschaft zum Beispiel. Dann fangen aber wieder neue Dinge an. Dafür braucht es wieder Mut. Man muss manchmal etwas beenden – oder poesietechnisch sterben -, um wieder ein neues Leben zu haben.
Vielleicht liege ich wieder falsch: Mir scheint in manchen Texten der Gedanke durchzuklingen, dass Sie mit bald 40 irgendwann mal der Letzte an der Bar aus Ihrem Freundeskreis sein könnten.
Marteria: Das kann alles sein. Man kann beim Musikhören ohnehin nicht falsch liegen. Musik ist immer schön, wenn sie offen bleibt, sich Fragen stellt und etwas von sich darin erkennt – oder etwas für sich daraus mitnimmt. Musik, die ich interessant finde, gibt mir dieses Gefühl – etwa ein neues Album von The Streets. Ich bin halt ein textlastiger Künstler und versuche, so ehrlich, gut und genau zu schreiben. Und ich glaube, mit dieser Platte habe ich einen ganz schönen Schritt gemacht, gerade weil sie viel mit Schwächen spielt.
Inzwischen ja sogar im harten Straßenrap nicht mehr unmöglich….
Marteria: Schwächen als Schwäche zu sehen, ist ja eh Quatsch – denn jeder hat sie ja. Der Vibe ist zurzeit ja gerade nicht „Ich bin groß und stark und kaufe mir einen Lamborghini.“ Das hat nichts Gutes, nichts Gesellschaftliches und das fühle ich einfach nicht. Mir geht es darum, ein positives Gefühl zu vermitteln und Dinge zu sagen, die ich so noch nicht reflektiert und gesagt habe.
Ich war in diesem Sommer gezwungenermaßen häufiger Zaungast in der Rostocker Bürgerschaft, dem Stadtrat ihrer Heimatstadt. Da ging es quasi um ein Verbot des auf 2022 verschobenen Xavier-Naidoo-Konzerts, das nun doch stattfinden wird. Wie sehen Sie das?
Marteria: Das Thema ist natürlich ein Fass ohne Boden. Ich sehe das wahrscheinlich wie die meisten Menschen eher zweischneidig: Aber wenn so abgestimmt wurde, wurde halt so abgestimmt. Und Demokratie muss solche Ansichten aushalten, auch wenn sie vielleicht wehtun. Und es gibt ja vielleicht auch positive Aspekte: Wenn so ein Konzert stattfindet, gibt es wahrscheinlich ja auch Gegendemonstrationen, die medial begleitet werden. Ich glaube auch nicht, dass jeder, der zu Xavier Naidoo geht, ein krasser Querdenker ist. Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die ist schon ewig ein krasser Fan seiner Musik. Xavier Naidoo ist ja auch ein Ausnahmekünstler. Sie kann das Drumherum total ausschalten, das gelingt mir wiederum nicht. Entscheidend ist auch, was auf der Bühne passiert – ob, das jetzt eine Predigt ist, die gesellschaftlich wichtige Dinge in Frage stellt, oder ob er einfach ein Konzert macht. Wenn da harte Rechtsrock-Mucke gespielt würde, wäre es etwas Anderes. Es gibt halt Menschen, die anders sind. Auch das liegt oft an Angst.
Wann glauben Sie, geht ein normaler Konzertbetrieb wieder los? Haben Sie Mannheim dabei schon irgendwie auf dem Tourplan?
Marteria: Das ist immer noch ein schwieriges Ding. Da wird geplant, geprüft, gemacht, getan. Ich bin immer sehr gern in Mannheim gewesen, aber in genau diesem Moment kann ich zum Wann und Wo leider noch nichts sagen. Das steht und fällt mit dem Zeitpunkt, an dem klar ist, dass Konzerte, so wie ich sie brauche, wieder stattfinden können.
Von Hansa zur „5. Dimension“
- Marteria alias Marten Laciny wurde am 4. Dezember 1982 in Rostock geboren. Er war Kapitän in der Jugend von Hansa Rostock und bis zur U17 Jugendnationalspieler.
- Seine erste Solo-Platte mit dem Titel „Halloziehnation“ veröffentlichte er 2006 als Kunstfigur Marsimoto. 2007 folgte „Base Ventura“ als Marteria. 2010 erreichte „Zum Glück in die Zukunft“ das erste Mal die Top 10. „Lila Wolken“ wurde 2012 seine erste Nummer-eins-Single, 2014 landete auch das Album „Zum Glück in die Zukunft II“ an der Chartspitze.
- Sein siebtes Album „5. Dimension“ erscheint am 15. Oktober bei Four Music/Sony. jpk
Und wie ist Ihr Gefühl bei den geplanten Auftritten bei Rock am Ring und Rock im Park, wo Sie 2022 eingeplant sind?
Marteria: Gut! Mein Gefühl ist immer erstmal gut (lacht).
Sie stehen auf der tatsächlich extrem männerlastigen Liste von Rock am Ring 2022? Empfinden Sie das Geschlechterverhältnis von 107:2 als Problem?
Marteria: Ich kenne das genaue Verhältnis nicht, aber ja, ich verstehe, wenn das hinterfragt wird. Die Musikauswahl für ein Festival wie Rock am Ring muss aber auch passen. Ich glaube nicht, dass sich ein Booker hinsetzt und sich sagt „Jetzt buche ich mal ein Festival, wo keine Frauen sind“. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Die Sichtweise der Frage ist mir auch zu negativ. Denn Frauen kommen doch gerade extrem raus. Wenn ich mir zurzeit ein Hip-Hip-Lineup wie beim Splash angucken würde, hätte ich zumindest 40, 50 Prozent Frauen. Zur Wahrheit gehört auch, dass Frauen im für die jüngere Generation wichtigen Hip-Hop- und Trap-Bereich gerade übernehmen und die erfolgreichsten Künstlerinnen sind.
Anderes Festivalthema: Für einen Vielflieger sind Sie sehr umweltbewusst, Ihr Label Green Berlin arbeitet mit Plastik aus dem Ozean. Ist es irgendwann an der Zeit, dass Sie nur noch bei grünen Festivals mit neutraler Klimabilanz auftreten?
Marteria: Wir sind nicht die perfekten Menschen und würden das auch nicht sein wollen. Aber ich glaube, wir sind da in einer Phase des gesellschaftlichen Wandels, in der jeder seine Rolle finden muss. Den jüngeren Menschen fällt es etwas leichter als den Älteren, sich auch mal umzugewöhnen oder neue Wege zu gehen. Ich hoffe, dass es irgendwann so ist, dass Dinge sehr, sehr klimaneutral passieren. Zurzeit ist Musik zu machen jedenfalls nicht sehr klimaneutral. Auf der anderen Seite gibt sie den Menschen Emotionalität, Erlebnisse und Denkanstöße, was auch wichtig ist. Das sind die beiden Seiten der Medaille. Es wäre schön, wenn auch Fliegen mit neuen Treibstoffen klimafreundlicher möglich wäre. Aber die zentralen Themen, um das Klima wirklich zu verändern, sind andere Dinge: Welche Ressourcen man nutzt, wie die Effizienz der Nutzung gesteigert werden kann, welche Alternativen entwickelt und etabliert werden, vor allem. Das sind wichtige Dinge. Da passiert auch gerade sehr viel, aber wir sind da eben auch noch am Anfang. Ich wünsche mir, dass sich dieser Wandel schon in ein paar Jahren weltweit und generationenübergreifend etabliert hat. Es ist ja auch interessant und wir können auch ein bisschen stolz darauf sein, dass wir gerade Teil dieses großen Wandels sind.
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