Porträt

Wie Popakademiker Engin Devekiran die Hörgewohnheiten kitzeln will

Das Indie-Pop-Trio Engin aus Mannheim stellt im Kulturzentrum dasHaus am 24. Mai sein Debütalbum „Nacht“ vor - eine ungewöhnliche Mischung aus hitverdächtigen Melodien, Rock-Gitarre und deutsch-türkischen Texten

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Eine typische Mannheimer Band dieser Tage auf ungewöhnlichem Weg (von rechts): Musikhochschulabsolvent Jonas Stiegler (Schlagzeug) sowie die Popakademiker Engin Devekiran (Gesang, Gitarre) und David Knevels (Bass) machen ambitionierten deutsch-türkischen Indie-Pop. © Capadol

Mannheim. Einen hartnäckigeren Ohrwurm hat man sich live selten eingefangen. Als das Trio Engin beim Mannheimer Auftakt der baden-württembergischen Dialog-Offensive „PopLänd“ die Pausen füllte, war es aber nicht nur die eingängig-luftige Nummer „Stillgelegte Tränen“, die für viel Lob und aufmerksames Zuhören sorgte. Denn die (zuletzt etwas aus der Mode gekommene) Deutschpop-Eingängigkeit ist nur einladende Fassade: Dahinter konstruieren die Wahl-Mannheimer zu (sehr guten) deutsch-türkischen Texten einen immer wieder überraschenden Stilmix aus hochklassigen Indie-Rockgitarren und -Rhythmen mit mitreißenden Elementen aus der türkischen Popmusik der 60er und 70er Jahre. Das hat man so konsequent und mit hitverdächtigem Pop-Appeal noch nicht gehört – nur bei einzelnen Kooperationen wie im Rahmen von Peter Maffays „Begegnungen“-Projekt oder in Spurenelementen bei Apache 207.

Verewigt hat die Band um den frisch gebackenen Popakademie-Absolventen Engin Devekiran diesen Ansatz auf ihrem gerade erschienenen Albumdebüt „Nacht“. Das stellen der Brettener, sein Freund aus Kindertagen Jonas Stiegler (Schlagzeug) und David Knevels (Bass) am 24. Mai auf der zweiten Station ihrer ersten ausgedehnten Deutschland-Tour live in Ludwigshafen vor. Nur bei den Konzerten gibt es das nocturne Konzeptalbum auch physisch zu kaufen.

Deutschland-Tour läuft gut an

Während sich die Streaming-Zahlen noch in Grenzen halten, laufe die Tour laufe erfreulich gut, berichtet Devekiran im Gespräch. "Der Auftakt in Karlsruhe war echt cool." Der nächste Termin in Köln ist ausverkauft, für die Düsseldorfer Show wurde die Kapazität vergrößert. Danach geht es u.a. nach Berlin. Leipzig, Hamburg oder Stuttgart. „Wir wollen in diesem Jahr 50 Konzerte spielen. Und nächstes Jahr noch mehr“, sagt der in sich ruhende 29-Jährige. Das könnte vermessen klingen. Tut es bei ihm nicht.

Dass Devekiran so geerdet wirkt, liegt auch daran, dass er mit fast 30 nicht gerade das Nesthäkchen unter den Besitzern eines Bachelor-Abschlusses der Popakademie ist. Der Sänger, Songwriter und Komponist traf erst vor vier Jahren die Entscheidung, Musik zum Beruf zu machen. Der eine späte Auseinandersetzung mit der eigenen Identität folgte, die den heutigen kreativen Weg ebnete.

Zur Person, zum Album, zum Konzert

  • Engin Devekiran wurde 1993 in Bretten bei Karlsruhe geboren. Der jüngste Sohn eines türkischen Vaters und einer badischen Mutter entdeckte mit sechs Jahren die Liebe zur Gitarre. Sein Großvater war Künstler und ein erfolgreicher Instrumentenbauer in Istanbul.
  • Studiert hat er Psychologie in Heidelberg, Dublin und München. Dort fasste er den Entschluss, Profi-Musiker zu werden. Seine Masterarbeit beendete er 2019 – im ersten Semester an der Mannheimer Popakademie. Den Bachelor Popmusikdesign schloss er im März 2023 ab.
  • Zu Engin gehören Devekirans Jugendfreund Jonas Stiegler (Drums, Percussion, Synthesizer), der an der Mannheimer Musikhochschule studiert hat, und Popakademiker David Knevels (Bass) aus Koblenz.
  • Engins Debütalbum „Nacht“ ist auf allen Digital-Plattformen erhältlich – und bei Konzerten auch als CD und Vinyl (in kleiner Auflage).
  • Live zu sehen ist das Trio am Mittwoch, 24. Mai, 20 Uhr, im Ludwigshafener Kulturzentrum dasHaus. Abendkasse: 10 Euro. 

Mit blonden Haaren und sehr badischer Physiognomie sieht er fast aus wie ein Sohn von Oliver Kahn. Dabei ist Engin Devekirans Vater als seinerzeit sogenanntes Gastarbeiterkind in den 60er Jahren aus Istanbul nach Bretten gekommen. Der jüngste Spross der deutsch-türkischen Familie beherrschte anfangs seine „Vatersprache“ perfekt. Aber Deutsch dominierte mehr und mehr in der Familie und im sozialen Umfeld. Dementsprechend gering war die Rolle, die türkische Kultur in Engins Jugend gespielt hat.

Jimi Hendrix und die Red Hot Chili Peppers als frühe Idole

Zumal er sich schon mit sechs Jahren für die Gitarre begeisterte. Eine Leidenschaft, die ein exzellenter Gitarrenlehrer befeuerte – und Inspirationen wie Jimi Hendrix oder die Red Hot Chili Peppers: „Das waren früher meine Idole.“ Die Idee, Jazz-Gitarre zu studieren, verwarf er aber. Stattdessen machte er den Master in Psychologie – und entdeckte 2018 im letzten Studienjahr in München, seine Stimme. „Es hat ein paar Jahre gebraucht, bis ich mich nicht mehr versteckt habe und meinen Gesang selbst ertragen konnte“, erinnert sich der Mann mit dem wohltuend warmen Bariton amüsiert. Aber so wurde es ernst mit der Musik. Devekiran begann Texte und Songs zu schreiben.

Aus den eher folkigen Solo-Anfängen wurde durch ein Schlüsselerlebnis mehr: Ohne große Erwartungen bewarb er sich für das Vorprogramm des Songwriters, John-Frusciante- und Ry-Cooder-Schülers Robert aus Los Angeles in Berlin – mit dem einzigen ausgearbeiteten Song, den er damals hatte. „Ich und Jonas finden seine Musik großartig, und ich bin aus allen Wolken gefallen, als die Zusage von ihm kam.“ Schnell musste er eine halbe Stunde Programm zusammenzimmern und fuhr „todesnervös“ nach Berlin: „Es war wunderschön.“ Eine durchgemachte Nacht und ein zweiter Gig an der Ostsee folgten.“ Danach war klar: „Jetzt werde ich Musiker!“

Orientalische Musikakademie als Glücksfall

So bewarb sich Devekiran an der Popakademie in Mannheim, wo sein Freund Jonas Stiegler nach dem Jazz-Studium an der Musikhochschule lebte. Dort fand sich mit Spiral-Drive Bassist David Knevels der Dritte im Bunde. Das Trio wohnt im Umkreis von 300 Metern im Jungbusch und wuchs in langen gemeinsamen Nächten mit Musik, Gesprächen und Feiern zur Band Engin zusammen. Deshalb durchzieht das Album auch die „Nacht“-Thematik, teilweise mit typischen Mannheimer Impressionen.

Musik als Identitätsstifter

Sein persönliches Studienziel hat der Engin-Kopf erreicht: „Ich wollte Zeit haben, an meinen Fähigkeiten zu arbeiten und eine künstlerische Identität auszubilden.“ Die Möglichkeiten durch in die Popakademie integrierten Orientalischen Musikakademie seien für ihn ein Glücksfall gewesen: So konnte er türkische Musik in sein Studium integrieren. Massa-Sänger Rabih Lahoud habe ihm das das Ohr geöffnet für „orientalische“ Klänge. Dazu kam die Arbeit mit dem 2022 verstorbenen, stilistisch sehr offenen Gitarren-Dozenten Jörg Teichert. „So habe ich meine türkische Seite wiederentdeckt.“ Und auch gelernt, dass an eine E-Gitarre wie eine Saz spielen kann.

Außerdem habe er in der Corona-Zeit angefangen, intensiv türkische Musik aus den 60er und 70er Jahren zu hören. „Da habe ich gemerkt: Das spricht zu mir. Es klingt so vertraut – so dass mir klarwurde, dass ich meine Identität noch gar nicht ausgeschöpft habe. Dabei dachte ich, dass ich weiß, wer ich bin.“

Das sei auch der Ausweg aus einer kreativen Sackgasse gewesen. „Ich habe dann erkundet, was türkisch an mir ist, und wie ich diese Wurzeln zum Klingen bringen kann.“ Das gelingt auf „Nacht“-Konzeptalbum mit so bemerkenswerter Selbstverständlichkeit und in den türkischen Passagen emotional so tief, dass es ein ganz breites Publikum begeistern kann.

„Es gehört zur deutschen Popmusik“

Angst, sich mit dem konsequent deutsch-türkischen Ansatz zwischen die Stühle zu setzen, hat der 29-Jährige nicht: „Ich finde es eher crazy, dass türkische Musikelemente immer noch in so einer Exotik-Kiste sind. Dabei sind die Menschen schon so viele Jahre hier. Man kann das das ja sehr geschickt miteinander verbinden. Es sollte normal sein, denn es gehört zur deutschen Popmusik dazu.“ Das sei auch das Anliegen von Engin: „Es ist vielleicht der unbequeme Weg und kitzelt schon die Hörgewohnheiten der Leute. Aber unser Ziel ist es, etwas zusammenzubringen, damit sehr unterschiedliche Leute zu unseren Konzerten kommen. Wir spielen auch Eigeninterpretaionen türkischer Klassiker – auch, damit Deutsche merken, wie viel gut geschriebene Popmusik da dabei ist.“

 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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