Mannheim. Drangsal, da wir uns bereits kennen, fange ich ausnahmsweise nicht mit einer Frage an Stella Sommer an: Abgesehen vom Vorprogramm beim Open Air der Ärzte 2022 hat man Sie in Mannheim zuletzt 2021 beim Maifeld Derby live gesehen – mit roter Teufelsmaske aus Latex und großem Rockstar-Gestus. Nun veröffentlichen Sie ein Duo-Album als Die Mausis – was ist da los? War ein Exorzist am Werk?
Drangsal: Die Teufelsmaske wollte ich nicht überstrapazieren. Die ist seit 2021 fachgerecht eingelagert, mit Babypuder und im Dunkeln. Passiert ist eine Menge. Ich wollte eigentlich eine kurze Pause machen – von Social Media und Tourneen. Oder das zumindest stark einschränken. Aber dann standen die Planeten insofern günstig, als dass sowohl Stella als auch ich mal keine Veröffentlichung mit unseren jeweiligen Soloprojekten hatten. Deswegen sind wir wieder zusammen gekommen als Die Mausis.
Da ist die Vorgeschichte interessant. Frau Sommer, wie sind Sie denn an Herxheims größten Popstar geraten?
Drangsal (lacht laut): Jetzt aber!
Stella Sommer: Wir haben uns 2015 auf einem Festival von Messer-Sänger Hendrik Otremba getroffen. Ich glaube, ich hatte Geburtstag – und er hat mir ein kleines Pferd von der Tankstelle als Geschenk besorgt. Dann sind wir in Kontakt geblieben, und er hat 2016 auf meinem Album „Pop & Tod I + II“ mitgesungen.
Wie kam es dann zu der Idee, Musik als Duo aufzunehmen und sich die Mausis zu nennen?
Drangsal: Es ist einfach so, dass ich es am spannendsten finde, mit Künstlerinnen oder Künstlern zusammen zu arbeiten, deren Arbeitsweise und Oeuvre am meisten von meinen eigenen entfernt sind. Da ich Stella als Schreiberin von Texten und Musik schon immer inspirierend fand, war es ein Wunsch für mich, mit ihr zu arbeiten. Das entwickelte dann eine Eigendynamik. Dass es bisweilen bei Die Mausis auch eine komödiantische Färbung bekommen hat, das liegt daran, dass wir einen ganz eigensinnigen Humor teilen. Der sich daraus speist, dass sich unsere Soloprojekte meistens sehr ernsten, eher düsteren Themen verschrieben haben. Aber so ganz ohne Sonnenschein kommt nichts für immer aus – auch in der Musik nicht.
Zum Album
- Die Mausis sind „Deutschlands kleinste Supergroup“ – bestehend aus Stella Sommer und Drangsal. Sie debütierten live beim Preis für Popkultur 2018, zuvor erschien 2017 eine EP. Das Albumdebüt „In einem blauen Mond“ folgt am 16. August als LP, CD und digital.
- Stella Sommer wurde 1987 in Husum geboren. Mit ihrem Projekt Die Heiterkeit erntet die Singer/Songwriterin seit 2010 viel Kritikerlob.
- Max Gruber alias Drangsal erblickte am 4. August 1993 in Kandel das Licht der Welt und wuchs in Herxheim auf. Das Debütalbum „Harieschaim“ (2016) brachte ihm den Preis für Popkultur und eine Echo-Nominierung.
Haben Die Mausis eine therapeutische Wirkung für Sie? Weil Sie dabei Dinge schreiben können, die sonst nicht möglich sind?
Drangsal: Klar. Aber mein Therapeut ist in Urlaub.
Sommer: Auf jeden Fall. Schon dadurch, wie wir gearbeitet haben: Normalerweise würde man viel am Computer sitzen und sich Dateien schicken. Aber wir haben uns wirklich einmal die Woche zusammen in Berlin in einen Raum gesetzt und geschaut, was passiert. Da hatten wir einfach Spaß daran. Man muss auch dazu sagen: Dieses Schreiben kann man ja nicht mit jedem. Bei uns klappt es so gut, dass wir uns besser nicht zusammen auf das Sofa da drüben setzen. Weil da eine Gitarre steht ... sonst geht es gleich um das nächste Album.
Drangsal: Es reicht meistens ein Satz, dann geht es los. Zum Beispiel „Fieslinge hassen diesen Trick“.
Wie ist denn nun dieser sehr markante Bandname entstanden?
Drangsal: Die Wahrheit? Es ist im Prinzip ja so, dass Bandnamen mit The am besten funktionieren. Im Deutschen mit Die. Da es Die Heiterkeit, Die Ärzte oder Die Nerven schon gibt, mussten wir überlegen: Was würde man denn am ehesten über uns denken, wenn man uns beide zum Beispiel auf einem Foto sieht. Da waren wir uns einig: Es gibt nur einen Namen, der in Frage kam – und das ist Die Mausis. Außerdem brauchten wir für eine gemeinsame Version von „Blue Moon“ schnell einen Namen, und Stella Sommer & Drangsal war uns nicht schmissig genug.
Sommer: Und schmissiger als Die Mausis geht es halt nicht.
Ich muss zugeben, dass ich die Platte zunächst als Kinderalbum gehört habe – nicht nur wegen des Bandnamens und des hübschen, kindgerechten Intros. Sehen Sie das komplett anders?
Drangsal: Schreiben Sie das bitte! Ich würde nämlich gerne mal richtig reich werden mit Musik. Und Stella auch. Ich glaube, dass das ein Markt ist, aus dem man noch den einen oder anderen Euro rausquetschen kann. Wer immer das hier liest und Verbindungen hat: Bitte auf uns zukommen – wir wollen in den Kindermusikmarkt einsteigen!
Sommer: Und wir wollen Tonie-Boxen.
Natürlich hört man das Album auch als Erwachsener gern. Aber ich habe das Gefühl, viele der Songs könnten Kinder an Indie-Pop heranführen – gerade wegen ihrer Kanten und textlichen Untiefen. Ist das Absicht?
Sommer (lacht): Nein.
Drangsal: Sagen wir es so: Der Themenkomplex Maus als kleines, flauschiges, verletzliches Wesen, der eignet sich letztlich auch für kleine, flauschige, verletzliche Songs. Wenn man sie dann klein, flauschig und verletzlich arrangiert, dann haben sie auch etwas Kindgerechtes. Daher rührt wahrscheinlich Ihr Gedanke, dass es Kinderlieder sein könnten.
Sommer: Wenn man Pop einfach arrangiert, ist man natürlich schnell bei Kindermusik.
Das Lied „In einem blauen Mond“ kann man auch hervorragend als Motivationshymne oder Mantra nutzen, wenn man den Refrain laut mitsingt: „Ich finde meinen Frieden und ich finde meinen Platz. Ich finde meine Mitte und ich finde meine Kraft. Ich finde meinen Glauben und ich finde mein Glück – doch ich finde nicht zu Dir zurück“. Ist das Absicht?
Drangsal: Ich möchte Ihre Illusionen ungern mit Füßen treten und nicht die Motivation aus dem Song raussaugen. Aber rein historisch betrachtet, ist es ein wahnsinnig trauriges Stück, das wir nach einer Beerdigung geschrieben haben. Wir wollten das, was uns zuerst zusammen gebracht hat – diese Coverversion von „Blue Moon“ – kombinieren mit dem, was uns zuletzt traurigerweise zusammen gebracht hat. Das war die Beerdigung von Kristof Schreuf, dem Sänger der Band Kolossale Jugend unter anderem. Wenn man sich den Text unter diesem Gesichtspunkt zu Gemüte führt, wird relativ schnell klar, dass man sich jemanden zurückwünscht, den man nicht mehr haben kann. Und das nicht, weil man sich getrennt hat, sondern weil er aus dem Leben geschieden ist.
Sommer: Was ich an dem Lied so gerne mag, ist, dass es so viele Ebenen haben kann. Man kann es auf alles projizieren, wie es bei Popmusik oft der Fall ist. Es ist eine einzige Projektionsfläche.
Drangsal: Das ist ja das Beste. Ich höre so viel Musik, die mich zum Beispiel unterwegs beim Sport zu neuer Hochform auflaufen lässt. Dabei geht es im Text vielleicht um ganz andere Dinge. Aber ich fand es schon immer wichtig, dass einem das auch egal sein kann, welche Ursprungs-idee einem Text zugrunde lag. Das weiß man beim Schreiben manchmal selbst nicht so ganz genau.
Noch ein Versuch: Das Lied „Wahr oder erfunden“ könnte man auch als freundliche Ansprache an das postfaktische Publikum verstehen – also an Trumpisten, Verschwörungsgläubige, Leute, die denken, der Mond sei aus Papier oder Käse.
Drangsal: Da würde ich gern kurz drüber nachdenken ... In meiner Musik ist es ja ein immer wieder kehrender Themenkomplex, dass man an sich selbst gebunden ist. Das kommt auf jedem meiner Alben irgendwie vor: Dass man sich selbst nur sehr schwer entfliehen kann. Egal, wie die äußeren Umstände angepasst werden: Am Ende des Tages wacht man doch immer in sich selbst auf und kann die Seele nicht einfach fliegen lassen.
Apropos: Sie geben zusammen mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow einen Anlage-Tipp: Käse! Funktioniert das finanziell tatsächlich? Oder ging es bei „Ich leg mein Geld in Käse an“ nur um das schöne Kunstlied-Intro à la Tocotronic?
Drangsal: Wussten Sie, dass Käse wirklich als Anlagetipp gehandelt wird? Weil es so ganz alten Käse gibt, der ähnlich hoch gehandelt wird wie alter Wein. Darauf wurden wir jetzt schon häufiger hingewiesen. Es ist ja immer so, dass man etwas singt – und es wird. Also: Life imitates Art – das Leben imitiert die Kunst. Mehr als umgekehrt. Von daher wundert mich das überhaupt nicht. Und Dirk war derjenige, der den Impuls gab, einen Song mit diesem Titel zu schreiben. Er hat auch einfach wie alle Songwriterinnen und Songwriter, die Jahrzehnte lang aktiv sind, Fühler, die immer sensibler werden. Liederschreiben ist wie ein Déjà-vu, das man sich selbst kreiert. Jahre später versteht man erst, was man damit wollte. Die Idee zu dem Lied ist schon von 2018 und brauchte einfach Zeit zum Reifen – wie ein guter Käse.
Ist dieses Album mit den Mausis eine einmalige Sache für Sie beide – oder wechseln Sie das flauschige Duo künftig mit ihren Hauptprojekten ab?
Sommer: Die Mausis wird es immer geben. Die Frage ist nur, ob sie Musik veröffentlichen (lacht).
Bislang sind nur zwei Konzerte geplant, am 16. August im Berliner Berghain und am 21. im Hamburger Kampnagel – gibt es noch eine richtige Tournee?
Drangsal: Eine Platte zu machen ist die eine Sache, live aufzutreten eine andere. Eigentlich wollten wir überhaupt nur ein Konzert spielen. Wir haben beide einfach viel zu tun. Der Grund, warum es erst jetzt dieses Album gibt, ist ja, dass an erster Stelle Stella Sommer und Die Heiterkeit beziehungsweise ich als Drangsal stehen. Da gibt es viel zu tun. Zumal ich jetzt auch das erste Mal mit der Band Die Benjamins gespielt habe. Sich alles zu voll zu laden, würde dem einzelnen Projekt nicht gerecht. Wenn Stella und Ich Die Mausis machen, dann aus Spaß an der Freude. Je mehr das behandelt wird, wie so ein Standard-Band-Ding, desto mehr Planung bedarf es. Die Logistik, Abrechnungen ...
Sommer: Und der Druck kommt dazu. Aber wenn da jetzt eine Anfrage kommt, bei der wir denken: Das könnte Spaß machen – dann spielen wir dort auch. Wenn es zeitlich passt.
Viele der Lieder würden live gut funktionieren. Wenn man dann noch ein paar Songs von Die Heiterkeit oder Drangsal „vermausit“, hätte man ein Programm, das auf die Straße drängt, oder?
Drangsal: Den Gedanken hatten wir auch kurz. Haben das aber wieder verworfen.
Sommer: Eigentlich war von Anfang an klar, dass wir keine große Tour spielen. Nur Sachen, die passen und Spaß machen. Denn Stress haben wir ja genug mit unseren Projekten.
Würde das Mannheimer Maifeld Derby anfragen – wäre das den Mausis spaßig genug?
Drangsal: Das würde ich natürlich sofort machen. Weil es sich für mich immer mit einem kleinen Heimatbesuch verbinden lässt. Ich mag auch das Festival an sich. Weil es ein Programm hat, das immer irgendwie meinen Geschmack trifft. Ich hoffe, dass ich nächstes oder übernächstes Jahr mit einem neuen Drangsal-Album dort auftreten darf. Falls es eventuell eins gibt (lacht). Und wenn Veranstalter Timo Kumpf für Die Mausis anfragt – mein Herz ist bereit.
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