"MM"-Stadtgespräch

Warum Kunst und Kultur gerade heute genug Geld brauchen

„Wie viel Kunst können wir uns (noch) leisten?": Über diese Frage hat in der Alten Mannheimer Schildkrötfabrik ein hochkarätig besetztes Podium diskutiert

Von 
Martin Vögele
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Wie viel Kunst können wir uns (noch) leisten? Darüber diskutieren (von links): Timo Kumpf, Karin Heyl, Thorsten Riehle, Stefan M. Dettlinger, Eva Gentner und Tilman Pröllochs. © Markus Proßwitz

Mannheim. So hochkarätig wie sachkundig ist das Podium beim „Mannheimer Morgen“-Stadtgespräch besetzt, das sich in der Alten Schildkrötfabrik Mannheim der kulturpolitischen K-Frage stellt: „Wie viel Kunst können wir uns (noch) leisten?“ Sie bildet den Ausgangspunkt, um gute zwei Stunden lang tief, kritisch und Perspektiven-reich in eine hochkomplexe, weit in die (Stadt)Gesellschaft hineingreifende Gemengelage einzutauchen.

Künstlerin auf dem Podium: Eva Gentner. © Markus Proßwitz

Die Stadt gibt dieses Jahr für die Kultur rund 95 Millionen Euro aus

Auf der einen Bühnenseite: Thorsten Riehle, Mannheims Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur; daneben Karin Heyl, Mitglied im Stiftungsrat der Crespo Foundation und bis Ende 2023 Leiterin des Gesellschaftlichen Engagements der BASF, sowie Konzertveranstalter Timo Kumpf, der Mannheim mit dem Indie-Kleinod Maifeld Derby auf die internationale Festivallandkarte gerückt hat.

Kultur-Bürgermeister Thorsten Riehle findet, dass die Theater-Tickets zu günstig sind. © Markus Proßwitz

Auf der anderen: Tilmann Pröllochs, Geschäftsführender Intendant des Mannheimer Nationaltheaters (NTM), und Eva Gentner, Künstlerin und Kuratorin des Lions Art Junge-Kunst-Festivals - das als Initiativkraft hinter diesem Gespräch in der glänzend gefüllten Anselm Kiefer Halle der Alten Schildkrötfabrik wirkt. Noch bis Freitag werden dort die Werke junger Kunstschaffender gezeigt.

Maifeld Derby-Chef Timo Kumpf auf dem Podium. © Markus Proßwitz

In Zeiten von schwächelnder Weltkonjunktur, von Verwerfungen und von vielen ökologischen Problemen, die es zu lösen gilt, sei „Kunst und Kultur notwendig, um eine lebendige und weltoffene Gesellschaft überhaupt zu ermöglichen“, betont Lions-Akteur Markus Haass, der das Festival mit Wolfgang Hutt federführend organisiert, in seiner Begrüßung.

Stiftungsrätin Karin Heyl auf dem Podium. © Markus Proßwitz

„Es geht um Kultur, es geht um Geld“ und darum, „wie die beiden miteinander zusammengehen können“, fasst Moderator und „MM“-Kulturchef Stefan M. Dettlinger das Thema konzise zusammen, der eingangs eine umfassend-kurzweilige Einführung in die Kunst- und Kulturfinanzierung gibt.

Der Geschäftsführer der HAAS Mediengruppe Florian Kranefuß erklärt die digitale Strategie der Kulturberichterstattung. © Markus Proßwitz

Der Mannheimer Gesamthaushalt für 2024 beträgt demnach gut 1,6 Milliarden Euro, für die Kultur gebe die Stadt hiervon rund 95 Millionen Euro aus. Das macht: fast sechs Prozent und damit „deutlich mehr als deutsche Kommunen im Durchschnitt geben.“

Der Saal der Alten Schildkrötfabrik war voll: Kurz vor Beginn mussten für das Stadtgespräch sogar noch Stühle dazugestellt werden. © Markus Proßwitz

Davon entfielen - je nach Rechnungsweise - zwischen 34 und 54 Millionen aufs NTM, weitere 9,2 Millionen auf die Reiss-Engelhorn-Museen und 6,4 Millionen auf die Kunsthalle. Ein gegenübergestelltes Beispiel: Das Maifeld Derby bekomme 100 000 Euro Förderung jährlich.

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Den Aufwuchs des vergangenen Jahres „von immerhin 700 000 Euro“ bei den institutionellen Kulturförderungen werde es nach Einschätzung von Thorsten Riehle in den nächsten Jahren nicht mehr geben. Aber er betont ebenso, „dass wir es uns als Kulturgesellschaft überhaupt nicht werden leisten können, an der Stelle einen Rückschritt zu machen“. Schließlich gehe es „um demokratische Grundwerte“, um den Zusammenhalt und darum, auch Menschen jüngeren Alters in der diversen Mannheimer Stadtgesellschaft „eine kulturelle Perspektive zu geben“.

War der Meinung, dass die meisten Künstler ihrem Hobby nachgehen: Wolfgang Bühler. © Markus Proßwitz

Er verstehe sich mit seinen Veranstaltungen auch als „Brücke“, so Kumpf, „von dieser Jugendkultur zur Erwachsenen-Hochkultur“. Er sei nach wie vor dankbar für die 100 000-Euro-Förderung, die zehn Prozent des kompletten Festival-Haushalts ausmachten und „mit der ich sehr, sehr verantwortungsvoll umgehe“: Er selbst sei der einzige Angestellte der gemeinnützigen Maifeld-GmbH.

Eine Anmerkung hatte auch dieser Lions-Club-Vertreter: Jan Papenhagen. © Markus Proßwitz

Bei seiner anderen, nicht gemeinnützigen Konzertveranstaltungsfirma habe er noch zwei Angestellte, „und zu dritt haben wir diesen Monat insgesamt 60 000 Menschen auf dem Maimarktgelände“ - wo aktuell das Zeltfestival Rhein-Neckar stattfindet.

Nationaltheaterintendant Tilman Pröllochs. © Markus Proßwitz

„Bei mir kommt in der Tat sehr viel vom Bund“, schilderte Eva Gentner, wie sie sich als freie Künstlerin finanziere. Und sie glaube, dass sehr viele von den Bildenden Künstlern, die sie jetzt habe kennenlernen dürfen, „ähnlich wie ich Jahr für Jahr Anträge stellen, viel auch beim Bund, und es immer wieder auch schaffen, diese Gelder in die Stadt Mannheim zu bringen, mit den Projekten, die sie umsetzen“. Bislang vergeblich sucht sie ein Atelier: „Ich glaube, die Raumfrage ist krass geworden in den letzten Jahren.“

Auch Josef Zimmermann hatte dem Podium etwas mitzuteilen. © Markus Proßwitz

Grundsicherung oder private Unterstützer für freie Künstler

Tilman Pröllochs geht davon aus, „dass es keine aktuelle Besonderheit ist, dass es zu wenig Geld gibt für die Kunst und die Kultur“. Dies sei vielmehr „der Kunst und Kultur immanent“, und dabei gebe es „keinen Unterschied zwischen einer großen Institution und einem Individualkünstler“. Das Thema „Neid“ - das auch Kumpf schon angesprochen habe - gebe es zwar unter Kulturschaffenden, aber es sei „absolut nicht hilfreich“, so Pröllochs, der hier auch das komplexe Thema der verschiedenen Tarife für die Theater-Beschäftigten erörtert.

Er regte ein Kulturmagazin für die Stadt oder Region an: Jörn Wörns. © Markus Proßwitz

Nicht zuletzt wird über die Möglichkeit einer Art Grundsicherung für freie Künstler gesprochen: „Wahrscheinlich würde es am ehesten reichen“, sagt Gentner mit Blick auf ihren eigenen Fall, „wenn man Honorare bezahlen und nicht das Arbeiten umsonst erwarten“ würde. Grundsätzlich sei es gut, wenn es möglichst viele verschiedene Finanzierungswege und -instrumente für Kunst und Kultur gebe, erläutert Heyl auf die Frage, ob private Unterstützer in die Bresche springen könnten, um das Finanzierungsniveau für die Szene zu halten oder sogar weiterzuentwickeln. Sie sehe dabei, dass Unternehmen, als Teil einer Kulturgesellschaft „natürlich eine Verantwortung haben“, auch dafür, dass „ein zivilisiertes Zusammenleben funktioniert“.

Auch Zuschauerin Eva Witt hatte eine Frage ans Podium. © Markus Proßwitz

Mit Blick auf Finanzierungsmodelle bemerkt Riehle, er sei am Samstag im NTM-Schauspiel gewesen, bei einer großen Produktion: „Da kostet eine Karte 41 Euro. Ich finde, das ist zu billig“, sagte er. Er regt an, über „ein solidarisches Preissystem“ nachzudenken, wo diejenigen, „die mehr ausgeben können“, auch dazu animiert würden. Hinsichtlich der Möglichkeit eines vernetzenden runden Tischs kündigte Riehle an, dass es von ihm vor der Sommerpause ein Angebot an alle Kulturschaffenden geben werde, sich zusammenzusetzen, um „bestimmte Debatten miteinander führen zu können“.

Lions Art - Das Junge Kunst-Festival

 

  • Das „MM“-Stadtgespräch fand im Rahmen von Lions Art - Das Junge Kunst-Festival statt, das noch bis Freitag, 21. Juni, in der Alten Schildkrötfabrik in Mannheim-Neckarau (Flußwörthstraße 36-38) ausgerichtet wird.
  • Bei der neunten Ausgabe werden Arbeiten von Hanna HeidtKristian Kühn, Jordan Madlon, haru apa nyx und André Wischnewski gezeigt. Geöffnet ist die Ausstellung täglich von 14 bis 22 Uhr, am Mittwoch von 14 bis 17 Uhr.
  • Im Festivalprogramm präsentiert Philipp Herold am Dienstag, 18. Juni, einen Poetry Slam mit Daniel WagnerAnna Luca AmesJonas Neuhäuser und Ria Luft. Am Donnerstag, 20. Juni, spielt die Popakademie-Band Jupyter, und am Freitag, 21. Juni, gibt es Tanz mit Martina Martin (Beginn jeweils 19.30 Uhr). Die Karten kosten immer 15 Euro plus VVK-Gebühr (alle Infos unter www.lions-art-mannheim.de). mav

Im Zuge der regen Diskussion danach mit den Besuchenden greift zudem „MM“-Geschäftsführer Florian Kranefuß zum Mikrofon, um auf eine Zuschauerfrage hin die Vielfalt der redaktionellen Angebote und Berichterstattung rund um das regionale Kulturgeschehen zu illustrieren. „Kunst und Kultur als Teil der Demokratie“, bekräftigt Timo Kumpf in seinem Schlusswort, „ist momentan, glaube ich, wichtiger denn je.“

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