Mannheim. „Wir tun Dinge, für die es noch gar keinen Namen gibt.“ Die Songzeile, mit dem die US-Rockband Jefferson Airplane 1967 die Utopien der Hippie-Bewegung anpries, passt auch auf die Klangvisionen der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM). Am Samstag, 20. Mai, um 19 Uhr feiert die OMM ihr 15-jähriges Bestehen mit einem Jubiläumskonzert in den rem. Eine gute Gelegenheit, um sich die Besonderheit dieser Initiative bewusst zu machen. Der Leiter des Enjoy-Jazz-Festivals, Rainer Kern, hält die OMM sogar für „weltweit einzigartig“. Die hohe künstlerische Qualität lasse seine internationalen Gäste „immer weder staunen und aufhorchen“.
Was das Kollektiv in seinem Hinterhof-Domizil im Jungbusch erschafft, ist in der Tat innovativ. Die OMM entwickelt eine bislang unerhörte Klangsprache, in der Elemente aus verschiedensten Kulturen verschmelzen und zu etwas völlig Neuartigem transformiert werden - einem musikalischen Kommunikationsmedium, in dem westliche Strömungen wie Jazz, Pop und Elektronik zusammenfließen mit Elementen aus arabischen, türkischen, persischen und indischen Traditionen. Visionär ist dies, weil damit exemplarisch neue Wege der Verständigung innerhalb einer immer diverser, multiethnisch werdenden Gesellschaft aufgezeigt werden.
Politische Komponente
Dies verleiht den Aktivitäten der OMM eine politische Komponente, die auch in ihrer soziokulturellen Arbeit mit Straßenkindern zum Tragen kommt. Aber im Zentrum der Arbeit stand und steht stets die Musik. Alles begann 2008 mit der Begegnung von Mehmet Ungan - Musiker, Soziologe, Philosoph und bis heute Spiritus Rector der Initiative - mit dem Percussionisten Joss Turnbull. „Wir wollten - über alle ethnischen und geografischen Grenzen hinweg - das Bewusstsein für e i n e Welt vorantreiben und etwas Neues schaffen“, sagte Ungan bei einem Gespräch mit dieser Redaktion.
Mehmet Ungan gründete 2008 die Initiative OMM.
Das ist der OMM eindrucksvoll gelungen. Das erste Ensemble, das aus ihr hervorging und bundesweit Beachtung fand, war LebiDerya: ein Zusammenschluss zweier Jazzmusiker (Johannes Stange: Trompete, Stefan Baumann: Saxofon) mit Turnbull und Muhittin Kemal an der türkischen Harfe Kanun. Als 2011 ihr Crossover-Album „Orientation“ erschien, wurde die Band sogleich zum Jazzfest Berlin eingeladen und spielte bei Enjoy Jazz. Die Tonkunst des Orients verschmolz in der Musik des Quartetts mit modalen Jazz-Improvisationen und tranceartigen Rhythmen zu einem Klang-Amalgam, bei dem die Herkunftsspuren der einzelnen Bestandteile kaum mehr zuzuordnen waren.
Das Beispiel machte Schule. Zurzeit gibt es über ein Dutzend aufsehenerregender OMM-Projekte. Das spektakulärste stammt vom deutsch-indischen Sextett Neckarganga. Nicht genug, dass die Band Jazz und indische Musik fusioniert - sie veröffentlichte 2021 das interaktive Album „Reloaded“, auf dem sie ein KI-Programm nutzte, mit dem das Publikum per Computer die Musik gestalten konnte.
Neuland betritt auch die Beyond Borders Band: Hier musizieren der der tunesische Oud-Virtuose Fadhel Boubaker mit den Jazzmusikern Jonathan Sell (Kontrabass), Niko Seibold (Saxofone) und Dominik Fürstenberger (Schlagzeug) in einer kommunikativen Dichte, bei der westliche und östliche Einflüsse nicht mehr voneinander zu trennen sind. Beim Konzertdebüt einer anderen Formation mit Sell, Stange und dem 2022 tragisch verstorbenen Jörg Teichert (Gitarre) im Herbst 2021 improvisierte Boubaker jazzmäßig über westliche Harmonien - womöglich als einziger Oud-Spieler weltweit.
Grenzen zerfließen
Teichert spielte auch eine wichtige Rolle in der Band Fityan des persischen Nay-Flötisten Mohammad Fityan, die ihre Musik als „Oriental Jazz Rock“ beschreibt; sie klingt, als wären Jethro Tull in Teheran zu Hause. Ähnlich salopp könnte man auch sagen, das Duo Mahlukat höre sich an, als würde Kate Bush aus Istanbul stammen. Die türkische Sängerin und Geigerin Güldeste Mamac und die polnische Percussionistin Kasia Kadlubowska kreieren faszinierenden Dream-Pop fernab eurozentrischer Klangvorstellungen - mit melismatischem Gesang und vertrackten Rhythmen. Sie zählen zum Kreis mehrerer weiblicher OMM-Mitglieder, die sich immer stärker profilieren. Wie Shany Mathew, die den klassischen indischen Tanz Bharata Natyam unterrichtet; Mathews’ Kooperation mit dem Eintanzhaus, bei der sie westliche Tanzformen integriert, ist das jüngste Projekt der OMM.
Deren kreative Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft. Mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, was künftig noch an Innovativem aus dem Klanglabor in der Jungbuschstraße kommen wird.
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