Mannheim/Heidelberg. Festivaldirektor Sascha Keilholz verspricht dem Publikum eine vielfältige und sehenswerte Filmauswahl. Viele junge Regisseure stimmten politische Töne an, sagt er. Die anhaltende Streamingwelle sieht Keilholz kritisch, und der Festivalleiter meint, die Situation der Kinos fordere verstärkt auch die Politik heraus.
Herr Keilholz, kann Ihr drittes Jahr als Direktor endlich eins werden, das nicht mehr von Corona beeinträchtigt wird? Die befürchtete Herbstwelle steht noch aus, und die anderen Krisen könnten das Bedürfnis nach Kunst und Kultur ja theoretisch sogar steigern …
Sascha Keilholz: Ich schließe mich gerne jeder positiven Sichtweise an. Die Situation ist anders als im Vorjahr, als die Politik geradezu riet, am besten zuhause zu bleiben. Jedoch lässt sich ebenfalls eine nachhaltige Veränderung im Publikumsverhalten feststellen - man lebt sich eher im Sommer aus, im Freien; im Herbst und Winter scheint es dagegen eine stärkere Zurückhaltung zu geben als vor 2020. Wir sind aber gleichwohl zuversichtlich. Einen Aufwärtstrend können wir bei den Vorverkaufszahlen schon erkennen.
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Letztes Jahr wurde das 70-jährige Bestehen gefeiert, wofür es einen Jubiläumszuschuss der Stadt Mannheim gab. Wie sehen in diesem Jahr die Rahmendaten aus?
Keilholz: Die Stadt Mannheim hatte ja zuvor schon den regulären Zuschuss erhöht, das bleibt so, und Heidelberg hat wenigstens eine einmalige Anhebung beschlossen. Jubiläumsgelder beider Städte entfallen zwar, aber beide bleiben sehr engagiert. Und das Land bringt sich zusätzlich über den Innovationsfonds ein. Unser Bestreben ist, mit allen drei Hauptfinanziers die entsprechende Erhöhung in den Haushalten festzuschreiben.
Wie beurteilen Sie die Situation des jungen internationalen Films, den das Festival weiter als Schwerpunkt präsentiert? Nehmen Sie bestimmte Tendenzen wahr?
Keilholz: Nach der coronabedingten Zurückhaltung sind viele neue, gute Filme herausgekommen. Ich habe dieses Jahr so viele hochwertige, ganz unterschiedliche neue Filme gesehen wie schon lange nicht mehr. Und viele junge Filmemacher aus verschiedensten Ländern treten hervor, etwa aus Afrika oder Frankreich. Auffällig dabei ist oft ein innovativer Einsatz von Musik, ein anderer Schnittrhythmus auch. Inhaltlich werden soziale Gruppen und Genderfragen in den Vordergrund gerückt, die bisher eher unterbelichtet waren. Wir erleben neue Perspektiven auf die Gesellschaft. Unsere Wettbewerbsauswahl kann diese neuen Tendenzen aufzeigen.
Sind die Töne politischer geworden, so wie im kulturellen Diskurs insgesamt?
Keilholz: Ja, absolut. Die junge Generation ist stark politisiert, uns alle beschäftigt der Klimawandel, der Krieg. Wir sind ein internationales Filmfestival, und die allgemeinen Herausforderungen sind es ebenfalls. Das macht das Festival so spannend. Afrikanische Filme setzen sich stark mit dem Arabischen Frühling auseinander, in osteuropäischen Ländern wird nicht zuletzt das Patriarchat, aber auch politische Korruption thematisiert. In dem Kino, das wir repräsentieren, ist die Politisierung deutlich ablesbar.
Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Auswahl getroffen?
Keilholz: Wichtig ist immer die Ästhetik, die Frage, ob die Filmemacher eine Vision haben, wie sie eine Geschichte audiovisuell erzählen möchten. Daneben zählen die unterschiedlichen Perspektiven und thematischen Schwerpunkte, die verhandelt werden. Wir setzen auf ein breites, diverses Angebot.
Was darf das Publikum dann also erwarten?
Keilholz: Obwohl wir ja seit langem in der Postmoderne leben, denke ich, lässt sich bei uns wirklich Neues, Überraschendes erleben. Es gibt viele ungewohnte Perspektiven und eine große Abwechslung.
Möchten junge Filmemacher immer noch vornehmlich Kino machen, oder sind ihnen Vertriebswege angesichts des Erfolgs von Streamingangeboten eher gleichgültig?
Keilholz: Meine spontane Antwort wäre: Die Filmemacher, die ich kenne und kennenlerne, möchten Filme fürs Kino machen. Andererseits ist klar, dass ein wichtiger Teil etwa der amerikanischen und französischen Produktion für Streamingdienste arbeitet. Ich halte das für eine Einbahnstraße. Man weiß beim System Netflix noch immer nicht, ob es sich letztlich rechnet. Die Frage des hohen Energieverbrauchs durch Streaming bleibt meist unberücksichtigt. Zudem gibt es dort nur bestimmte Mainstreamprodukte, Dokufiktion und serielle Formate. Ich nehme das als recht eintönig wahr. Es bewirkt eine Verengung des Kulturangebots, wenn man sich auf die Streamer verlässt.
Sie deuten an, dass Kinos viel eher für künstlerische Vielfalt stehen. Doch leider verzeichnet die Branche noch viel weniger Besucher als vor der Pandemie. Offen bleibt, wie viele Kinos noch geschlossen werden. Wie sehen Sie die Lage?
Keilholz: Eine Prognose ist, dass es in Städten wie Mannheim und Heidelberg in einigen Jahrzehnten Filmhäuser geben wird, wo Filme neben anderen Kulturangeboten wahrgenommen werden können, wo es ebenso beispielsweise eine Bibliothek und Mediathek gibt, wo Lesungen, auch Ausstellungen stattfinden. In Stuttgart ist ein solches Filmhaus im Entstehen. Solche Institutionen werden das bieten, wofür früher unter anderem die Programmkinos standen. Zwischen Streaming und Kino besteht aber nicht nur eine Konkurrenz, viele nutzen beide Formen. Es muss ein sinnvolles Miteinander geben. Und insgesamt braucht es eine andere Preispolitik. Kinos müssten mehr Eintrittsgeld verlangen, um bestehen zu können. Ein Kinobesuch würde so auch als wertiger wahrgenommen, was beispielsweise in England und Frankreich längst der Fall ist. Oder die Kinobranche benötigt eben stärkere Subventionen, wie es für andere Kunst- und Kulturinstitutionen ja auch selbstverständlich ist.
Ihr Festival versteht sich als Präsenzfestival, dessen Ort das Kino ist. Ein begrenztes Streamingangebot richtet sich an ein Publikum, das weit entfernt lebt. Wird das auch künftig noch so sein können?
Keilholz: Für das soziale Erlebnis der Kultur gibt es keinen Ersatz, wir wollen Begegnungen ermöglichen. Streaming bleibt als Ergänzung sinnvoll, aber mit diesen Angeboten lässt sich auch nicht aufwiegen, was einem vor Ort an Zuschauerpotenzial entgeht. Vornehmlich in Präsenz stattzufinden, so meine Erwartung, wird weiterhin Gültigkeit haben, für unser Festival wie für andere. Aber natürlich kann es sinnvoll sein, Gäste etwa aus Australien nicht für einen Tag einzufliegen, sondern sie per Video teilnehmen zu lassen. Das Kernprogramm wird jedenfalls in Präsenz geboten werden.
Apropos Zuschauerpotenzial: Mit welcher Besucherzahl rechnen Sie?
Keilholz: Ich hoffe, dass wir mindestens das Ergebnis des Vorjahres erreichen, also gut 18 000 Besucher, obwohl wir weniger Vorführungen haben. Vergleiche zu früher sind schwierig. Die Lage hat sich insgesamt verändert, das Kulturangebot ist vielfältiger geworden. Aber für ein Festival wie unseres, das ein baden-württembergisches Leuchtturmprojekt ist, gibt es ein größeres Potenzial, als es zuletzt mobilisiert werden konnte. Wir tun alles, um es besser auszuschöpfen und auch neue Publikumsgruppen anzusprechen.
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