Mannheim. Mit knapp über 40 Mann Wagner zu spielen, ist ein großes Kunststück, aber sicher keine große Oper. Dabei hätte sich Emil Heckel, Musikalienhändler aus Mannheim, genau diese so sehr gewünscht. Richard Wagners, „des Meisters“ Werke in Mannheim zu hören und weltweit berühmt zu machen, war die Aufgabe des bärtigen Wagnerianer-Pioniers. „Einen größeren Enthusiasten für dieses Werk konnte es nicht mehr geben“, schreibt der Musikfreund aus den Quadraten in seiner Biografie. Viel Glück brachte ihm der Einsatz nicht, doch dazu später mehr, denn es steht ein Jubiläum an: Am 20. Dezember 1871 fand in Mannheim zwar keine Große Oper, aber ein wahrlich großer Abend statt: „Anfang abends 6 Uhr, Ende gegen 9 Uhr“ dirigierte Komponist Richard Wagner höchstselbst ein somit ganz besonderes „Concert im großen Saale des Hoftheaters.“
Orchestermusikalisch musste badische Verstärkung aus Karlsruhe her, damit sowohl der Compositeur als auch der anwesende Großherzog zufrieden sein konnten. In den Quadraten war das ein ausverkauftes gesellschaftliches Ereignis, an dem „le tout Mannheim“ festlich herausgeputzt teilnehmen wollte, ja musste. Unter ihnen ein weiterer Promi von Format: Friedrich Nietzsche. Mit Wagner unterhielt der Fan und Denker mit Hang zum Übermenschen und dem Willen zur Macht eine „gigantische“ Künstlerfreundschaft, bis der Philosoph dem Komponisten in späten Jahren vorwerfen sollte, mit dem christlichen Weihrauch des „Parsifal“ letztlich doch „zu Kreuze gekrochen“ zu sein.
Bleiben wir beim Konzert. Gespielt wurden nach Wagners „Kaisermarsch“, die Ouvertüre zu Mozarts „Zauberflöte“ sowie Beethovens 7. Sinfonie in A-Dur, beides Komponisten, die Wagner verehrte. Dann drei große Wagner-Nummern: die Vorspiele zu „Lohengrin“, „Die Meistersinger zu Nürnberg“ und „Tristan und Isolde“. Am Ende stand der hochdramatische Schlusssatz, also „Isoldes Liebestod.“
Bis zum Konzert war es für Emil Heckel, der mit Wagner Geburtstag hatte, aber 18 Jahre jünger war, ein weiter Weg. Nach einem jugendlichen (entsetzlichen) Hörerlebnis hatte sich Heckel zum Verehrer entwickelt, seit dem Münchner „Meistersinger“-Erlebnis von 1868 gar Wagner verschrieben „wie Faust dem Mephisto“ - große Worte, doch ihnen folgten auch Taten.
Mit Inbrunst setzte sich Heckel für die Verbreitung von Wagners Werk ein. Das war nicht immer leicht, vor allem in Mannheim, wo der Erste Kapellmeister Vinzenz Lachner Heckels Begeisterung, vorsichtig ausgedrückt, nicht unbedingt teilte. Doch Heckel hatte großen Einfluss, stand das in B 3 stehende Hof-und Nationaltheater doch in jener Zeit nicht unter Leitung eines Intendanten, sondern unter der eines vom Gemeinderat eingesetzten Hoftheaterkomitées. Heckel war eines von drei Mitgliedern. Im Gebälk knirschte es Wagners wegen nicht selten. In den 1880er Jahren wird Heckel gleich zwei Mal wegen eines finanziellen Wagner-Debakels („Ring“ und „Tristan“) zurücktreten müssen.
Die Mannheimer, war Heckel überzeugt - und meint Musiker und Publikum in gleichem Maße, müssten Wagner kennenlernen, seine Musik, seine Ideen, seine Aura. Nur so ließen sich „hier und andernorts“ vermehrt Wagner-Aufführungen verwirklichen. Wagner wollte nicht so recht zum Konzert nach Mannheim. Doch dann: Endlich - der Meister in Mannheim! Es ist einer von insgesamt drei Aufenthalten in der Stadt. Vor dem Konzert wird zwei Abende lang geprobt. Wagner steigt, selbst mit 58 noch cooler Hipster, im Jungbusch ab, der aber damals noch unter dem Buchstaben Z zu den Quadraten gehört. Immerhin im Grandhotel Europa. Luxus lohnt: Der Abend ist Riesenerfolg.
Und bringt auch den ersehnten Erfolg in höherer Sache: Schon ein halbes Jahr zuvor hatte Heckel mit vier Mitstreitern und der Billigung des Meisters den ersten Wagner-Verein gegründet. Bescheidenheit war Wagners Sache nicht. Nichts Geringeres als der Bau des Bayreuther Festspielhauses war Vereinsziel. Dem rührigen Heckel ist es zu verdanken, dass 15 Prozent der Bausumme aus Mannheim auf den Grünen Hügel flossen. Wagner dichtet lausig aber zufrieden: „Hat jeder Topf seinen Deckel, der Wagner seinen Heckel, dann lebt sich’s ohne Sorgen, die Welt ist dann geborgen.“ Das Ganze taugt noch heute zur Lehreinheit in Sachen Sponsoring: Aktienähnlich bracht der Verein „Patronatsscheine“ in Umlauf, die durch anteilige Stückelungen nicht nur für Großbürger erschwinglich waren. Das Wort „Crowdfunding“ war noch nicht erfunden, und doch gingen hier Zukunftsmusik und Marketing eine Symbiose ein.
Am 22. Mai 1872 treffen sich zwei Geburtstagskinder bei der Grundsteinlegung auf dem Grünen Hügel: Wagner und Heckel. Das 1876 mit „Rheingold“ eingeweihte Festspielhaus steht noch. Geblieben ist in Mannheim - in anderer Form - ein Nachfolge-Verein, der als Richard-Wagner-Verband in diesem Jahr auch seinen 110. Geburtstag feierte. Ausgelöst wurde die Wagner-Begeisterung in ihrer Breite am 20. Dezember 1871, „gegen 9 Uhr“.
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