Der Start mit der „Schwiegerfamilie“ könnte kaum schlechter sein: Paco will noch schnell Zigaretten holen, bevor die Eltern seiner Freundin Luisa nach Hause kommen. Kippen sind allerdings ausverkauft. Also schwatzt er einem wenig herzlichen Mann auf der Straße zu völlig überteuertem Preis zwei Schachteln ab – dem Vater seiner Freundin, wie sich kurz darauf herausstellen wird.
Der mexikanische Film „Fauna“ läuft in der Reihe „Pushing the Boundaries“ des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg, das wie so vieles in diesem Jahr im Internet stattfindet. Die Reihe umfasst „wagemutige fiktionale Langfilme, die die Grenzen des Mediums austesten“. Auf „Fauna“ trifft das zweifelsfrei zu: Eine kühle Atmosphäre und kunstvolle Kameraeinstellungen spiegeln die Stimmung in der Familie wider: deren Fremdheit und Unbeholfenheit miteinander. Besonders absurd – und unterhaltsam – wird es, als Schauspieler Paco den Männern eine seiner Szenen aus „Narcos“, einer populären Serie über Drogenkartelle, vorspielen soll. Eine Szene ohne Text, die doch so viel sagt über ein machohaftes Männerbild. Auch Luisa ist Schauspielerin, mit ihrer Mutter übt sie derweil ihren Text fürs nächste Vorspiel: „Das Unglück der Mutter wird das Unglück der Tochter sein.“ Althergebrachte Rollenbilder, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, sind im Werk des Regisseurs Nicolás Pereda allgegenwärtig.
Bedeutungsschwangere Blicke
Aus den Zuschauer fast schmerzenden, verkrampften Dialogen zwischen Luisa und ihrem Bruder Gabino rettet dann ein Gespräch über das Buch, das er gerade liest: Mitten im Film entspinnt sich daraus eine neue, geheimnisvolle Geschichte um die Schwestern Flora und Fauna. Die Darsteller sind dieselben – Fiktion und Realität vermischen sich zu einem denkwürdig-kritischen Gesellschaftsporträt.
Ebenfalls aus Mexiko kommt der Beitrag „Tragic Jungle“. „Der Urwald gibt dir alles im Überfluss – aber er nimmt auch von dir“: Das erfährt eine Gruppe Arbeiter darin am eigenen Leib. Das Werk von Regisseurin Yulene Olaizola spielt in den 1920er Jahren im Grenzgebiet von Mexiko und Britisch-Honduras (heute: Belize). Agnes, eine noch sehr junge Frau, flieht vor einem englischen Großgrundbesitzer, der nicht nur Land, sondern auch sie besitzen will. Einer der Arbeiter, die Kaugummi aus dem Breiapfelbaum gewinnen, findet Agnes und bringt sie ins Lager der Männer mitten im Urwald. Sie begehren die schöne Frau. Aber die Ansage des Anführers ist deutlich: Wer sie anrührt, stirbt.
Handlung und Dialoge sind dünn, bisweilen ermüdend. Die Charaktere blass und eindimensional. Spannend ist zwar, dass der Geschichte eine Maya-Legende zugrunde liegt: „Xtabay“, nach der eine Dämonin im Wald wohnt und Männer mit ihrer Schönheit in den Tod lockt. Und doch würde man sich von Agnes mehr wünschen als bedeutungsschwangere Blicke einer fleischgewordenen Xtabay. Faszinierend indes sind die Bilder: die üppige Natur, das Krokodil, der wunderschöne – und gefährliche – Jaguar: Der Urwald gibt und nimmt.
Info: Mehr Infos zum Online-Festival: www.iffmh.de
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