Interview

Till Brönner: „Mein neues Album ist auch ein Plädoyer für Europa“

Till Brönner spricht über sein neues Album „Italia“ unter anderem mit der gebürtigen Mannheimerin Mandy Capristo und verspricht Thomas Siffling ein Gastspiel im Ella & Louis.

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Jörg-Peter Klotz
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Till Brönner hat seine frühe Kindheit in Italien verbracht. Daher rührt sein musikalisches Interesse an der Musik des Landes. © Joel Heid

Mannheim. Der deutsche Jazz-Trompeter Till Brönner widmet sich auf seinem neuen Album „Italia“ der Musik des Landes, in dem er seine ersten Lebensjahre verbracht hat. Ein Gespräch über schwierige Auswahlprozesse, teilweise überraschende musikalische Gäste und Hoffnung auf die Politik.

Herr Brönner, erst haben Sie 2024 ein italienisches Kochbuch veröffentlicht, nun folgt das Album „Italia“, Arbeiten Sie gerade Ihre Kindheit in Rom auf, wo Sie die ersten fünf Lebensjahre verbracht haben?

Till Brönner: Glücklicherweise gibt es da gar nicht so viel aufzuarbeiten, weil es schlichtweg nur schön war. Natürlich könnte man sagen: das sind zwei Genussthemen auf einmal – Essen und Musik. Und ja, da ist etwas dran. Je tiefer man dann aber eintaucht, desto deutlicher wird, dass es komplexer ist, als man anfangs glaubt. Aber deswegen entstehen am Ende vielleicht spannendere Themen.

Till Brönner ist Jazz-Trompeter und Fotograf. © Rolf Vennenbernd/dpa

Schon die Auswahl muss kompliziert gewesen sein. Es geht um die goldene Italo-Musik Ära zwischen den 1960ern und 1980ern. Da gibt es ja ein schier endloses Angebot, oder?

Brönner: Ich glaub, dass es gar nicht so sehr um die Frage geht, was wurde aufgenommen, sondern wie wurde aufgenommen. Wenn man eine Liste von den bekanntesten italienischen Songs vor sich sieht oder eine Playlist anfertigt, dann ist man natürlich am Anfang ganz schön erschlagen. Da tauchen wirklich unglaublich viele Sachen auf, von dem man dann denkt: „Das musst Du ja eigentlich machen. Kein Italien-Album funktioniert ohne diese Nummer.“ Stadium zwei ist dann die Frage: „Was ist eigentlich in Deutschland bekannt?“ Aber auch darauf darf man nicht zu viel geben. Denn unser Italienbild in Teilen so porös ist wie das Deutschlandbild in Italien. Am Ende geht es nicht nur darum, welche Stücke man auswählt, sondern vor allem darum, wie man sie interpretiert. Da war es optimal, dass wir dem Album Zeit geben konnten, sich zu entwickeln. Obwohl allen Songs live eingespielte Takes zugrunde liegen. So kam es zu Zufallsfunden und dazu, dass schon verloren geglaubte Nummern es doch aufs Album geschafft haben.

Welche Rolle spielte dabei Produzent Nicola Conte?

Brönner: Eine sehr große. Ich habe ihm meine Auswahl gegeben. Da war schnell zu spüren, was ihn inspiriert und wo fast schon eine Aversion besteht. Für „O sole mio“ oder „Volare“ gab es zum Beispiel nicht viel Begeisterung. Die sind auch nicht auf dem Album. Auch wenn wir versucht haben, sie ganz neu zu anzugehen. Dass es trotzdem nicht gut wäre, sie aufzunehmen, war für mich mit die spannendste Erkenntnis. Es ist keine Kunst, eine Nummer zu zerstören oder sie anders zu machen. Eine viel größere Kunst ist es, eine Version zu liefern, die egofrei eine gewisse Qualität für sich selbst und die in zehn Jahren noch hörenswert ist.

Wie kamen Conte und Sie zusammen?

Brönner: Das begann vor über 20 Jahren. Nicola rief mich damals an, weil er sich für sein damaliges Album für Blue Note namens „Other Directions“ eine Performance von mir gewünscht hat. Er hatte Sachen von mir gehört, wahrgenommen und recherchiert. Und so bin ich nach Bari geflogen, für eine kurze Session und ein Abendessen. Wir sind in Kontakt geblieben und über Jahre zu Freunden geworden. Dabei sind mir dann seine Fähigkeiten als musikalische Enzyklopädie aufgefallen. Als DJ hat er zum Beispiel den absoluten Überblick, was es so alles Gutes gibt. Deshalb war die Auswahl bei Aufnahmen nicht selten abhängig von seiner Einschätzung. Weil er sehr oft zu einer guten Idee noch mal eine bessere Idee hatte. Und dafür musste man sich sozusagen durch alles, aber wirklich alles durchgefressen haben, was es in diesen Dekaden so gegeben hat. Da hilft jemand in seiner Generation mit seinem Background unheimlich bei der Repertoirefrage und der Frage nach Langlebigkeit.

Wie wichtig waren die Aufnahmeorte in Rom, Mailand und Bari für den Sound und für die Atmosphäre der Platte?

Brönner: Sehr, sehr wichtig. Wenngleich man sich nicht den ganzen Tag mit der Frage auseinandersetzt: Hat jetzt dieser Ort oder dieses Zypressen-Aroma, das da in der Luft liegt, auf mein Stück explizit eine besondere Wirkung gehabt? aber die Tatsache, dass man alle Voraussetzungen schafft, dass es so sein könnte, lässt einen wieder klarer und fokussierter auf die Musik vorgehen-

Mehrere Studios in Italien und Deutschland, viele italienische Gastmusiker, Prominente am Mikrophon, eine großartige Produktion – man hört den enormen Aufwand, vor allem auf Vinyl. Aber das kostet viel Geld. Rechnet sich das heute überhaupt noch?

So ein aufwendig produziertes Album lohnt sich finanziell keinesfalls. Aber künstlerisch.
Till Brönner

Brönner: Ich bin dankbar für diese Frage, weil die Antwort lautet: Keinesfalls! Finanziell zumindest. Aber als etablierter Künstler in ein gutes Album zu investieren, lohnt sich trotz der inzwischen wirklich hoch aufgebauten Hürden immer. Und manchmal ist es mit mehr Geld verbunden, wenn es üppiger wird und manchmal ist es halt Zeit, die man investieren muss. Einer meiner Lieblingssätze lautet: Schnell, kostengünstig und gut - von den drei Elementen gibt es grundsätzlich immer nur zwei. Also haben wir uns für Zeit und Sorgfalt entschieden – und ich denke, das hört man.

Einige Songs haben einen Filmhintergrund. Gibt es cineastische Vorlieben, die Sie jetzt umgesetzt haben?

Brönner: Ich habe vor einigen Jahren ein „Movie Album“ aufgenommen. Diesmal ging es weniger um Blockbuster, sondern eher um subtilere Stücke, etwa „La Donna Invisible“ von Ennio Morricone. Viele sind in Deutschland kaum bekannt, aber sie haben für mich einen persönlichen Bezug, als Kindheits- und Jugenderinnerungen. Das wollten wir so gestalten, dass die Musik auch ohne Film funktioniert.

„Viva La Felicità“ ist handwerklich sehr kunstvolles Easy Listening – und die Musik aus dem Zeichentrickfilm „Herr Rossi sucht das Glück“ – war das als Kind eine Brücke nach Deutschland, wo der Film auch lange sehr populär war?

Brönner: Tatsächlich war es genau so! „Herr Rossi“ war für Kinder ein Highlight, und zugleich hatten die Geschichten eine erstaunliche Tiefe, die auch für Erwachsene brauchbare Botschaften transportierte. Das galt auch für andere Serien wie den „Rosaroten Panther“, wo philosophischer Humor mit guter Musik verbunden war. Solche Dinge prägen.

Sie haben auf dem Album prominente Gäste als Gaststimmen: Mario Biondi, Chiara Civello, Sera Kalo, Giovanni Zarrella – und Mandy Capristo, die in Mannheim geborene Ex-Monrose-Sängerin. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Brönner: Mandy kenne ich schon lange, aber die engere Verbindung kam über meine Frau. Die beiden sind seit vielen Jahren befreundet, und so haben wir uns auch privat immer wieder getroffen. Dadurch war es für mich eine sehr natürliche Entscheidung, sie bei diesem Projekt einzubinden. Es fühlt sich fast familiär an, mit ihr zu arbeiten.

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Was macht ihre Stimme für dieses Album und die Dance-Nummer „Alto Mare“ besonders?

Brönner: Mandy Capristo ist eine Stimme, die man auch wie Giovanni Zarrella aus einem ganz anderen Umfeld kennt. Aber sicherlich auch als Kind dieser Generation, die in Deutschland Fuß fassen musste. Sie repräsentieren eine gute Portion Italien aus der deutschen Sicht – und umgekehrt. Mandy bringt eine große Ausdruckskraft und eine ganz besondere Wärme mit. Wir haben lange überlegt, welches Stück passt, und uns dann für „Alto Mare“ entschieden. Sie hat den Song nicht nur gesungen, sondern sich wirklich zu eigen gemacht. Gleichzeitig war es ein schöner Moment für meine Frau und mich, weil sich hier Privates und Künstlerisches verbunden haben.

Ich finde die Leichtgängigkeit der Aufnahmen erstaunlich, immer wieder konterkariert von Ihrem songdienlichen, aber unverkennbarem Spiel. Ich bin allerdings auch in erster Linie Rock- und Popkritiker – die Jazz-Puristen spielen in ihrem Hinterkopf gar keine Rolle mehr, oder?

Brönner: Nein. Denn es kann ja nicht angehen, dass man so viel Aufwand betreibt, um am Ende eine Minderheit in der Minderheit zu erreichen. Über die Jahre merkt man, dass diese angeblich so hochgehaltene Individualität sich auch weltweit als eine Uniform durchgesetzt hat. Da findet eine stille Kooperation statt zwischen Menschen, die glauben zu wissen, wie man so eine Musik macht - nämlich so wie überall. Und Menschen, die glauben darüber so schreiben und urteilen zu müssen, wie man das überall macht. Und das empfinde ich als - vorsichtig gesagt – überflüssig. Weil man so doch viel uniformer unterwegs ist, als man es dieser so individuellen Musik eigentlich zuschreibt. Wenn man sich meine Discographie anhört, war nie zu erwarten, was als Nächstes kommt. In mir schlummern witzigerweise diese experimentierfreudigen, spontanen und manchmal auch kantigen Sachen mindestens so sehr wie die Musik, die man eher als ein bisschen polierter empfindet.

Zur Person

  • Till Brönner wurde am 6. Mai 1971 in Viersen am Niederrhein geboren . Er wuchs u.a. in Rom auf, lebt heute in Potsdam und Los Angeles.
  • Er studierte Jazztrompete an der Kölner Musikhochschule und gehörte mit 20 der Berliner RIAS Bigband an. Brönner ist nicht nur als Musiker ohne stilistische Scheuklappen gefragt, er wirkt auch als Komponist, Arrangeur, Produzent, Fotograf und Professor an der Musikhochschule Dresden.
  • 2024 erschien sein kulinarischer Reiseführer „Ciao Roma – Meine Lieblingsrezepte aus der ewigen Stadt“ (Trettori. 208 Seiten, 35 Euro). Nun folgt das Album „Italia“.
  • Die „Italia“-Tour führt ihn in die Heilbronner Harmonie (10.4.2026), nach Stuttgart (Liederhalle 15.4.), Baden-Baden (Festspielhaus, 16.4.) und Frankfurt (Alte Oper, 24.4.), Karten unter www.eventim.dejpk
Das Cover von Till Brönners neuem Album "Italia". © Ear Music

Mir scheint das Album aufgebaut. wie die musikalische Begleitung zu einem Samstagabend in Rom – erst entspannte Begleitung zum Kochen und Essen. Dann musikalisches Aufmuntern für einen Trip durch die urbane Nacht?

Brönner: Man könnte das so sehen. Aber wir sind keinem Masterplan gefolgt. Die Dramaturgie ist abwechslungsreich: mal entspannt, mal voller Energie. Es ist wie eine Reise durch eine urbane Nacht – mit allen Höhen und Tiefen.

Ist so ein durchweg positives Album Ihre Antwort auf unsere unsicheren Zeiten? Ist es jetzt auch die Aufgabe von Kultur, irgendwie Kraft und gute Laune zu spenden?

Brönner: In gewisser Weise schon. Irgendwo muss man ja mal anfangen mit diesem Anspruch. Dieses Album ja also für mich ganz sicher die Alternative zu dem, was mich hier derzeit umgibt. Und das darf man getrost als nicht wahnsinnig inspirierend bezeichnen.

Inwiefern?

Brönner: Wenn man umgeben ist von Problemen, von dieser bleiernen Schwere, dieser ausbleibenden Selbstreflexion und dieser gefühlten Machtlosigkeit – bei innenpolitischen, aber auch den außenpolitischen Themen in Europa -, dann muss irgendwer mal anfangen, von der künstlerischen Seite aus Europa noch mal auf den Sockel zu heben. Also die Essenz dieses Albums ist auch ein großes Plädoyer für Europa - als Ort für die Kunst, für etwas, das es immer schon gegeben hat und für die Langlebigkeit.

Till Brönner bei seinem bisher letzten Mannheimer Konzert im Rosengarten im November 2024. © Pressefotoagentur Thomas Tröster

Wobei wir uns beim letzten Interview schon über den schwindenden Einfluss von Deutschland und Europa unterhalten in der Welt unterhalten haben. Was macht Ihnen Hoffnung – wo sich Dissens und Stümperei in der neuen Bundesregierung nahtlos fortsetzen?

Brönner: Ich bin zurzeit sehr skeptisch, ob wir nicht tatsächlich eine eigenständige Notbremse brauchen, die früher vonstattengeht als die dann alternativ zu erwartende Bremse auf dem Wahlzettel.

Wie soll das aussehen?

Brönner: Man muss tatsächlich beginnen, den Menschen in Deutschland die Situation unverblümt zu erklären. Da haben sich aus meiner Sicht inzwischen zu viele Themen ereignet und zu viele Vogel-Strauß-Techniken breit gemacht. Ich denke, dass andernfalls die Quittung in Form einer noch stärkeren AfD kommen wird. Sich weiter so zu verhalten wie zuletzt, ist nicht empfehlenswert. Die Koalition sollte sich aktiv bemühen, den Menschen die Ernsthaftigkeit zu vermitteln, die sie angeblich anstreben. Das werden unpopuläre Entscheidungen sein. Aber wenn sie gut begründet sind, denke ich, könnte man Schlimmeres noch abwenden. Ich habe allerdings gerade nicht besonders viel Hoffnung nach der Historie der letzten Jahre.

Mannheim ist da für mich ein naheliegender Ort –auch wegen der großartigen Location Ella & Louis.
Till Brönner

Wieviel Hoffnung macht Ihnen der neue Kulturstaatsminister im Kanzleramt?

Brönner: Ich hatte mit Wolfram Weimer noch keinen Kontakt, deswegen kann ich dazu nicht viel sagen. Bis dato ist bei ihm wie mit dem Haushalt: Da ist noch relativ viel aufzuräumen und in der Findungsphase. Gleichzeitig denke ich, denke ich, dass es sich um jemanden handeln könnte, der das Gefühl hat, Sachen sagen zu können, während man in der Politik ansonsten noch zögert. So ist mein erster Eindruck.

Was haben Sie mit dem neuen Album eigentlich in Italien vor?

Brönner: Das entscheiden natürlich auch die Italiener. Es deuten sich gerade ein paar sehr interessante und spannende Möglichkeiten an, aber darüber kann ich noch nicht reden, aber insofern kann ich schon verraten: Die Italiener, mit denen wir gerade darüber sprechen, die nehmen das Album als Verneigung oder Tribut an ihr Land wahr und fühlen sich in Teilen ein bisschen geschmeichelt.

Ihr Trompeter-Kollege Thomas Siffling lässt aus der Quadratestadt grüßen und erinnert daran, dass Sie irgendwann mal zugesagt haben, im Ella & Louis aufzutreten. Auf Ihrer aktuellen Tour fehlt Mannheim. Wäre da nicht eine kleine Show zum Aufwärmen sinnvoll?

Brönner: Absolut richtig. Ich habe Thomas das versprochen, und das gilt weiterhin. Wir planen gerade die „Italia“-Tour für März/April 2026. Mannheim ist da für mich ein naheliegender Ort –auch wegen der großartigen Location Ella & Louis. Es wäre eine perfekte Gelegenheit für ein Warm-up oder ein besonderes Konzert.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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