Mannheim. Der Klarinettist wirkt unerschütterlich, wie er in diesen Klangfluten steht, die sich an unsichtbaren Klippen brechen - wie ein Fels in der Brandung. Paul Meyer, im anderen Leben Chefdirigent des Kurpfälzischen Kammerorchesters, vermittelt nicht für einen Moment den Eindruck, unter diesen aufschäumenden Wogen und bedrohlich krachenden Gewitterschlägen untergehen zu können. Der Solist bleibt ganz bei sich.
Gelegentlich fragt man sich bloß: Ist es der Klarinettist, der ein schweres Wetter nach dem anderen auslöst, oder das Orchester, das den Klarinettisten vor sich hertreibt? John Coriglianos Konzert für Klarinette und Orchester mutet dem Solisten technische Herausforderungen und Ausdrucksextreme zu, die Meyer mit spitzen, überblasenen Tönen und gellenden Skalen formuliert. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz bietet hierzu gleißendes Streicherflageolett und kellertiefe Bässe. Die Dialoge zwischen der Klarinette und der Querflöte oder der Geige sind durchaus pittoresk.
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Doch die heftigen dynamischen Steigerungen zerschellen an scharfkantigen Klippen, nicht leicht zu verortende, im Musensaal verteilte Instrumente irrlichtern durchs Bild und hektische Instrumentalwechsel lassen es in diesem Klanggeflimmer in seine Bestandteile zersplittern. Das ist zeitgenössisch spektakulär, und der Chefdirigent der Staatsphilharmonie, Michael Francis, schlachtet das Stück keineswegs aus. Gleichwohl dominieren die Effekte den Gehalt. Dieser scheint irgendwo in dieser brodelnden Großstadt-Meteorologie zu verrinnen.
Das Publikum ist nach den letzten Takten der Staatsphilharmonie hingerissen
Mit Gustav Mahlers Erster Symphonie geht diese Spielzeit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz offiziell zu Ende. Das Publikum ist nach den letzten Takten hingerissen. Und es hat ja durchaus auch den Anschein, als könne sich Mahler in seinem Erstling nach zähem Hin und Her und nach heftigem Ringen aus selbstquälerischem Skeptizismus und bohrenden Selbstzweifeln befreien. Mahlers Landidyllen, seine geschmeidigen Walzerpassagen, die strahlenden Apotheosen - all das trägt das Merkmal des „Als ob“. Gut ist die Welt nur noch zum Schein. Parodie und Groteske sind Stilmittel, die das Titanische dieser Musik ins Scheinriesenhafte relativieren.
Mit kaum wahrnehmbarer Zeichengebung setzt Michael Francis den mystischen Beginn in Szene. Ein geheimnisvolles Raunen, kein übertriebenes Pathos in den weiteren Verläufen. Musik, die immer auch ein wenig sich selbst zuhört. Sachliche Nüchternheit überwiegt, und auch das Groteskhafte des dritten Satzes ist, bis auf die kecke Oboenfloskel, entschärft.
Darin mag ein gewisses Kalkül liegen, denn das Orchester mit dem feierlich stehenden Bläserchor setzt im Finale jenen Mahler in Szene, der nach allen Schattenwürfen und Höhlenexkursionen in ekstatische Höhen gelangt. Erster und vierter Satz schließen sich im Finale zusammen. Das Quartmotiv, mal fallend, mal aufsteigend, kommt ans Ziel - und fällt dann doch ins Bodenlose. Die Staatsphilharmonie musiziert das wirklich begeisternd. Selbst für Skeptiker.
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