Bildrechte-Prozess - Bundesgerichtshof verhandelt Unterlassungsklage der Reiss-Engelhorn-Museen / Gast hatte ohne Erlaubnis Aufnahmen angefertigt und ins Netz gestellt

Sollten ungenehmigte Fotografien im Internet veröffentlicht werden dürfen?

Von 
Peter W. Ragge und Annika Wind
Lesedauer: 

Darf er oder darf er nicht? Ein Fotograf hatte im Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen (rem) ohne eine Genehmigung Aufnahmen angefertigt und diese bei Wikipedia veröffentlicht. Er beruft sich darauf, dass die Schutzfrist des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers erlischt. Die Mannheimer Museen sehen ihr Hausrecht verletzt. Zudem lud der Besucher Katalogbilder hoch. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs wird im Dezember erwartet.

Pro

von unserer Mitarbeiterin Annika Wind 

„Die digitale Kommunikation wird das A und O im Museum sein.“ Der Satz stammt von Eckart Köhne, der als Präsident des Deutschen Museumsbundes seinen Mitgliedern schon vor Jahren empfahl, die eigenen Bestände übers Internet weiterzuverbreiten. Genau das aber wollen die Reiss-Engelhorn-Museen nicht, wie ihr Rechtsstreit wieder einmal zeigt. Dabei ist das Fotografieren von Werken im Museum keinesfalls verboten. Weder in den Reiss-Engelhorn-Museen (rem) noch in einem anderen Kunsthaus in Deutschland. Vorausgesetzt, der Künstler ist 70 Jahre tot – so wie das im Rechtsstreit der Fall war. Denn dann endet der Urheberrechtsschutz.

Verlängert werden kann diese Frist auch selbst dann nicht, wenn ein Hausfotograf die Kunst abgelichtet hat. Denn seine Reproduktionsbilder zeigen – der Name sagt es ja schon – Kunst eben nur möglichst originalgetreu, sie sind aber selbst keine. Allein rechtlich spricht also viel gegen das Verhalten des Mannheimer Museums. Und ideell? Wer auf sein Eigentums- und Hausrecht pocht, um fotografierende Museumsbesucher rauszuhalten, sollte sich klar machen, wem er damit dient. Denn die Bestände der rem gehören weder der Stadt noch einer Führungsriege im Museum, sondern allein der Allgemeinheit. Die Gemeinfreiheit von Kunst hängt nicht von der Deutungshoheit desjenigen ab, der den Schlüssel zum Original oder den Zugang in ein Archiv besitzt. Das wäre auch fatal: Sie ist mit der freien Meinungsbildung in einer Demokratie verbunden. Und dem Bildungsauftrag öffentlicher Häuser, wie auch die rem sie sind.

Zudem steht die Strategie der rem der Strategie der größten und bedeutendsten Museen weltweit entgegen. Während Kunsthäuser vom Museum of Modern Art bis zum Frankfurter Städel ihre Sammlungen hochauflösend ins Netz stellen und ihre Besucher regelrecht animieren, ihre Ausstellungen im Netz zu verbreiten, verteidigen die rem nichts anderes als ihr eigenes Kirchturmdenken. In einer Museumswelt, die die Grenzen ihrer Depots längst verlassen hat. Aus gutem Grund: Wer seine Werke der Welt zugänglich macht, fördert die Leihanfragen anderer Häuser. Wer sie gezielt über die sozialen Netzwerke verbreitet, steigert ihre Popularität und die Lust, ins Museum zu gehen. 

Contra

von unserem Redaktionsmitglied Peter W. Ragge

„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet“, heißt es in der 1789 verabschiedeten Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Warum sollte dieser Satz in Internet-Zeiten nicht mehr gelten? Warum sollte ein Museum und ein dort beschäftigter Fotograf plötzlich all ihrer vorher selbstverständlichen Rechte beraubt, womöglich einem Schaden ausgesetzt werden, nur weil auf einmal Wikipedia ins Spiel kommt?

Und nur darum geht es in dem Rechtsstreit zwischen den Reiss-Engelhorn-Museen und Wikipedia. Klar hat Wikipedia viele Sympathisanten auf seiner Seite – weil jeder dort gerne mal etwas nachschaut.

Aber niemand vom Museum will das verhindern. Es geht gar nicht um die Freiheit der Wissenschaft und der Kunst, um die ohne Zweifel wichtige weltweit offene Kunstvermittlung – dazu wird der Rechtsstreit nur fälschlicherweise hochstilisiert.

Geklagt hat das Museum, weil ein Privatmann einfach vom Museum angefertigte Fotografien seiner Exponate auf der Internetplattform hochgeladen hat – ohne Erlaubnis, ohne jede Rücksprache. Und wo er selbst fotografiert hat, tat er das unter klarem Verstoß gegen das ausdrückliche Fotografierverbot.

Es geht nicht darum, dass die fotografierten Kunstwerke nicht mehr selbst dem Urheberrecht unterliegen, weil die Maler 70 Jahre tot sind. Das Museum und sein Fotograf machen vielmehr selbst Urheberrecht geltend. Schließlich sind die Gemälde nicht einfach so im Vorübergehen abgeknipst, sondern mit großem Können und Aufwand an Ausleuchtung und Belichtung in Katalogbildqualität wiedergegeben worden.

Es kann doch nicht sein, dass jetzt plötzlich einfach jeder kommen und von dieser Arbeit profitieren, die Fotos herunterladen und etwa auf Tassen, T-Shirts oder sonst was drucken kann! Denn die Internetplattform hat ganz ausdrücklich auch gewerbliche, kommerzielle Nutzung gestattet – weltweit, ohne Genehmigung, ohne Gebühr.

Bei wissenschaftlicher Arbeit, anderen Museen oder Medien sind die Reiss-Engelhorn-Museen nie kleinlich. Aber es kann und darf nicht sein, dass plötzlich alle Dämme brechen und das Internet zum völlig rechtsfreien Raum wird, in dem jeder ganz ohne Schranken tun und lassen darf, was er will.

Redaktion Chefreporter

Freie Autorin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen