Premierenkritik

So war die Premiere von Joachim Goltz Inszenierung der Mono-Oper "Die menschliche Stimme"

Die Sängerin Marie-Belle Sandis glänzt in der Nationaltheater-Fassung der Kammeroper „La Voix humaine“ in Mannheim

Von 
Hans-Günter Fischer
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Idealbesetzung für La Voix humaine“: Marie-Belle Sandis © Kleiner/Michel

Mannheim. Es ist wirklich kein besonders schöner Klingelton. Stahlhart sticht er ins Ohr. Ein Telefon kann eine Waffe sein. Das gilt auch für das gute, alte Stück in dieser neuen Nationaltheater-Inszenierung, das noch eine Schnur besitzt. Vielleicht macht es den Apparat sogar gefährlicher -- an einer Schnur kann man sich aufhängen. Und doch sei dieses Telefon „die Waffe, die nie Spuren hinterlässt“, stöhnt in Francis Poulencs „La Voix humaine“ („Die menschliche Stimme“) die Frau, die diese sogenannte Mono-Oper trägt.

Weil es mit wenig Aufwand aufzuführen ist, zumindest in der Fassung mit Klavierbegleitung, ist das Werk von 1959 zum auch hierzulande oft gespielten Klassiker geworden. Aber nicht nur deswegen: „La Voix humaine“ besticht durch ziemlich singuläre dramaturgisch-musikalische Geschlossenheit. Nach einer Textvorlage Jean Cocteaus versucht die Hauptfigur vergeblich, via Telefon eine zerrüttete Beziehung wiederaufleben zu lassen. Sie ist streng genommen keine Frau von heute, sondern eher eine, die noch hoffnungslos auf einen, „ihren“ Mann fixiert ist und es nicht ertragen kann, ihn zu verlieren. Gar an „eine andere“.

Die neue Inszenierung hat der Nationaltheater-Bariton Joachim Goltz erarbeitet, über die Bühne geht sie im Kulturhaus Mannheim-Käfertal. Gesungen und gelitten wird natürlich auf Französisch, also in der Originalversion. Sonst hätte man nicht Marie-Belle Sandis besetzen müssen. Sie gibt eine Dame, die schon einiges erlebt hat („Ich kann wirklich viel ertragen“). Faszinierend intensiv. Sie wechselt zwischen fast hysterisch aufgeschäumtem Sprechgesang und lyrischen Gesangslinien, die kurzzeitig - natürlich trügerische - Souveränität und Ruhe ausstrahlen. Eine emotionale Achterbahn, womöglich nur mit einer Notbremse zu stoppen: mit dem (Bühnen-) Suizid.

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„Das alles brachte mich zum Wahnsinn“, singt die Frau an einer Stelle. Was ihr in der „Wirklichkeit“, was „nur“ in ihrer Psyche widerfährt, bleibt vielfach offen. Doch vielleicht befindet sie sich ja in einer Nervenheilanstalt, wie klinisch weiß lackierte Möbel anzudeuten scheinen.

Wenig Aufwand, gutes Ergebnis

Für das Bühnenbild ist Jodie Fox verantwortlich, es macht mit wenig Aufwand eine ganze Menge her - wie Vieles an diesem Premierenabend. Seismographisch jede kleine Aufwallung der Sängerin zur Kenntnis nehmend, fügt sich auch Naomi Schmidts Klavierspiel ein. Sie wird mit ihrem Instrument zum Teil der Inszenierung. Auch zwei überwiegend stumme Rollen gibt es: eine Frau im Spiegel (Marie Hübner), die ein „Double“ und ein Bild aus glücklicheren Tagen sein soll. Und ein Arzt oder Betreuer: Gunther Möckel löst sich dabei immer wieder aus seinem Statisten-Status. Was für ihn - und für Joachim Goltz’ Personenführung spricht.

Extrem geglückt ist auch, wie nahtlos sich Poulencs „La Dame de Monte-Carlo“ in die Inszenierung einfügt. Dieses separate kleine Stück, erneut nach einem Text von Jean Cocteau, ist wie ein großformatiges Chanson, das wieder eine Frau am Abgrund zeigt. Ihr Laster ist die Spielsucht, und am Ende springt sie von den Klippen. „Monte-Carlo“ ist ihr letztes Wort. Dann spritzt das Wasser mit einem Klavier-Staccato auf.

Der Abend zeugt von einer inspirierten Leistung sämtlicher Beteiligter. Was ist mit Goltz? Soll das Regieführen sein zweites Standbein werden, fragen wir ihn vor der Aufführung. Er hält sich noch bedeckt. Aber grundsätzlich abgeneigt ist er wohl nicht.

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