Ein besonders leistungsstarkes Mikrofon scheint man der Harfe zugeteilt zu haben, die akustisch deutlich in den Vordergrund gezoomt wird. Aber dieses scheue, zarte Instrument kann durchaus etwas Protektion gebrauchen. Soundtechnisch hat man bei diesem Open-Air-Spektakel vor dem Mannheimer Barockschloss allerdings auch sonst noch eine Schippe draufgelegt und auf den aktuellsten Stand gebracht.
"Schloss in Flammen" nach Corona-Zwangspause wieder zurück
Zum fünften Mal gibt es jetzt „Schloss in Flammen“. Doch zum ersten Mal nach der Corona-Zwangspause. Knapp 3000 Besucherinnen und Besucher sind gekommen. Wenn man in der ersten Reihe von Block B sitzt, also eher vorne, kann man mit dem Live-Sound, den die Nationaltheater-Instrumentalistinnen und -Instrumentalisten produzieren, sehr zufrieden sein. Zwar sind die Fortschritte der Übertragungstechnik eher evolutionär als revolutionär zu nennen, und auch den Surround-Klang, den der Moderator Christian „Chako“ Habekost erwähnt, gibt es nur ansatzweise. Aber dafür ist die orchestrale Klangbalance, von der verständlichen Bevorzugung der Harfe einmal abgesehen, so natürlich ausgewogen wie in einem „rein“ akustischen Konzertsaal oder Opernhaus.
Das zeigt sich schon in der eröffnenden „Nabucco“-Ouvertüre, wo das Blech zwar scharfe Kanten zeigt, aber die Holzbläser nicht unterbuttert. Knackig, aber transparent ist dieser Sound, was selbstverständlich auch am Dirigenten Janis Liepins liegt. Obwohl der Lette viel beschäftigt ist und man vermuten könnte, dass er häufiger an einem Pult steht, als in einem Bett liegt.
NTM-Sängerinnen und Sänger beweisen hohe künstlerische Qualität
Das Programm von „Schloss in Flammen“ ist zu loben: weil es nicht bloß Unvermeidliches und Unverwüstliches – also die extrafetten Ohrwürmer – serviert, sondern auch hierzulande weniger Geläufiges aus dem französischsprachigen Segment des Repertoires. Etwa von Meyerbeer oder Gounod. Aber die Sängerinnen und die Sänger aus dem Nationaltheater demonstrieren ihre hohe künstlerische Kaderqualität auch hier. Ganz am Schluss dieses französischen Programmteils steht natürlich doch ein Top-Hit: das „Blumen-Duett“ aus „Lakmé“ von Delibes. Die Titelheldin dieses Stücks bestreitet es mit ihrer Dienerin, die Hörer-Ohren werden wie mit Zuckerguss bepinselt. Oder formulieren wir es blumiger: Die beiden Stimmen bündeln und verknoten sich wie feine Schlingpflanzen. Frédérique Friess und Julia Faylenbogen demonstrieren das brillant.
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Chako Habekost fahndet nach Anekdoten in der Musikgeschichte
Die Damen sind perfekt frisiert und sorgfältig gewandet, während sich die NTM-Herren im gewohnten Frack bewegen. Doch auch sie zeigen, wenn es ums Singen geht, viel Schliff. Nikola Diskic ist dabei der Kultivierteste, Kompletteste, vom italienischen übers französische bis hin zum deutschen Repertoire (mit Wagners „Lied vom Abendstern“) bleibt dieser Bariton den Vorlagen nichts schuldig. Der Tenor Irakli Kakhidze mag stilistisch manchmal etwas unspezifisch wirken, übermannt aber mit schierer Stimmpotenz – die sogar die Partie des lebensschwachen Titelhelden Werther aus der gleichnamigen Oper Massenets zu einer ausdrucksstarken und zugleich kantablen macht („Pourquoi me reveiller“).
Auch „Chako“ Habekost, als „Opernkenner“ avisiert, hat einen großen, starken Part. Gleich neun Mal tritt er in Erscheinung, häufiger als jede Sängerin und jeder Sänger. Zu der jeweiligen Arie hinführen will er das Publikum nur selten, dabei wäre das gar nicht so abwegig, zumal bei weniger bekannten Nummern, für die auf der Open-Air-Bühne auch keine deutschen Übertitel zur Verfügung stehen. Aber Habekost fahndet in der Musikgeschichte eben vornehmlich nach prallen Anekdoten, wie er selbst berichtet. Und da findet der Comedian aus der Kurpfalz, pointensüchtig von Berufs wegen, so einiges, das schmunzeln lässt.
Feuerwerk zum Finale
Doch er verschweigt auch nicht das Thema Meyerbeer und Wagner, also Wagners Antisemitismus. Trotzdem klingt der Abend Wagner-mächtig aus: Zunächst singt Astrid Kessler, stimmlich, doch auch durch die Art und Weise ihres Auftretens vielleicht die Primadonna des Konzerts, „Einsam in trüben Tagen“ aus dem „Lohengrin“. Dann gibt Bassist Sung Ha einen grandios autoritären Zeremonienmeister zum Finale der „Walküre“. Und das große Feuerwerk bei „Schloss in Flammen“ wird gezündet. Eines, „wie es die Region in dieser Form noch nicht gesehen hat“. Das könnte eine halbe Schublade zu hoch gegriffen sein. Aber am meisten imponiert ja ohnehin, wie das Orchester in der „Tannhäuser“-Ouvertüre, die alles Knattern, Krachen, Zischen untermalt, so stoisch bleibt, an den leisen Stellen sogar faszinierend filigran spielt. Ehe es in Elgars erstem Marsch aus „Pomp and Circumstance“ die volle Breitseite aus tiefem Blech und Schlagwerk feuert.
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