Interview

Sascha Keilholz über das 73. Internationale Filmfestival in Mannheim-Heidelberg

An diesem Donnerstag beginnt das 73. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg. Dessen Leiter Sascha Keilholz spricht über Schwerpunkte des Programms sowie die Entwicklung des jungen internationalen Autorenkinos

Von 
Thomas Groß
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Verantwortet das traditionsreiche Filmfestival in Mannheim und Heidelberg: Sascha Keilholz. © Florian Greiner

Mannheim/Heidelberg. Herr Keilholz, im Vorfeld des Festivals haben Sie wie immer eine Vielzahl junger internationaler Filme gesichtet: Welche Besonderheiten sind Ihnen dabei ausgefallen, gibt es eine Art Trend?

Sascha Keilholz: Ja, durchaus. Wir ehren dieses Jahr mit Lynne Ramsay und Agnieszka Holland bewusst zwei Filmemacherinnen, die eine Brücke zu diesem neuen Kino schlagen. Sie selbst repräsentieren ein Kino, das aufbegehrt - ein Kino des Widerstands. Die Filme des aktuellen Jahrgangs spiegeln das, klären über soziale Missstände auf, prangern Ungleichheitsverhältnisse an. Wir haben Filme aus der Dominikanischen Republik oder aus Brasilien im Programm, die sich auflehnen. Sie rücken die Schicksale von jungen Frauen, auch Transgender, in den Fokus. Man registriert fast überall auf der Welt, wie aufgeladen die politische Situation ist, und es ist ein spannender Perspektivwechsel, mit dem Blick der Menschen vor Ort auf die Herausforderungen zu schauen. Wir zeigen Filme aus Indien und Pakistan, die Korruption ins Visier nehmen oder sich mit dem Kastensystem befassen. Es gibt amerikanische Produktionen, die sich mit Konsequenzen der ersten Präsidentschaft Donald Trumps auseinandersetzen. Wir haben auch zahlreiche starke Filme aus Georgien, darunter unser „Center Piece“, „April“. Dieses Jahr war für mich ein so reicher Jahrgang wie selten.

Bietet das Festivalprogramm also einen Querschnitt des jungen internationalen Filmschaffens?

Keilholz: Das Wort Querschnitt bietet sich tatsächlich an. Unsere Absicht ist es, einen Wettbewerb zu präsentieren, in dem die Qualität der einzelnen Filme herausragend ist und der insgesamt eine Art Panoptikum ergibt. Die Filme des Programms sollen sich gegenseitig erhellen. Es gibt nebeneinander Produktionen aus Israel und Palästina. Häufiger behandelt wird auch das Thema der „Regretting Motherhood“, der Schwierigkeiten mancher Mütter, nach der Geburt eine Beziehung zu ihren Kindern herzustellen. Allein diese Filme wählen ganz unterschiedliche Genres und Töne. So bringt die Auswahl insgesamt gewissermaßen einen sehr vielstimmigen Chor hervor und eine entsprechende Bandbreite.

Von allen Krisen unserer Zeit scheint wohl die weitreichendste diejenige des Klimas zu sein. Spiegelt sich auch diese im aktuellen Filmschaffen wider?

Keilholz: Wir haben durchaus Filme gesehen, in denen es explizit um die Klimakrise geht. Allerdings spiegelt sich darin manchmal auch unsere allgemeine Ratlosigkeit dem Phänomen gegenüber. Was aber die Bedrohungen der Demokratie angeht, zeigen viele Filme einen wehrhaften Impuls dagegen. Die erschienen uns besonders attraktiv und landeten im Programm.

Sascha Keilholz und das Filmfestival

  • Der promovierte Filmwissenschaftler Sascha Keilholz (46) ist seit 2019 künstlerischer und kaufmännischer Geschäftsführer des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg.
  • Das 73. Filmfestival beginnt am 7. November und endet am Sonntag, 17. November. Die Festivalpreise werden am Donnerstag, 14. 11., verliehen.
  • Spielstätten: in Mannheim Atlantis-Kino, Cineplex, Cinema Quadrat, Stadthaus N1; in Heidelberg Gloria-Kino, Karlstorbahnhof, Luxor Filmpalast.
  • Infos zu Karten und Filmen im Programmheft sowie unter www.iffmh.de

Oft findet man auf Filmfestivals eher düstere Stoffe, viel seltener dagegen Komödien. Ist es dieses Jahr anders beim Internationalen Filmfestival? Oder halten junge Filmemacher gar das Genre der Komödie schlicht für abgegriffen?

Keilholz: Nun, die beschriebene Tendenz gibt es bei einigen Festivals, manche Berlinale-Jahre liefern dafür ein Beispiel - gut gemeintes politisches Kino, aber konventionell. Wir wollen hingegen eine große Bandbreite an progressivem Filmschaffen präsentieren. In diesem Jahr haben wir tatsächlich so viele Komödien wie noch nie im Programm, aber ganz unterschiedlicher Provenienz: Matthew Rankin beispielsweise präsentiert in „Universal Language“ ein persisch sprechendes Kanada, ein wirklich verrückter Film. Aus den USA kommt der urkomische „Eephus“, der von zwei Baseball-Teams erzählt, die ihr letztes Spiel nie enden lassen wollen. Da geht es um die Schwierigkeit des Loslassen-Könnens, um das Verhaftet-Sein im Alten. Ein liebevolles Sinnbild über die aktuelle Zerrissenheit der USA. „Nightbitch“ mit Amy Adams, die lieber Hund als Mutter wäre, ist ein weiteres Beispiel für einen komischen Film, oder das georgische Roadmovie „Holy Electricity“. Wir hatten noch nie so viel Anlass zum Lachen auf dem Festival wie in diesem Jahr.

Junge Talente sind gefragt, auch die Berlinale widmet ihnen jetzt noch mehr Aufmerksamkeit. Fällt es da nicht zunehmend schwer, Filme und erst recht Premieren fürs Mannheim-Heidelberger Festival zu verpflichten?

Keilholz: Große Festivals bemühen sich zunehmend mehr um junge Talente - und es gibt natürlich grundsätzlich eine Fokussierung auf Cannes, Berlin, Venedig und Toronto. Wir haben dieses Jahr zahlreiche deutsche Premieren im Programm. Doch für unser Publikum ist das ohnehin nicht der entscheidende Maßstab. Uns ist besonders wichtig, dass die interessanten Filmemacher zum Festival reisen und mit dem Publikum ins Gespräch kommen.

Eine Premiere eines prominenten deutschen Regisseurs ist auch dabei, der neue Film von Christoph Hochhäusler. Wie kam es dazu?

Keilholz: Hochhäusler hat seine ersten beiden Filme auf unserem Festival gezeigt, dann eine internationale Karriere gemacht und zuletzt weniger Filme gedreht. Sein beeindruckendes Comeback feierte er letztes Jahr auf der Berlinale - da entstand der Wunsch, seinen neuen Film als deutsche Premiere bei uns zu präsentieren. Und tatsächlich hat es geklappt, nach der Weltpremiere von „La Mort Viendra“ in Locarno läuft er jetzt bei uns. Und besonders schön ist, dass Hochhäusler mit der Hauptdarstellerin Sophie Verbeeck und weiteren Teilen des Teams unser Gast sein wird.

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Die bewährte Tradition, neben jungen Filmen auch die Kinohistorie zu würdigen in Form einer Retrospektive sowie längst etablierte Filmschaffende zu ehren, setzen Sie fort. Findet das noch den Zuspruch, den Sie sich erhoffen?

Keilholz: Besucherzahlen sind in dieser Hinsicht nicht das einzige Kriterium. Unsere Aufgabe ist es, auch die Filmgeschichte bewusst zu halten. Und die Retrospektive findet gute Resonanz beim Publikum. Was die Ehrengäste angeht, ist uns der Aspekt der Aktualität wichtig, die Relevanz, die nicht gleichbedeutend sein muss mit größtmöglicher Prominenz. Der Film „Green Border“ unseres Ehrengastes Agnieszka Holland wurde im vergangenen Jahr in Venedig frenetisch gefeiert, fand dann aber leider nicht mehr viel Aufmerksamkeit im deutschen Kino. Wir stellen diesen wichtigen Film erneut zur Diskussion.

Und wie steht es mit dem Streamingangebot? Wird es fortgeführt?

Keilholz: Das Streamingangebot war eine gute Option während der Pandemie. Es fand dann aber immer weniger Anklang, und die Produzenten waren zunehmend weniger bereit, ihre Filme auch online zu präsentieren. Wir haben uns deshalb entschieden, es nicht fortzuführen.

Zuletzt hat sich die Zuschauerzahl des Festivals mit mehr als 30 000 Besuchern sehr positiv entwickelt. Mit welcher Publikumsresonanz rechnen Sie in diesem Jahr?

Keilholz: Über der Marke von 30 000 Besuchern wollen wir auf alle Fälle bleiben, vielleicht in der nahen Zukunft auch mal 40 000 erreichen. Das IFFMH lädt alle Menschen ein. Je mehr kommen, umso besser! Aber etwa auf die Retrospektive zu verzichten, weil mit neuen Filmen noch mehr Publikum zu erreichen ist, wäre ein Kurzschluss. Das Angebot soll sorgfältig kuratiert und reichhaltig bleiben.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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