„Die größte Gefahr für die Menschheit“ sieht Sarah Bosetti im Populismus. Der sei ein schönes Mittel, „um alle Gefahren zu ignorieren und alle Lösungen zu verhindern, weil er dafür sorgt, dass jede vernünftige Debatte unter einem Berg aus Rethorikmüll erstickt. Deshalb müssen wir den Populismus bekämpfen, mit allem, was wir haben“, fordert die Kabarettistin beim Auftritt vor ausverkauftem Haus in der Alten Feuerwache in Mannheim, wofür sie - dem pazifistischen Herzen zum schmerzenden Trotz - zur schärfsten Waffe greife, die ihr zur Verfügung stehe: „Ich schreibe Gedichte. Poesie gegen Populismus.“
„Poesie gegen Populismus“ lautet auch der Beititel ihres an diesem Abend präsentieren Bühnenprogramms „Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!“, welches wiederum auf ihrem gleichnamigen Buch (siehe Info am Ende) basiert. Das Konzept: Die Satirikerin hat sich „die populistischsten Aussagen mächtiger Menschen“ herausgesucht, womit solche gemeint seien, die entweder politische Macht besitzen oder in der Öffentlichkeit stehen und „eine Stimme haben, die gehört wird.“
Sarah Bosetti in Mannheim: Häme für die „Mausrutscher“-Affäre von Beatrix von Storch
Die Einlassungen solcher Personen beantwortet sie in der Alten Feuerwache mit Gedichten, Briefen und Texten, die sie hier aus dem Buch, einige auch mithilfe ihres Smartphones, vorträgt. Was sie da zitiert, ist oft genug schwer erträglich: Von gleichgültiger, empfindungsloser Ignoranz bis zur kalt kalkulierten Schmähung Schwächerer und Ausgegrenzter reichen die Varietäten der ausgewählten Zitate. Sei es im Zuge der „Mausrutscher“-Affäre um AfD-Politikerin Beatrix von Storchs Interview-Aussage zum Einsatz von Waffen gegen Frauen und Kinder an der Bundesgrenze; sei es, wenn CDU-Vorsitzender Friedrich Merz Kinder an hiesigen Grundschulen als „kleine Paschas“ bezeichnet, oder wenn AfD-Mann Björn Höcke „Millionen illegale Menschen“ ins Land gekommen sieht - denen er somit das Recht aufs Menschsein abspricht. Auch die grotesk anmutende Gemächt-Beleidigungs-Affäre um den Hamburger SPD-Innensenator Andy Grote wird zum Gegenstand einer feinsinnig gestrickten Replik auf eine krude Vorlage. Viel künstlerisch-kritische Reibungsenergie entsteht in diesem Spannungsfeld: Filigrane Feder gegen Brechstangen-Führer, geschwungene Reime gegen Brachial-Rhetorik.
Sarah Bosetti in Mannheim: Grünen-Slogan "schlecht gealtert"
Apropos Merz, dem sich Bosetti mit ähnlicher schwärmerischer Ironie zuwendet wie Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt (Letzterer sei „ein wirklich guter Journalist“, der mit „einer Grundempathie der Welt gegenüber“ berichte): „Wir brauchen eine starke und vernünftige konservative Partei in Deutschland - nicht zuletzt, um diesen Rechtsruck zu bekämpfen“, bekräftigt die Humoristin. „Und wir haben aber nur die CDU.“ Den 2021er-Wahlkampf-Slogan von Bündnis90/Die Grünen -„Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“ - sieht sie indes „auch so ein bisschen schlecht gealtert aktuell“.
Sarah Bosetti erhebt ihre Stimme
Dies ist, bei allem Humor, kein Abend des leichtherzig vergnügten Lachens. Dafür lässt uns Bosetti zu tief in die finsteren Abgründe des Populismus blicken. Aber sie zeigt, dass es ein bisschen lichter werden kann, wenn jemand nicht in diese Dunkelheit hinein schweigt, sondern eine helle, klare, streitbare Stimme erhebt.
Wer Angst hat, soll zuhause bleiben. Rowohlt. 208 S., 12 Euro.
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