Überall die gleiche Frage: Abriss, Sanierung oder Neubau? Fast die ganze Republik stellt sie sich. Die gigantischen Theaterkomplexe aus der Nachkriegszeit, aus den 50er, 60er und 70er Jahren, sind marode und entsprechen in vielen Dingen längst nicht mehr den Standards. Überall, wo alte Bausubstanz prangt, denkt zwar niemand über Abrisse nach. Stuttgarts Staatsoper, die Staatsoper Unter den Linden und, klar, die Semperoper sind Juwelen. Keiner käme jemals auf die Idee, sie abzureißen.
Wohl aber die Beton-Stahl-Glas-Gemische der Moderne: das Nationaltheater Mannheim, das Badische Staatstheater, die Städtischen Bühnen Frankfurt und viele Häuser mehr. Was die Kunsthalle Mannheim hinter sich hat, haben diese Häuser vor sich: eine lange Diskussion darüber, ob sich eine Sanierung lohnt und rechnet, oder ob ein Neubau nicht die bessere und zukunftsweisendere Lösung wäre.
Dass es teuer wird und jährlich teurer – klar: Am Beispiel des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe lässt sich das sehr schön aufzeigen: Ein erstes Gutachten 2011 taxierte 120 Millionen für die Sanierung des Baus von 1975, drei Jahre später waren die Zahlen bereits auf bis zu 200 Millionen und wieder drei Jahre später auf bis zu 230 Millionen gestiegen. Heute, so mutmaßen manche, komme man auf bis zu 325 Millionen für das Gesamtpaket Sanierung des Hauses am Ettlinger Tor.
Karlsruhe hat den ganzen Prozess exemplarisch transparent gemacht. Der Gemeinderat lud zusammen mit Land und Theater zu einer Informationsveranstaltung. Alles ist in einem öffentlich abrufbaren 23-seitigen Papier dokumentiert. So geht Bürgernähe. „Öffentlichkeit, Transparenz, alles erklären“, so erörtert Karlsruhes Generalintendant Peter Spuhler auch prägnant seine Maxime im Gespräch mit dieser Zeitung. Nur so sei es ihnen in der Fächerstadt gelungen, die „Bürger mitzunehmen und eine positive Stimmung zu verbreiten“.
Auch Frankfurt gestaltet seinen Prozess seit 2011 offen und hat seine 2013 in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie 2017 per Livestream der Öffentlichkeit vorgestellt; selbst heute ist sie im Netz noch für alle zugänglich. Diese Transparenz muss die Stadt auch schaffen, denn der Schrecken sitzt hier tief. Von vornherein hat Frankfurt drei Varianten durchrechnen lassen: 868 Millionen Euro solle die Sanierung der maroden Doppelanlage von Schauspiel und Oper aus den 60er Jahren kosten – bei laufendem Spielbetrieb, wie Pressesprecherin Jana Kremin auf Anfrage betont. Bei ausgelagertem Betrieb würden lediglich 848 Millionen Euro anfallen, für Abriss und Neubau hingegen 888 Millionen Euro, meint Kremin. Alle Kosten beinhalten hier Risikozuschlag, Preissteigerung und vor allem auch die Kosten für Ausweichspielstätten – zusammen 30 bis 40 Prozent der reinen Baukosten.
In Mannheim Thema unterschätzt
Und Frankfurt diskutiert. Kremin: „Kulturdezernat und Deutsches Architekturmuseum veranstalten eine Diskussionsreihe unter dem Titel ,Welche Zukunft für die Städtischen Bühnen?’ (Livestream: www.kultur-frankfurt.de/buehnen). Bereits bei den Römerberggesprächen 2017 habe das Kulturdezernat Ina Hartwigs gemerkt, „wie leidenschaftlich die Debatte um die Zukunft der Städtischen Bühnen geführt“ werde und „wie groß das Bedürfnis der Menschen in dieser Stadt ist, an diesem Prozess teilzunehmen“, so Kremin.
Und in Mannheim? Nichts dergleichen. Die Machbarkeitsstudie von 2012, die von vornherein nie einen Neubau in Betracht zog, liegt nicht einmal dieser Zeitung vor. Obwohl die Zeit drängt und auch wegen des Brandschutzes ein Spielverbot droht, hat im Gemeinderat noch nicht einmal eine Grundsatzdebatte stattgefunden. Ganz offenbar wurde das Thema von der gesamten Stadtverwaltung unterschätzt, ein visionäres Denken über die Theaterzukunft unterlassen. Zuletzt hatten auch Gemeinderäte verschiedener Fraktionen beklagt, dass es überhaupt kein Konzept für ein Theater der Zukunft gebe und man auch nicht wisse, wie sich die Relevanz in den kommenden 20 Jahren entwickle.
Immerhin die Kosten sind in dieser Zeitung transparent gemacht worden. Die letzten Schätzungen beliefen sich auf 185 Millionen für eine Sanierung (mit Risikozuschlag, Preissteigerung, aber ohne Ausweichspielstätten). Wie das finanziert werden soll, ist offen. Während die Staatstheater in Stuttgart und Karlsruhe paritätisch von Stadt und Land bezahlt werden, wissen Mannheim und Frankfurt nicht, wie die Summen zusammenkommen. Immerhin hat jetzt aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Wichtigkeit des Vorhabens erkannt und sich an Staatsministerin Monika Grütters (CDU) gewandt, um, wie eine Sprecherin des Staatsministeriums auf Anfrage mitteilte, „eine ergebnisoffene Diskussion über eine etwaige Bundesförderung anzustoßen“.
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