Mathias Rickert dirigiert gleich zwei Chöre, die im Juni zum Deutschen Chorwettbewerb in Hannover zugelassen sind: den Jungen Kammerchor Rhein-Neckar und den St. Raphael-Kammerchor Heidelberg. Weitere Teilnehmer aus der Region sind der 4 x 4 Frauenchor sowie Carré Chanté der Mannheimer Liedertafel. Rickert spricht über Qualität, Gemeinschaft und was es heute braucht, damit ein Chor in Zeiten von Mobilität überlebt.
Herr Rickert, Sie nehmen mit Ihren Chören am Deutschen Chorwettbewerb teil. Wie ist es gelungen, eine so hohe Qualität zu erreichen?
Mathias Rickert: In erster Linie benötigt man als Chorleiter natürlich motivierte Sängerinnen und Sänger, die Lust haben, sich gemeinsam eine solche Qualität zu erarbeiten, und die so viel Erfahrung mitbringen, dass man sich an das beim Deutschen Chorwettbewerb erwartete Niveau wagen kann. Und dann muss man natürlich intensiv proben - bis alle sich wohlfühlen.
Bei Ihnen macht man sicherlich eine Aufnahmeprüfung, oder?
Rickert: Prüfung würde ich es nicht nennen, ich treffe mich mit den Interessenten und höre mir an, ob die Stimme klanglich ins Ensemble passt.
Mathias Rickert, seine Chöre und der Deutsche Chorwettbewerb
- Mathias Rickert: Der Dirigent studierte Schulmusik mit Schwerpunkt Chor- und Orchesterleitung in Mannheim an der Musikhochschule sowie Politikwissenschaft an der Universität. Während seiner Studienzeit war er mit ausgewählten jungen Chorleitern aus ganz Europa Teilnehmer der „european academy of young choral conductors“ und belegte Meisterkurse renommierter Chorleiter. 2006 wurde Mathias Rickert Stipendiat des Deutschen Musikrates. Seit 2007 unterrichtet er am St. Raphael-Gymnasium Heidelberg. Neben seiner Tätigkeit am Gymnasium hat Rickert einen Lehrauftrag für Chorleitung an der Musikhochschule Mannheim inne.
- Junger Kammerchor: Der Junge Kammerchor Rhein-Neckar wurde 2001 von Mathias Rickert gegründet und bietet talentierten jungen Sängerinnen und Sängern Gelegenheit, erstklassige Chormusik auf anspruchsvollem Niveau zu erarbeiten und aufzuführen. Inzwischen kommen die Mitglieder aus ganz Baden-Württemberg – aus Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg, Mosbach, Heilbronn und Ulm – zu monatlichen Probenwochenenden in Sinsheim und Heidelberg.
- Deutscher Chorwettbewerb: Von Rickert sind gleich zwei Chöre zum Deutschen Chorwettbewerb (3.-11.6, Hannover) zugelassen. Neben dem Jungen Kammerchor auch der St. Raphael-Kammerchor Heidelberg. Zudem nehmen der 4 x 4 Frauenchor Heike Kiefner-Jesatkos und der Frauenchor Carré Chanté der Mannheimer Liedertafel von Janette Schmid teil.
- Chorwettbewerb auf der Buga: Der „Mannheimer Morgen“ trägt zusammen mit der Bundesgartenschau am 23./24. September den Wettbewerb „Chorfestival Rhein-Neckar“ aus. Ausschreibung folgt (Info zum Chorfestival hier: events@mamo.de).
Warum singt der Mensch überhaupt? Warum tut er es in Chören?
Rickert: Gute Frage, ich persönlich habe früh die Erfahrung gemacht, dass es sich unheimlich toll anfühlt, wenn man es schafft, sich in der Gruppe perfekt aufeinander einzustimmen, wenn Absprachen, Phrasierung oder Artikulation wie aus einem Mund funktionieren und die Akkorde einrasten. Dieses Gemeinschaftserlebnis gibt es aber zum Glück auch schon in Chören, die weniger auf Perfektion aus sind. Singen ist ja eine völlig natürliche Ausdrucksform des Menschen.
Und dennoch haben Chöre landauf, landab Probleme. Aber Sie nicht, oder?
Rickert: Probleme in der Chorlandschaft gibt es in der Tat sehr viele. Viele Strukturen in Chören und Verbänden passen nicht mehr zu den Interessen und Bedürfnissen der Menschen. Das ist mir bei meiner Arbeit mit Gesangvereinen und in Chorverbänden immer wieder aufgefallen. Das liegt sicher aber nirgends an mangelnder Begeisterung für das Singen! Die Gesellschaft hat sich aber verändert. Der Aufwand, einen Chor zu organisieren und ihn am Leben zu halten, ist heute in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft viel größer als vor Jahrzehnten. Die Leute kommen nicht unbedingt von selbst in die Chöre. Gleichzeitig sind sie mobiler. Das hat Vor- und Nachteile. Gefällt mir der Chor in meinem Dorf nicht, fahre ich eben ein paar Kilometer und singe dort. Ein Chor wie unserer könnte ohne die Bereitschaft, weit zu Proben und Auftritten zu fahren, nicht existieren. Die Aufgabe ist es also permanent, den Chor so attraktiv zu halten, dass die Leute gern kommen.
Diskutieren Sie bei der Reisebereitschaft auch die ökologische Komponente?
Rickert: Wir suchen unsere Probenorte schon bewusst danach aus, dass sie öffentlich gut erreichbar sind. Vorwiegend in Sinsheim und Heidelberg. Für die Anreise zum Deutschen Chorwettbewerb oder wie im letzten Jahr für die Fahrt zu einem Festival in Fürstenfeldbruck nutzen wir Gruppentickets der Bahn. Das ist praktisch, unkompliziert und eben ökologisch sinnvoll. Vor allem wollen wir unsere Konzerte aber auch vorwiegend in der Region geben und machen seltener große Tourneen.
Was bewirkt so ein Wettbewerb bei den Sängerinnen und Sängern - ich meine psychologisch?
Rickert: Das Hinarbeiten auf ein gemeinsames Ziel motiviert ungemein und das bei Wettbewerben noch einmal mehr als schon bei Konzerten. Für Wettbewerbe investieren alle Chormitglieder noch mehr Zeit und Herzblut und entwickeln zusätzlichen Ehrgeiz. Es ist unheimlich reizvoll, an den Stücken über das normale Maß hinaus bis ins kleinste Detail zu feilen. Und es entsteht eine wunderbare Dynamik, wenn alle im Raum mit maximalem Einsatz dasselbe Ziel verfolgen. Eine solche Intensität lässt sich im Proben-Alltag selbst bei ambitionierten Kammerchören nicht immer erreichen. Gerade das wirkt sich aber unheimlich positiv auf das Gemeinschaftsgefühl und dadurch auch auf die Chorqualität aus. Ein Chor muss es ja schaffen, mehr als die Summe der guten Stimmen zu werden. Und das passiert in solchen Phasen. Ein Chorsänger beschrieb einmal die besondere Atmosphäre vor dem Wettbewerb als ein „Gefühl zwischen Weihnachten und Lateinklausur“. Und wenn man dann noch erfolgreich ist, ist es natürlich noch schöner.
Beobachten Sie eigentlich die Konkurrenz - also national?
Rickert: Ich als Chorleiter beobachte mit Interesse die Chorszene, besonders in der Region, aber auch national und international. Der Fokus liegt da aber eher auf der Zusammenarbeit als auf Konkurrenz. Die Chorleiter kennen sich deutschlandweit ja eigentlich gut. Alle vier Jahre, beim Deutschen Chorwettbewerb, ist es natürlich schon interessant zu wissen, gegen wen man dann antreten darf und wie gut die derzeit sind. Aber ich habe schon vor, in Hannover auch mit „Konkurrenten“ ein Bierchen zu trinken.
Und da sich Ihr Chor ja im Zusatz Rhein-Neckar nennt: Wie gut kennen Sie die regionale Chorszene?
Rickert: Ich denke ganz gut. Ich kenne sehr viele Chöre und Chorleiter durch meine jahrelange Arbeit in Musikausschüssen des Badischen Chorverbandes, der Chorverbände Elsenzgau und Neckar-Odenwald sowie durch die Tätigkeiten an meiner Schule in Heidelberg und der Musikhochschule Mannheim. Wovon ich allerdings derzeit noch kein gutes Bild habe, ist die Situation der Chöre nach Corona. Das kristallisiert erst nach und nach heraus.
Um die Chorlandschaft hier zu unterstützen, schreiben wir als Redaktion zusammen mit der BUGA 23 für den Herbst einen Chorwettbewerb aus. Ist das für Sie von Interesse?
Rickert: Ja, ich habe gerade erst davon gehört. Es wäre schön, wenn er gut angenommen würde! Bei uns ist es hauptsächlich eine Terminfrage. Wir müssen sehr langfristig planen, der Herbst ist eigentlich schon geplant. Aber vielleicht passt ja noch was rein. In welchen Kategorien wird der Wettbewerb denn ausgeschrieben?
Es gibt keinen Chor, der nicht da reinpassen würde … und wir sprechen über das Wochenende vom 23. und 24. September.
Rickert: Wir haben an diesem Wochenende unsere erste Probe nach der Sommerpause. Ob wir da gleich mit einem Wettbewerb beginnen sollten? Wäre sportlich. Wenn Sie für alle Chöre passende Kategorien anbieten wollen, dann wird das ja ein richtig großes Ding!
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Warum die Chöre im Land jede und jeden von uns brauchen