Heidelberg. Das Theater und Orchester Heidelberg hat gerade acht Stückaufträge an Theaterautorinnen und -autoren vergeben, die gemeinsam bei einem Festival in der Spielzeit 2022/23 uraufgeführt werden – auf allen vier Bühnen des Theaters und zusätzlich an ausgewählten Orten im Stadtraum. Über Entschluss, Motivation und Konzept sprachen wir mit Heidelbergs Intendant Holger Schultze.
Herr Schultze, der Stückemarkt ist mittlerweile zu Ende, Mittwoch stellen Sie die Tanzbiennale vor, am Montag warteten Sie mit der Überraschung eines neuen Festivals auf… Was hielten Sie eigentlich von einem Tag Pause?
Holger Schultze: Wenig! Schließlich bin ich bekennender Workaholic. Aber im Ernst, das Wichtigste derzeit ist die Präsenz. Die Menschen vermissen das Theater. Es ist ein großes, spürbares Bedürfnis da, auch danach, vom Theater zu hören, von seinen Plänen und den aktuellen Perspektiven. Wie können wir den Anspruch auf Theater derzeit lebendig erhalten? Und wir haben festgestellt: Wir brauchen die aktuellen Autorenstimmen der Gegenwart jeglicher Couleur. Wir müssen auch an die Zeit nach Corona denken. Wir haben das Projekt ein halbes Jahr vorbereitet – und gehen jetzt eben gleich nach dem Stückemarkt damit raus.
Autorenschaft und Regie
- Das schreibende Team für „REMMIDEMMI – Das Widerstandsfestival“ besteht aus Raphaela Bardutzky, Özlem Özgül Dündar, Caren Jeß, Rebekka Kricheldorf, Konstantin Küspert, Philipp Löhle, Peter Thiers und Roland Schimmelpfennig, der ein Stück für junges Publikum ab zehn Jahren schreiben wird.
- Acht Regisseurinnen und Regisseure werden die entstehenden Uraufführungen inszenieren, darunter unter anderem die Heidelberger Oberspielleiterin Brit Bartkowiak, Marie Bues, Cilli Drexel, Florian Huber, Daniela Löffner und Tugsal Mogul.
- Außerdem kooperiert das Theater und Orchester Heidelberg mit der Toneelacademie Maastricht (Akademie der Darstellenden Künste), Studierende werden die Kostüme für die Uraufführungen entwerfen.
Wir verdanken das Festival letztlich einem Hilferuf der Dramatikerinnen und Dramatiker selbst …
Schultze: Richtig, es gab im November einen Offenen Brief des VTheA (Verband der Theaterautorinnen und -autoren, d. Red.), worin es hieß: „Vergebt neue Stückaufträge – JETZT!“ Ich habe sie gerne beim Wort genommen, denn ihre Rücklagen sind aufgebraucht. Und machen wir uns nichts vor: Durch die Zwangspause sind Aufführungen verschoben und abgesagt, es wird nicht alles nachgeholt werden können. Zudem befindet sich die Gesellschaft in einer völlig neuartigen Ausnahmesituation, die dringend vielstimmig reflektiert werden muss.
Wer hat die Auswahl getroffen?
Schultze: Unsere Dramaturgie und das Leitungsteam. Und ich muss sagen, ich bin wirklich stolz, wenn man diese Namen der Autorinnen und Autoren sowie der Regisseurinnen und Regisseure liest. Wir müssen gerade jetzt aber auch an den Nachwuchs denken. Deshalb freut es mich, dass wir in beiden Bereichen, also Text und Regie, eine Mischung aus jungen und erfahrenen Künstlern engagieren konnten.
Ist ein Austausch vorgesehen?
Schultze: Klar, er ist sogar ein zentraler Gedanke des Ganzen. In der eineinhalbjährigen Vorbereitungszeit sind mehrere digitale und analoge Treffen, Impulse und externe Expertisen geplant. Auch Begegnungen mit dem Heidelberger Schauspielensemble sind vorgesehen. Zudem haben wir für die Kostüme bewusst auch Studierende mit ins Boot genommen. Der ganze Zwinger soll für ein Jahr lang sogar zum räumlichen Experimentallabor für diesen Austausch werden. Das kann dann unter Umständen auch in Diskussionsformaten mit Publikum zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten münden.
Was kommt dann im Herbst 2022 auf Schauspielfreunde zu?
Schultze: Die Ergebnisse kann man dann geballt mit einem Festivalpass in einem dreitägigen Theaterfest, teils parcoursartig erleben. Oder die Produktionen einzeln im Laufe der Spielzeit anschauen. So haben wir beides: Eventcharakter und Nachhaltigkeit. Es war uns nämlich wichtig, die neuen Stücke auch ins Repertoire zu bringen. Auch das verstehen wir unter Autorenförderung.
Aber wie finanzieren Sie das?
Schultze: Extra-Mittel gibt es freilich leider keine. Wir setzen etwa im Zwinger viel weniger Produktionen an als in normalen Spielzeiten. Wir legen quasi lediglich Produktionsetats geschickt um. Das ist alles.
Und dann machen Sie also „REMMIDEMMI“?
Schultze: Genau, ich halte das einfach für einen herrlichen Titel – aber auch einen mit Hintersinn. Wenn Sie sich die aktuellen Debatten in der Gesellschaft anschauen – Rassismus, #Metoo-Debatte, Partizipationsmodelle, Fridays for Future, Globalisierungskritik und vieles mehr. Es verändert sich ja gerade ganz viel. Es scheint – auch in der Art der Diskussion – eine neue 68er-Zeit anzubrechen. Das Bild einer Bewegung, die eine Gesellschaft verändern will, wiederholt sich.
Deshalb blicken Sie auch zurück?
Schultze: Na ja, da gibt es – gerade in Heidelberg, denken sie an den RAF-Anschlag auf das US-Headquarter – schon einen Bezug zu Zeiten politischer Erweckungs-, Politisierungs-und Radikalisierungsströmungen. Von daher schien uns in der künstlerischen Auseinandersetzung auch ein Blick zurück lohnenswert.
Bisher ist „REMMIDEMMI“ nur einmalig geplant. Soll es durch die Theaterlandschaft wandern oder gibt es eine Absicht, es langfristig in Heidelberg zu etablieren?
Schultze: Wir müssen zwischen der Fülle unserer Festivals ja irgendwann auch mal Repertoire spielen, aber selbstverständlich bin ich immer daran interessiert, so etwas auszubauen. Aber ich habe bei weitem nicht den Anspruch, die alleinige Urheberschaft auf zeitgenössisches Theater zu reklamieren. Nein, ohne Scherz, es hätte Charme, wenn das Ganze rollieren würde. Man muss es eben einfach erstmal anfangen – und das tun wir.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Das Programm des Theaters Heidelberg ist konsequent