Interview

Regisseurin Tatjana Gürbaca: „Mozart ist ein Feminist“

Regisseurin Tatjana Gürbaca spricht im Interview über ihre „Così“-Inszenierung, die sie derzeit in Schwetzingen für das Nationaltheater umsetzt - und über die Oper nach Corona.

Von 
Hans-Günter Fischer
Lesedauer: 
Regisseurin Tatjana Gürbaca inszeniert in Schwetzingen die Mozart-Oper „Così fan tutte“ für das Nationaltheater Mannheim. © Tobias Kruse OSTKREUZ

Bloß zu Anfang quengeln wir ein bisschen: dass das Ganze wie die Radio-Übertragung einer Oper sei - nicht der volle Kunstgenuss. Wir sagen das, weil wir Tatjana Gürbaca nur telefonisch sprechen dürfen. Sie sitzt im Zug, eine ihrer Bühnenproben wurde abgesagt. Doch sie vermittelt jede Menge positive Ausstrahlung, auch fernmündlich. Die Regisseurin inszeniert in Schwetzingen zurzeit Mozarts „Così fan tutte“ für das Nationaltheater Mannheim.

Frau Gürbaca, in Schwetzingen erleben wir höchstens eine Zweitpremiere Ihrer „Così“-Interpretation.

Tatjana Gürbaca: Die gibt es wirklich schon ein bisschen länger, streng genommen sogar seit 2004. Sie wanderte dann von Luzern nach München, Köln und schließlich Prag. In Schwetzingen wird sie jetzt teilweise neu produziert, das heißt mit neuer Bühne und neuen Kostümen. Jedes Mal verändert sich die Aufführung auch mit den neuen Sängern stark. In Schwetzingen haben wir wohl eine der lustigsten Versionen.

Oper für das Hier und Jetzt

  • Tatjana Gürbaca, geboren 1973 in Berlin, hat türkisch-italienische (und außerdem slowenische) Familienwurzeln. Sie studierte in ihrer Geburtsstadt an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.
  • Die Begegnung mit Ruth Berghaus hat sie stark geprägt. Um die Jahrtausendwende startete ihre Karriere in Graz: Gürbaca war beim „Ring Award“ eine der Finalistinnen und inszenierte an der Grazer Oper „Turandot“. „Così fan tutte“ in Luzern zählt gleichfalls zu den frühen Höhepunkten.
  • Gürbaca kann das gesamte Repertoire, von Händel bis Sciarrino, auf die Bühne bringen und historische Sujets ohne Gewaltanwendung für die Gegenwart erschließen. „Regisseurin des Jahres“ wurde sie 2013 nicht zuletzt für ihren in Antwerpen produzierten „Parsifal“. Am Staatstheater Mainz war sie ab 2011 für drei Jahre Operndirektorin.
  • „Così fan tutte“-Aufführungen: 14. Juli (Premiere), 18., 21., 25., 27. Juli, jeweils um 19 Uhr, im Schwetzinger Rokokotheater.

Hat sich seit 2004 auch Ihre Sicht aufs Stück verändert?

Gürbaca: Ich finde es sehr schön, dass durch die wechselnden Besetzungen verschiedene Partien unterschiedlich wichtig werden. Hier in Schwetzingen ist plötzlich Don Alfonso zur entscheidenden Figur geworden und steht jetzt im Mittelpunkt der Handlung. Es ist herrlich, wie Bartosz Urbanowicz das singt und spielt.

Alfonso wird als „alter Philosoph“ beschrieben. Aber mehr als nur ein alter Zyniker scheint er zu sein…

Gürbaca: Ja, ganz sicher. Und mit Bartosz haben wir ja einen ziemlich jungen Sänger, mit Humor und geistiger Beweglichkeit. Alfonso wird zu einem Mann, der auch die Sehnsucht nach Frauen kennt. Er ist kein Zyniker, eher ein Melancholiker.

Und seine Helferin Despina ist trotz ihrer Existenz als Hausmädchen auch eine Philosophin, oder?

Gürbaca: In vielen Inszenierungen ist sie nicht allzu jung besetzt. Bei uns hingegen schon. Sie ist auch eine Frau, der zuzutrauen wäre, dass sie sich ein selbstbestimmtes Leben aufbaut. Diese Rollen, die sie sich in Mozarts Oper anmaßt - als Notar und Arzt -, sind nicht nur zufällig gewählt. Bloß darf sie leider keine Ausbildung bekommen.

Bei der Aufführung im Rokokotheater soll der Kammerspiel-Charakter unterstrichen werden. Was machen Sie anders als auf einer großen Bühne?

Gürbaca: Intimität können die meisten Opern Mozarts gut vertragen. Und in Schwetzingen kommt man der Bühne nah wie sonst fast nirgendwo. Wir können so mehr Details erzählen und mit Sängern arbeiten, als handelte es sich um Schauspieler. Das macht viel Freude.

Gibt es nicht zuletzt in diesem Stück auch die Verlockung, in der Inszenierung einen Dreh ins Feministische zu suchen?

Gürbaca: Da muss man gar nicht lange drehen: Mozart ist ein Feminist, in jedem seiner Stücke gibt es starke Frauen. Mozart führt sein Publikum auch oft aufs Glatteis. Seine Oper heißt „Così fan tutte“, das bedeutet: „So machen es alle“ - also alle Frauen. Aber wenn man sich die Handlung anschaut, sind es hauptsächlich Männer, die sich eine Falle stellen. Männerfreundschaften gehen kaputt. Männer sind die Betrogenen.

Männer verlieren ihre schönsten Illusionen…

Gürbaca: Genau. Aber sie lernen sich auch besser kennen.

Was vielleicht nicht immer schön ist. Don Alfonso sagt das auch: Wozu Experimente wagen, die nur Unerfreuliches erbringen können?

Gürbaca (lacht): Sich selbst zu kennen, ist doch eher eine gute Grundlage fürs Leben. Und am Schluss der Oper bleiben zwar die Paare nicht zusammen, jedenfalls bei uns. Doch jeder hat etwas gelernt, ein Leben jenseits alter Konventionen kann in Zukunft möglich sein.

Das 19. Jahrhundert konnte mit „Così fan tutte“ ja bekanntlich überhaupt nichts anfangen…

Gürbaca: Dieses 19. Jahrhundert stand sich in moralischer Beziehung oft im Weg.

Mehr zum Thema

KulTour

Wohin? Zu Chris de Burgh in den Rosengarten oder zu Mozart nach Schwetzingen?

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Schlossfestspiele

Schlossfestspiele: Ein „einmalig vielseitiges Programm“ in Zwingenberg

Veröffentlicht
Von
Martin Bernhard
Mehr erfahren

Die großen Opern Mozarts sind also nicht auserzählt. Doch gilt das für das ganze Standardrepertoire, etwa für alles von Puccini?

Gürbaca: Naja, da habe ich so meine Schwierigkeiten mit der „Butterfly“. Es gibt schon Stücke, über die ich denke: Gott sei Dank hat man sie mir nicht angeboten. Aber gegen vieles von Puccini lässt sich wenig einwenden, und meine Mutter ist geradezu eine Puccini-Süchtige. Ich bilde mir zumindest ein, diese Musik zu kennen, seit ich mich in ihrem Bauch befunden habe.

Muss sich die Opern-Sparte nach Corona neu aufstellen?

Gürbaca: Oper (und Theater) sind zwar absolut notwendig, müssen sich jedoch zu allen Zeiten immer wieder hinterfragen. Im Moment erleben wir ein kleines Zögern bei Besucherinnen und Besuchern. Über neue Produktionsformen kann man schon nachdenken, man kann die Frage stellen, ob sich jedes Haus so große Kollektive - Chöre und Orchester - leisten muss. Und was mir bereits vor Corona klar war, ist, dass wir vor allem neue Stücke brauchen, denn wir können nicht das alte Repertoire von etwa 60 Opern immer wieder rauf- und runterspielen. Wir benötigen Stücke von Komponisten, die noch leben. In den Zeiten Mozarts konnten Opern gar nicht neu genug sein.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen