Mannheim. Rapper OG Keemo und sein Produzent Funkvater Frank zählen zu den erfolgreichsten Musiker der Region. Faktischer Beleg sind das erste Nummer-eins-Album „Fieber“ und das mit 5000 Fans ausverkaufte „Süd Süd Fest“ am 15. Juni beim Zeltfestival in Mannheim, bei dem die beiden Headliner und Kuratoren in Personalunion sind. In seinem ersten Interview mit dieser Redaktion blickt OG Keemo zurück auf den Weg bis zum Erfolgsjahr 2024.
OG Keemo, Ihre Musik, die fast immer mit Produzent Funkvater Frank entsteht, klingt nach alter Seele. Wie kamen Sie zur Musik?
OG Keemo: Durch meine Eltern. Die ersten Sachen, an die ich mich erinnere sind Nirvana über die Seite meiner Mutter und Bob Marley, den mein Vater viel gehört hat. Von ihm kamen auch Luther Vandross oder Barry White. Meine Mutter hat etwas modernere Sachen aufgelegt. Mit fünf oder sechs Jahren war meine erste eigene CD „The Fat Of The Land“ von The Prodigy mit „Smack My Bitch Up“. Das war einer meiner ersten Lieblingssongs.
Da war ja früh hohe Intensität angesagt, auch in der Wortwahl. Der „Spiegel „hat Sie mal zu den zehn frauenfeindlichsten Deutschrappern gezählt – auf der Basis einer Studie, die per KI böse Wörter in Hip-Hop-Texten abzählt. Dabei ist es erkennbar nicht Ihre Intention, Frauen herabzuwürdigen. Wie kam das bei Ihnen an?
OG Keemo: Ich war Nummer acht. Und ich fand, das war Quatsch. Sind wir so weit gekommen, dass das eine Art ist, wie wir Musik bewerten? Sie durch ein Programm laufen zu lassen – ohne jeden Kontext? Meistens ist es ein Lückenfüller, wenn ich Bitch sage. Es bezieht sich selten auf eine konkrete Person – und wenn, dann meist auf Männer. Das verstehen Leute außerhalb des Hip-Hop nicht. Und dann wollen Sie mir meinen Job erklären?
Achten Sie beim Schreiben heute mehr auf so etwas? Die Zeiten sind aufgeregt, die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben, bis hin zu brüllendem Antisemitismus auf deutschen Straßen – was zeigt, wie mächtig Sprache sein kann.
OG Keemo: Ich kann das nachvollziehen. In der Bubble, in der wir uns musikalisch bewegen, herrscht heute auch ein anderer Wind. Eine gewisse Ernsthaftigkeit, mit der alles betrachtet wird. Aber ich versuche, mich davon nicht beirren zu lassen. Um so authentisch wie möglich zu sein. So wie wir im privaten Kreis miteinander reden. Ich bin kein Fan davon,Musik zu kontrollieren oder nach einem moralischen Kompass zu hören. Das grenzt an Zensur.
Zur Person und zum Festival
- Rapper OG Keemo wurde am 29. Januar 1993 in Mainz als Karim Joel Martin geboren. Der Künstlername OG Keemo bezieht sich auf das indianische Ke-Mo-Sah-Bee: „Der, der im Stillen wandelt.“ OG steht für „Original Gangster“.
- Der Sohn einer deutschen (stimmt das?) Mutter und eines sudanesischen Vaters zog nach der Trennung seiner Eltern zunächst nach Bayreuth. Die dritte, vierte Klasse verbrachte er in Heidelberg-Ziegelhausen. Danach lebte er in Edingen, mit 14 in Mainz, später in Mannheim. Heute lebt OG Keemo im Rhein-Neckar-Kreis.
- Mit zwölf begann er, Musik zu machen. Als er in Ladenburg zur Schule ging, lernte er den Heddesheimer Produzenten Funkvater Frank kennen. 2016 veröffentlichten sie den ersten Song „Daimajin“.
- 2017 nahm sie das Stuttgarter Label Chimperator unter Vertrag – kurz nach dem Tod von OG Keemos Mutter.
- Auf die viel beachteten EP- und Mixtape-Veröffentlichungen „Neptun“ (2017), „Skalp“ (2018) und „Otello“ 2019 folgte im selben Jahr das Debütalbum „Geist“. Der Nachfolger „Mann beißt Hund“ kam 2022 auf Rang zwei – beides sind erzählerisch und konzeptionell starke, düstere Platten, weit entfernt von der Einzel-Single-Politik und den gängigen Klischees im Deutsch-Rap. Das Mixtape „Fieber“ erreichte im Januar 2024 den Platz eins.
- Am 15. Juni läuft beim Zeltfestival zum dritten Mal das von OG Keemo und Funkvater Frank kuratierte „Süd Süd Fest“ auf dem Mannheimer Maimarktgelände. Es ist mit 5000 Fans ausverkauft. Mehr zum Zeltfestival unter https://www.zeltfestivalrheinneckar.de/
Wie entstehen Ihre Texte?
OG Keemo: Aus dem Herz (lacht). Rein technisch: Meistens höre ich mir einen Beat an und lasse mir einen Flow durch den Kopf gehen. Dann mache ich den Beat aus, schreibe vier Reime und versuche, daraus einen Text zu bauen. Das ist wie ein Puzzle: Du hast verschiedene Fragmente und musst gucken, wie passt es zusammen, so dass es Sinn macht. Bei anderen Rappern mag es anders sein, aber mir fallen Themen-Tracks leichter. Weil Du da einen inhaltlichen Pool hast, aus dem du dich bedienen kannst. Wenn es nur darum geht, auf die Kacke zu hauen, ein eher stumpfes Gefühl zu transportieren – das finde ich schwerer.

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Was hören Sie heute für Musik, was beeinflusst Sie?
OG Keemo: Das kommt auf die Tagesform an. Viele alte Sachen, aus den 80ern und 90ern. Ich finde Michael Jackson gut, ich mag Sade, Prince ... Natürlich auch moderne Sachen.
Man könnte denken, dass Sie auch Jazz hören ... und ich meine, den Sprechgesangswegbereiter Gil Scott-Heron rauszuhören...
OG Keemo: Den finde ich klasse. Von ihm und Brian Jackson war tatsächlich eine der ersten Vinyl-Platten, die ich gekauft habe: „Bridges“. Mit „We Almost Lost Detroit“.
Und wie entstand der Impuls, selbst Musik zu machen... gab es zum Beispiel Klavierunterricht?
OG Keemo: Ich wollte ... aber das Lustige war: Meine Schwester war in der Musikschule, obwohl sie eher sportaffin ist. Und ich im Sport, obwohl ich musikaffin bin. Mit zwölf, dreizehn fing ich an, erste Texte zu schreiben. Dann kam Franky dazu. 2015 etwa starteten wir mit der Rap-Crew Zonkeymobb, die bis 2020 gehalten hat.
Das Zentrum soll in Ladenburg gewesen sein.
OG Keemo: Auch. Die Basis war aber im Keller meiner Mutter in Edingen.
Wenn man Sie reden hört, müssten Sie eigentlich gut singen können ...
OG Keemo: Gesangsunterricht steht tatsächlich auf meiner Bucket List. Das habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen.
Sie sind mit Ihrer Familie oft umgezogen. Zugleich spielen im weiteren Sinne Identitätsfragen in Ihren Texten eine große Rolle. Als was fühlen Sie sich – Mainzer, Mannheimer, Kurpfälzer?
OG Keemo: Eine Zeit lang habe ich gesagt: Okay, ich bin Mainzer. Auch, weil ich große Teile meiner Jugend dort verbracht habe.
Deshalb die Zeile zu Ex-Mainz-Trainer-Ikone Jürgen Klopp?
OG Keemo: Ja, genau. Aber gerade in den letzten Jahren hat sich das etwas geändert. Mein Vater hat immer in Mainz gewohnt. Als meine Mutter 2017 gestorben ist, kam er hierüber. Seitdem würde ich sagen: Der Rhein-Neckar-Kreis ist für mich Heimat.
Viele Musiker zieht es nach Berlin – Sie nicht?
OG Keemo: Berlin – auf gar keinen Fall. Das ist der letzte Ort, wo ich hinwollen würde. Die nächsten Jahre bleibe ich hier, später kann ich mir vorstellen, etwas urbaner zu leben. Ich mag Köln, vielleicht dort.
Es gibt ja eine Debatte um identitätspolitische Themen. Finden Sie zum Beispiel den Begriff „schwarze Musik“ unpassend?
OG Keemo: Ich sehe das gar nicht. Ich verstehe mich als Künstler. Natürlich spielt die Thematik in alles rein, was ich tue. Aber ich würde das nicht plakativ bezeichnen wollen. Aber den Begriff schwarz finde ich okay. Das ist das, was man sagt. Schwarz ist perfekt (lacht). Gibt es Leute, die sich abfucken auf das Wort schwarz?
Tatsächlich triggert es einige ...
OG Keemo: Schwarz ist perfekt. Farbig finde ich komisch. Aber ich bin da nicht drin in dem Thema.
Als ich Ihre Texte zum ersten Mal gehört habe, war ich sehr betroffen. Sie beschreiben sehr direkt und filmreif harte Erfahrungen mit Gewalt, Kriminalität und Rassismus. Das ist krass zu hören, von jemandem der unter anderem in pittoresken, ruhigen Orten wie Ziegelhausen oder Ladenburg zur Schule gegangen ist.
OG Keemo: Die meisten Erfahrungen, über die ich spreche, sind auch nicht aus Ladenburg. Hier fingen ein paar kleinere Dinge an. Das meiste sind eher Geschichten aus Mainz.

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Wie autobiografisch sind Ihre Texte, wie real?
OG Keemo: Generell ist im Rap viel überspitzt. Ich traue meinen Fans zu, dass sie erkennen, ab welchem Punkt es überspitzt ist und einem Image zugutekommt – und was authentisch ist, was von Herzen kommt. Lieder wie „Vorwort“ sind zu 100 Prozent autobiografisch. Anderes ist ... metaphorisch.
Die Zeiten werden immer extremer: Pandemie, Kriege, Krisen, Rechtsruck, islamistische Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz... Verrückt das den Fokus des Texters OG Keemo, der bislang hauptsächlich seine eigenen Geschichten erzählt? Was ja quasi über Bande auch gesellschaftliche Aussagekraft hat.
OG Keemo: Ich würde schon sagen, dass das Weltgeschehen Einfluss hat auf gewisse Aspekte, wie und was ich schreibe. Aber ich würde mich nie verstellen. Wenn ich das Gefühl habe, mich schränkt irgendwas ein, dann gehe ich lieber aktiv dagegen.
Politischen Straßenrap gibt es wohl nur insofern, als dass er Schlaglichter wirft auf die eher dunklen Seiten der Gesellschaft. Können Sie sich vorstellen, etwas zu schreiben wie „Adriano (Letzte Warnung)“ von Brothers Keepers oder „AfD“ von Xatar & Haftbefehl?
OG Keemo: Das hat weniger mit mir als Mensch, sondern mehr mit mir als Künstler zu tun….
Was haben Sie gedacht, als 2017 das Label von Cro anrief - Chimperator aus Stuttgart?
OG Keemo: Das war überraschend. Dass sie an uns als Künstler interessiert sind. Wir dachten, Chimperator wollte vielleicht einen anderen Zweig aufmachen. Aber dann haben wir uns zusammengesetzt und es klang, als ob sie wüssten, was sie tun. Dann war klar: Das passt.
Ein Teil der Label-Spitze um Sebastian Andrej Schweizer hat an der Popakademie studiert. War so eine Ausbildung auch mal ein Thema für Sie?
OG Keemo: Überhaupt nicht. Der einzige Bezug, den ich zu der Popakademie habe, ist, dass wir dort 2014 mal Ärger bekommen haben, als wir am Ufer etwas geraucht haben. Ich habe keinen Beruf gelernt, in Mainz die Schule abgebrochen und Jobs gemacht. Mit 19, 20 habe ich aber meinen Realschulabschluss nachgeholt, an der Tulla in Mannheim. Aber nur die Prüfung. Ich habe mich selbst vorbereitet.
Funkvater Frank wäre lieber mit 2022 mit dem grandiosen Album „Mann beißt Hund“ auf Rang eins der Charts gelandet als mit dem Mixtape „Fieber“. Was hat die Platzierung mit Ihnen gemacht?
OG Keemo: Mit mir als Mensch nicht viel. Aber es ist schön für den Lebenslauf. Es hat mich schon gefreut, nachdem „Mann beißt Hund“ „nur“ auf Platz zwei gechartet war. Davor hat es mich gar nicht so interessiert.
Nach den Plätzen drei, zwei, eins – spüren Sie jetzt Druck?
OG Keemo: Überhaupt nicht. Platz eins, Verkaufszahlen – alles schön. Aber im Endeffekt geht es um die Musik selber. Dass wir davon leben können, was wir lieben.
An was arbeiten Sie im Moment?
OG Keemo: Wir beginnen gerade mit der Arbeit am nächsten Album. Das soll nächstes Jahr rauskommen. Ich will noch nicht zu viel verraten, aber es geht um die letzten Jahre von mir. Um Selbstreflexion, was mich als Person oder Vater angeht.
Am Samstag läuft das dritte „Süd Süd Fest“, das Sie mit Funkvater Frank zusammenstellen. Erstmals kommen 5000 Fans, es ist lange ausverkauft. Ist das für Sie beide der bisher größte eigene Auftritt?
OG Keemo: Wir haben schon vor größeren Crowds gespielt, aber noch nicht bei einer eigenen Show. Es geht im nächsten Jahr auf jeden Fall weiter. Mal sehen, wie groß es dann wird.
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