Mannheim/Schwetzingen. Mitleid für die Bestie scheint da schon garantiert: Das sogenannte Ende der Welt, jene verblüffende Illusion am einsamen Abschluss des Badhauses im Schlossgarten Schwetzingens, spielt an diesem Abend nämlich eine Rolle. Und das Ende der Welt, so sagt es der Regisseur, stehe bei ihm für die Isolation Azors, dem haarigen Biest, das freilich nicht unbedingt von allen geliebt wird, sich aber nichts sehnlicher wünscht. „Da geht es mir um die einsame Welt von Azor“, sagt Nigel Lowery, Azor, einst ein hübscher Regent, sei schließlich verzaubert worden. Lowery, der in Mannheim etwa Händels „Hercules“ gezeigt hat, stellt sich einen Ort vor, der so weit weg von der Gesellschaft liegt wie möglich. Das Ende der Welt.
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Es ist also eine Art Märchen, das der belgisch-französische Komponist André-Ernest-Modeste Grétry 1771 in Paris vorlegte, ein Jahr nach Mozarts „Mitridate“ und im Jahr seines „Ascanio in Alba“. In der Geschichte des Vaters, seiner drei Töchter, von denen eine, Zemira, sich des hässlichen haarigen Wesens Azor annimmt, sieht Lowery eine Art Coming-of-Age-Story, das Erwachsenwerden der jüngsten Tochter des persischen Kaufmanns Sander, die mit ihrer Hingabe auch einen Teil in sich entdecken will, den sie noch nicht kennt. Sie erhofft sich die eigene sexuelle Erweckung. Es sei eine Art „Frühlingserwachen“, meint Lowery, und wer seine Arbeiten kennt, weiß, dass er bei aller Ernsthaftigkeit auch immer mit einem inszenatorischen Augenzwinkern arbeitet.
In Schwetzingen wird ab Freitag die italienische Fassung des ursprünglich französischen Werks gespielt, das nach seinem Erscheinen so erfolgreich war, dass es sich über ganz Europa ausbreitete. Dirigent Bernhard Forck, ein ausgewiesener Spezialist für Musik aus dem 18. Jahrhundert, lobt die Fassung, an der der Mannheimer Ignaz Holzbauer mitschrieb und bei der man zudem auf Musik des damals in Stuttgart angestellten Hofkapellmeisters Niccolò Jommelli zurückgriff. „Das Spannende an unserer Fassung ist, dass wir drei Komponisten haben“, sagt Forck auf Anfrage dieser Redaktion. Forck begeistern auch die „wunderbaren Ensemblestücke“ der Oper. Er verweist darauf, dass sie eine Neuigkeit waren, die Grétry entwickelt habe.
Stil stößt auf große Begeisterung
„Das Besondere für mich ist“, sagt Forck, „dass dieser Stil so komplett sich von dem unterscheidet, was bis dahin in Paris eigentlich galt – etwa von Jean-Philippe Rameau – also dass das ein komplett neuer Stil ist, der beim Publikum auf große Begeisterung gestoßen ist.“
Schon die D-Dur-Ouvertüre stößt ein Tor auf in eine Welt voller Leichtigkeit und Festlichkeit. Dass sich danach eine märchenhafte Geschichte um die schöne Zemira und den hässlichen Azor entwickeln könnte, lässt die Musik zunächst kaum erahnen. Erst im Laufe der rund sieben Minuten entwickelt sie auch punktuell Dramatik. Und natürlich danach immer wieder.
Lowery lässt die Handlung anfangs in einer Art Holzstube spielen. Sanders Familie ist arm. Im Laufe des Abends will er mit so etwas wie einer Zeitreise nach und nach an die Gegenwart heranrücken, die Szenerie würde zu etwas, „was wir aus unserem eigenen Leben kennen“, sagt er. „Es gibt also eine Autobahn, es gibt das Fußballstadion am Ende …“ Und ja, natürlich das Ende der Welt.
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