Literatur

Nobelpreisträgerin Herta Müller veröffentlicht neuen Band

Zum 70. Geburtstag von Nobelpreisträgerin Herta Müller erscheint der Band „Eine Fliege kommt durch einen halben Wald“, eine Sammlung mit Reden, Essays und Prosa aus den letzten Jahren

Von 
Peter Mohr
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2009 hat die deutsche Schriftstellerin Herta Müller ihr letztes umfassendes Buch veröffentlicht – nun, 14 Jahre später, gibt es einen neuen Band. © Sebastian Gollnow/dpa

Vor 14 Jahren wurde Herta Müller der Nobelpreis für Literatur verliehen. Seitdem hat sie keinen Roman mehr und auch keine längere Erzählung veröffentlicht. In lockeren Intervallen sind schmale Bände mit Collagen, Essays oder Reden erschienen - so wie der nun vorliegende, 13 ganz unterschiedliche Texte umfassende Band „Eine Fliege kommt durch einen halben Wald“.

Müller schreibt über das Leben in Angst

Das Büchlein kreist um die für Herta Müllers Vita prägenden Sujets Angst, Verfolgung, Exil und Gewalt. Sie berichtet darin, wie sie dem rumänischen Geheimdienst Securitate die kalte Schulter zeigte. Daraus resultierten Bedrohungen, gesellschaftliche Stigmatisierung und berufliche Isolation. „Angst dressiert“ lautet einer der prägnantesten Sätze in Herta Müllers Erinnerungen über ihre Zeit in Rumänien. „Jede Diktatur besteht aus denen, die Angst machen, und den anderen, die Angst haben.“

Vom Auffanglager zum Nobelpreis

  • Herta Müller, Jahrgang 1953, wurde im rumänischen Banat geboren und gehörte dort zur deutschen Minderheit.
  • Sie wurde zunächst Übersetzerin, verlor die Stelle aber wegen ihrer Weigerung, für den berüchtigten rumänischen Geheimdienst Spionage-Arbeiten zu übernehmen.
  • Über kleine, „freie“ Lehr- und Übersetzungstätigkeiten fand sie dennoch immer mehr zum Schreiben, 1987 übersiedelte sie in die Bundesrepublik.
  • Mit ihrer unverwechselbaren Art, sich sozusagen aus der östlichen Peripherie der deutschen Sprache zu bemächtigen, erinnert Müller manche Interpreten an Ikonen wie Franz Kafka, Joseph Roth und Paul Celan.
  • 2009 erhielt sie den Literatur-Nobelpreis.
  • Aktuelles Buch: "Eine Fliege kommt durch einen halben Wald", Carl Hanser Verlag, München 2023, 123 Seiten, 24 Euro

Und die Schikanen setzten sich nach ihrer Flucht in Deutschland zunächst fort. Man verdächtigte sie, eine Agentin der Securitate zu sein und keine Verfolgte. Bittere Erfahrungen, die sich in den Texten des Bandes widerspiegeln - vor allem in der Dankesrede für den ihr verliehenen Preis für Toleranz und Menschenrechte. Herta Müller setzt sich auf sehr subtile Weise mit der Würde des Menschen auseinander, mit der Sehnsucht nach Freiheit und völliger Selbstbestimmung: „Wie kann man leben und sich ertragen, obwohl man nicht so ist, wie man sein will, weil man gar nicht so sein darf, wie man am liebsten wäre.“ Der Humor war offensichtlich für die Schriftstellerin ein wichtiger Rettungsanker, eine Art Strohhalm in den dunklen Zeiten: „Ich brauchte das Lachen, den Humor als weißes Trampolin für dunkle Ecken.“

Herta Müller nimmt häufig Bezug auf „Brüder im Geiste“, wie Victor Klemperer, den chinesischen Dissidenten und Friedenspreisträger Liao Yiwu und dessen Werk „Für ein Lied und hundert Lieder“ sowie auf den von ihr geradezu hymnisch gefeierten Georges-Arthur Goldschmidt.

Auszeichnung für Nobelpreis war überraschend

Es war eine handfeste Überraschung, als Herta Müller im Oktober 2009 der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wurde. „Sie zeichnet mittels der Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“, hieß es damals in der Begründung des Stockholmer Komitees.

Sie hat sich in ihren sprachlich ausgefeilten, bisweilen lyrisch anmutenden Werken immer wieder mit Verfolgung und Heimatlosigkeit, mit Umzügen und Neuanfängen beschäftigt.

Schwierigkeiten, einen Job zu finden

Herta Müller, die an der Universität Timisoara (Temeswar) Germanistik und rumänische Literatur studierte, wurde am 17. August 1953 in Nitzkydorf im deutschsprachigen rumänischen Banat geboren. Später arbeitete sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik und verlor diesen Job 1979, nachdem sie sich geweigert hatte, mit dem rumänischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Mit Gelegenheitsjobs als Deutschlehrerin hielt sie sich materiell über Wasser - immer den Atem der Securitate-Spitzel im Nacken.

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In ihrem Erstling „Niederungen“, für den sie 1984 mit dem Aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet wurde, ging es um die Rückständigkeit in der dörflichen Enklave des Banats. Im damals hoch gelobten Band „Barfüßiger Februar“ (1987) stand dann das eigene Erleben stärker im Mittelpunkt. Das zentrale Thema war der Abschied von Rumänien.

Diverse Gastprofessuren sowie zahlreiche Literaturpreise erleichterten ihr den Neuanfang im Westen. Sie schrieb kontinuierlich, aber eher unspektakulär, auf hohem Niveau weiter.

Humanistische Stimme der Verfolgten

Der ganz große literarische Wurf ist Herta Müller erst im Jahr der Nobelpreisverleihung gelungen - mit ihrem Roman „Atemschaukel“. Sie hatte die Schilderungen von Georg-Büchner-Preisträger Oskar Pastior (1927-2006) über dessen Erfahrungen im Lageralltag in ihren bedeutendsten, tief unter die Haut gehenden Roman einfließen lassen. Ein Buch über Unterdrückung, Gewalt und die unmenschliche politische Barbarei in totalitären Systemen.

In Herta Müllers Erzählwerken wie in den essayistischen Petitessen hören wir eine wirkmächtige, singuläre humanistische Stimme der Verfolgten, mahnende Gedenkprosa von höchster poetischer Güte.

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Freier Autor seit rund 20 Jahren als Autor fürs Feuilleton tätig. Schwerpunkt: Literaturkritik

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