Nationaltheater

Neuer Mannheimer Generalmusikdirektor: „Die große Idee Oper darf nicht sterben“

Musikalische Akademie und Nationaltheater stellen Mannheims neuen Generalmusikdirektor Roberto Rizzi Brignoli vor - und die Akademie blickt auf die kommende Saison mit acht Doppelkonzerten - ein Gespräch mit dem neuen GMD.

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Stefan M. Dettlinger
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Roberto Rizzi Brignoli im Kasten: Albrecht Puhlmann, Fritjof von Gagern und eine Videobotschaft des GMD. © Bild: Rinderspacher:

Mannheim. Trotz einer seit dieser Spielzeit laufenden institutionellen Zusatzförderung durch die Stadt hat die Musikalische Akademie des Nationaltheaters in Mannheim nach wie vor Schulden in sechsstelliger Höhe. Das teilten Fritjof von Gagern und Patrick Koch aus dem Akademievorstand mit.

Erst im Jahr 2025 werde man das wieder ausgeglichen bekommen, sagte Geschäftsführer Koch. Unterdessen wurden bei der Pressekonferenz im Nationaltheater die neue Spielzeit und der neue Generalmusikdirektor Roberto Rizzi Brignoli präsentiert, der die Saison der Akademiekonzerte im Rosengarten am 16. Oktober mit einem italienischen Programm eröffnen wird.

Herr Rizzi Brignoli, Sie werden in der schwierigen Sanierungszeit in Mannheim Generalmusikdirektor. Was reizt Sie an der Aufgabe?

Roberto Rizzi Brignoli: Das Nationaltheater ist großartig und ich habe großen Respekt. Schauen Sie nur die fantastischen GMDs an, die es hier gab! Da kommt eine große Verantwortung auf mich zu in meinem Alter. Aber ich bringe auch viel Erfahrung mit und will die Qualität, die es hier gibt, erhalten. Das wollen alle Dirigenten. Klar. Als ich jung war und namhafte Dirigenten erlebt habe, habe ich gehört, wie sie ihre Idee von Klang vermittelt haben. Das will ich hier auch tun: meine Vorstellung von Klang vermitteln.

Sie sagen „in meinem Alter“. Ich habe das weltweite Web abgesucht. Man findet Ihr Alter nicht.

Rizzi Brignoli: Ja, man muss ehrlich sein. Ich bin jetzt 62. Und natürlich habe ich mich gefragt: Warum haben Sie sich für mich entschieden? Aber wir haben einfach sehr gut zusammengearbeitet.

Roberto Rizzi Brignoli

  • Ausbildung: Roberto Rizzi Brignoli, 62, absolvierte sein Klavierstudium am Mailänder Konservatorium G. Verdi, an dem er auch Komposition und Orchesterleitung studierte.
  • Stationen: An der Mailänder Scala arbeitete er mit Riccardo Muti und war „Verantwortlicher des musikalischen Service“. Er dirigierte dort viele Opern des italienischen Repertoires. Später gastierte er an vielen Häusern weltweit. Seit 2020 ist er Generalmusikdirektor am Teatro Municipal de Santiago de Chile.
  • Nationaltheater: Ab Herbst tritt er zusätzlich seine Stelle als Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim an. 

Stört es Sie denn nicht, dass Sie kein Theater haben werden?

Rizzi Brignoli: Natürlich, aber ich hoffe, wenn ich im September anfange, dass dann die Strukturen stehen und wir sehr bald spielen können.

Das steht mit dem Hauptort Oper am Luisenpark in den Sternen!

Rizzi Brignoli: Ich glaube, in solch einer Situation muss man positiv denken. Vieles steht momentan in den Sternen, wenn man sich anschaut, was auf der Welt passiert. Umso schöner ist es, bald wieder einen festen Standort zu haben, an dem man die Realität auch mal vergessen und einfach eine Oper genießen kann.

Gerade wurde das Programm der Musikalische Akademie vorgestellt. Inwieweit haben Sie sich hier mit eingebracht?

Rizzi Brignoli: Sehr! Ich bin großer Fan der besonderen Struktur der Musikalische Akademie, die das Orchester so aktiv mit einbindet. Gemeinsam mit dem Vorstand haben wir vergnüglich über Dramaturgie und Programmatik der kommenden Saison debattiert. Italien im Antrittskonzert ist natürlich ein Muss (lacht).

Sie sind in Mailand groß geworden. Das ist schick und international. Wie finden Sie Mannheim?

Rizzi Brignoli: Ich kenne noch nicht viel. Mir gefällt das Atmen der Kultur, das Interesse. Die Konzerte, die ich dirigiert habe, waren voll. Und es gibt sicher schöne Orte, die ich erkunden kann. Ich laufe viel - in den Parks.

Ist Laufen Ihr Sport?

Rizzi Brignoli: Und Radfahren. Ich liebe das Fahrrad sehr - zumal ich beim Laufen Knieprobleme habe.

Pressekonferenz der Musikalischen Akademie

Erstmals stellten die Musikalische Akademie und das Nationaltheater Mannheim den neuen Mannheimer Generalmusikdirektor der Presse vor. Roberto Rizzi Brignoli wird in seiner ersten Spielzeit vier Doppelakademiekonzerte dirigieren (siehe Auflistung). Es geht wieder bergauf mit der Akademie. Nach der Pandemie konnte die Auslastung wieder auf runde 80 Prozent gesteigert werden, wie Geschäftsführer Patrick Koch sagte. Dennoch werde man das sechsstellige Defizit im Haushalt wohl frühestens 2025 ausgleichen können. Gleichwohl erhöht die Akademie ihre Preise nicht. „Wir wollen kulturelle Teilhabe für alle ermöglichen“, sagte der 1. Vorsitzende des Vereins, Fritjof von Gagern.

 Die Konzerte im Einzelnen:

16./17.10.: Verdi, Casalla, Respighi. Roberto Rizzi Brignoli (Dir.)

13./14.11.: Schumann, Schönberg. Samuel Seidenberg, Teodor Blagojevic, Clemen Alpermann, Ulrich Grau (Horn), Axel Kober.

18./19.12.: Britten, Mahler. Liza Fertschman (Vio.), Eliahu Inbal.

5./6.2.: Beethoven, Strauss. Filippo Gorini (Klavier), Rizzi Brignoli.

4./5.3.: Mendelssohn, Dai Fujikura (UA), Schubert. Christoph Gedschold.

8./9.4.: Beethoven, Prokofjew. Jan Lisiecki (Kl.), Holly Hyun Choe.

10./11.6.: Poulenc, Ravel, Saint-Saëns. Christian Schmitt (Orgel), Rizzi Brignoli.

8./9.7.: Verdis Messa da Requiem. Zsuzsanna Ádám (S), Julia Faylenbogen (A), Irakli Kakhidze (T), Sung Ha (B), Chor, Orchester, Rizzi Brignoli.

 Infos: www.musikalische-akademie.de

 

Werden Sie hier herziehen?

Rizzi Brignoli: Ja und nein. Natürlich will ich hier viel präsent sein. Aber ich lebe in Italien und habe ja auch noch die Verpflichtung in Chile (Rizzi Brignoli ist seit 2020 auch Generalmusikdirektor des Teatro Municipal de Santiago de Chile, d. Red.)

Wie werden Sie das organisieren?

Rizzi Brignoli: Wir haben das schon geregelt, ich kann beides machen.

Sie werden Chile nicht aufgeben?

Rizzi Brignoli: Nein, ich habe meinen Vertrag bis 2026 verlängert. Das ist auch deshalb gut zu vereinbaren, weil ich während der Theatersommerpause in Chile sein kann, wo dann Winter und damit Hochsaison ist.

Für Ihren Vorgänger Alexander Soddy war es wichtig, sehr präsent fürs Orchester zu sein. Wie wird das gehen? Wie oft dirigieren Sie?

Rizzi Brignoli: Es werden 30 Abende sein plus die Arbeit davor. Zwei Neuproduktionen, zwei Wiederaufnahmen und vier oder fünf Konzerte. Das ist viel Arbeit, aber mein Wunsch ist auch, wirklich viel hier zu sein, die Kollegen kennenzulernen, die Produktionen zu sehen, ja, einfach die Kunst am Haus. Es ist an allen Theatern weltweit so: Etwas verändern kann man nur, wenn man da ist. Die Schwierigkeit ist aber, dass man neben festen Engagements auch Verträge mit anderen Häusern hat.

30 Abende sind nicht viel.

Rizzi Brignoli: Stimmt, aber das gilt auch nur für das erste Jahr.

Werden Sie Castings mitmachen?

Rizzi Brignoli: Dafür haben wir einen Direktor. Aber wann immer es geht, werde ich mich da einbringen, ja. Und wir haben ja tolle Stimmen am Haus.

Diesem Orchester muss man vor allem mit Gesten, mit den Augen, mit dem Herzen und mit der Leidenschaft, weniger mit Worten, erklären, was man will. Da entwickelt sich Klang.
Roberto Rizzi Brignoli Generalmusikdirektor

Vorhin sprachen Sie von „Ihrem Klang“. Beschreiben Sie mal.

Rizzi Brignoli: Das ist sehr schwer. Das ist eine Sache der Struktur. Ein Pianist hat Hände, mit denen er spielt. Wir haben Arme, lange und kurze. Jeder hat eine physiognomische Struktur. Unser Instrument ist das Orchester, und das ist ein kompliziertes Instrument. Und diesem Orchester muss man vor allem mit Gesten, mit den Augen, mit dem Herzen und mit der Leidenschaft, weniger mit Worten, erklären, was man will. Da entwickelt sich Klang.

Welcher Klang?

Rizzi Brignoli: Meine Klangidee ist extrem dramatisch, mit viel Spannung und Ausdruck in jeder Note - egal ob sie nur begleitet oder gezupft wird von einem Kontrabass oder einer Harfe. Wenn es um Oper geht, soll die Musik auch den Text erklären. Daran arbeite ich. Die Kollegen im Orchester sind begeistert, wenn der Dirigent das Wort mit dem Klang verbinden will. Da hilft es nicht zu sagen, ich will einen dunklen Klang. Man muss sagen, was zu tun ist, um den dunklen Klang zu schaffen.

Hier will ich mehr Celli und Bässe hören und weniger Violinen?

Rizzi Brignoli: Genau. Und mein Klang ist nicht so brillant. Er ist eher dunkel und dramatisch, ausgerichtet eher in seiner vertikalen Struktur und weniger an horizontalen Entwicklungen. Ich habe sicher auch Schwächen, aber vielleicht ist es meine Stärke: zu wissen, ob etwas schön ist. Ich weiß auch, ob ein Hemd zu einer Hose passt. Und so weiß ich auch die Orchesterfarben zu mischen.

Sie sind sehr konzentriert auf Details, ist mir aufgefallen.

Rizzi Brignoli: Die Details bestimmen den Klang. Es ist wie beim Kochen. Die Zutaten müssen zusammenpassen, damit sich ein Aroma entfalten kann. Wenn ich ein Crescendo in allen Instrumenten habe, heißt das nicht, dass alle Instrumente dasselbe Crescendo spielen. Zum Beispiel können die Bässe ein schnelles und die Geigen ein langsames Crescendo spielen. Das hat dann einen besonders schönen Effekt.

Dirigieren Sie deshalb auch sehr viel, also mit viel Bewegung, Energie und Gesten - etwa in den Vierteln des 1. Satzes der „Eroica“?

Rizzi Brignoli: Ich denke schon. Man kann das in ganzen Takten machen (Rizzi Brignoli beginnt, das Thema aus Beethovens Sinfonie zu singen und zu dirigieren). Das wird dann leichter und flüssiger. Aber ich mag es eben dramatischer (er singt erneut, diesmal langsamer und nachdrücklicher).

Wie haben Sie die Arbeit mit dem Nationaltheaterorchester erlebt?

Rizzi Brignoli: Das Orchester hat einen Klang, wie ich ihn mag. Sehr dramatisch, sehr disponibel, was das Tempo rubato (Dehnen und Kürzen des Flusses) angeht. Ich habe das Gefühl, wir haben eine sehr schöne Beziehung. Wir kennen uns schon lange durch Verdis „Trovatore“. Wir haben früh über eine Kandidatur gesprochen. Und dann wollten sie deutsche Sachen mit mir machen, den „Freischütz“ und Beethoven. Ich bin bis ins Mark Italiener, und so dirigiere ich das dann auch und sie mochten das. Es herrschte eine gute Stimmung und wir begegnen uns mit viel Respekt. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man mit allen reden muss. Und das tue ich.

Ich dirigiere nicht viel Wagner, und wenn ich es tue, kann ich auch nicht verstecken, dass ich Italiener bin
Roberto Rizzi Brignoli Generalmusikdirektor

Sie sagten, Sie seien Italiener bis ins Mark. Was denken Sie über schwere deutsche Musik von Wagner oder Strauss, die beide sehr wichtig für Mannheim sind?

Rizzi Brignoli: Verdi kann auch sehr schwer sein. Aber gut, anders und ich begegne dem deutschen Repertoire mit viel Respekt. Ich dirigiere nicht viel Wagner, und wenn ich es tue, kann ich auch nicht verstecken, dass ich Italiener bin. Man atmet eine andere Atmosphäre. Aber ich liebe es, mich in so ein Abenteuer zu stürzen.

Kann man etwas gut machen, ohne es vollkommen zu lieben?

Rizzi Brignoli: Nein, das geht nicht.

Um Wagner gut zu dirigieren, muss man also Wagner lieben.

Rizzi Brignoli: Ich liebe ihn sehr. Natürlich auf andere Weise als Verdi, von dem ich fast alles dirigiert habe.

Und wie sehen Sie Zeitgenossen?

Rizzi Brignoli: Ich habe, ehrlich gesagt nicht viel gemacht. Wenn ich wählen könnte, würde ich gern zeitgenössische Musik dirigieren. Die Oper und die Sinfonie haben eine Zukunft. Wir müssen da etwas tun. Aber das überlasse ich meinen jüngeren Kollegen.

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Stefan M. Dettlinger
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Das heißt, Sie glauben nicht, dass die zeitgenössische Oper tot ist, obwohl der letzte richtige Evergreen bald 100 Jahre alt ist?

Rizzi Brignoli: Ja, „Turandot“ wird in drei Jahren 100 Jahre alt. Aber es gibt auch Komponisten vor Puccini, die man nicht viel spielt.

Dann vergleichen wir mal die 100 Jahre vor „Turandot“ und die 100 danach. Davor wurde ein großer Teil Operngeschichte geschrieben.

Rizzi Brignoli: Klar, deswegen sage ich ja: Wir müssen etwas machen, auch wenn es nicht wieder so werden wird wie damals, als die Leute darauf gebrannt haben, dass Rossini endlich eine neue Oper schreibt.

Heute warten sie auf ein neues Album von Ed Sheeran.

Rizzi Brignoli: Genau. Aber Oper ist so eine große Idee. Die darf nicht sterben.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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