Das Wichtigste in Kürze
- Die Ausstellung in Mannheim geht kaum auf die NSDAP-Mitgliedschaften von Künstlern ein.
- Wichtige Fakten zu Künstlern wie Robert Häusser fehlen in den Veröffentlichungen.
- Die Museen müssen ihre Recherchestandards dringend verbessern.
Mannheim. „Seine Mitgliedschaft in der NSDAP bewahrte ihn vor dem schlimmsten Berufsverbot und KZ.“ So schrieb der Dresdner Maler Fritz Tröger 1966 über seinen Kollegen Ewald Schönberg. Anlässlich einer Schönberg-Ausstellung gab noch 2019 eine Publikation der Städtischen Sammlungen Freital diese Einschätzung gänzlich unkritisch und zustimmend wieder.
Wenn eine Mitgliedschaft in der NSDAP, die keineswegs jedem Aspiranten gewährt wurde, als erzwungene Strafe präsentiert wird, sollte man stets misstrauisch sein. Umso mehr als der Entlastungszeuge Tröger wie auch Schönberg zum 1. Mai 1933 der Partei beigetreten waren, wovon man in dem Bändchen bereits nichts mehr erfährt.
Schönberg war seit 1937 Propagandaverwalter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und flötete 1941 in einer Bitte um eine Geldspende an die Stiftung Künstlerdank: „Sieh‘ unser völkisches Gemeinwesen lässt niemanden fallen, der der Kunst wahrhaft dient.“ Entsprechend fand man bei der politischen Beurteilung Schönbergs nichts an ihm auszusetzen. Er konnte auch bis 1943 an mindestens zehn größeren Ausstellungen in der Zeit des Nationalsozialismus teilnehmen.
Armin Jäger
Armin Jäger, Studium der Filmwissenschaft und Germanistik, arbeitet als freier Autor zu filmhistorischen Themen und für überregionale Medien zu NS-Verstrickungen von Prominenten.
Was das alles nun mit Mannheim zu tun hat? In der laufenden Ausstellung der Kunsthalle, die das hundertjährige Jubiläum der namensgebenden Schau „Neue Sachlichkeit“ feiert, hängen je ein Bild von Tröger und Schönberg nebeneinander, kein Wort zu ihrer Parteizugehörigkeit findet sich in Katalog, Ausstellungstexten oder Audioguide. Überhaupt ist das nur bei drei Künstlern der Fall. Der Kommentar der Kuratorin dazu lautet, dass darauf nicht der „Hauptfokus“ lag. Der Hauptfokus ist nun gar nicht gefragt, aber angesichts des ganzen Kulturprogramms um diese Ausstellung – ist ein kleiner Aufsatz im Katalog zu dem Thema ein so exotischer Gedanke?
Tatsächlich sind es nämlich 16 Parteigenossen, die gerade in Mannheim ausgestellt werden, von elf ist die Mitgliedschaft bekannt, von fünf bis heute nicht.
Tatsächlich sind es nämlich 16 Parteigenossen, die gerade in Mannheim ausgestellt werden, von elf ist die Mitgliedschaft bekannt, von fünf bis heute nicht: Richard Birnstengel trat zum 1. Mai 1933 bei (verließ aber offenbar zum November 1942 die Partei), Barthel Gilles und Kay Nebel zum 1. Mai 1937 und Benjamin Godron zum 1. Juli 1941. Der fünfte ist das Mannheimer Eigengewächs Eugen Knaus, von dem die Kunsthalle sieben Bilder besitzt. Die dürre Information auf deren Internetseite lautet: „über Leben und Ausbildung nichts Näheres bekannt.“ Bekannt ist intern, dass Knaus 1934 einen Geldpreis der Stadt Mannheim mit einem Bild des hakenkreuzbeflaggten Messplatzes gewann.
Hätte man ernsthaft geforscht, würde man im Bundesarchiv eine NSDAP-Karteikarte mit Beitritt zum 1. Mai 1933 finden und im Landesarchiv Karlsruhe eine Entnazifizierungsakte. Knaus präsentiert sich dort erwartungsgemäß als jemand, der als moderner Maler von den Nazis abgelehnt wurde und angeblich auf Aufforderung des Kulturwartes der NSDAP beigetreten ist. Abenteuerlich wird es freilich, wenn Knaus behauptet, nur zwei Monate lang die Mitgliedsbeiträge bezahlt zu haben und dann die Verantwortung für den Rest seiner Frau zuschiebt, die vom örtlichen Blockwart angeblich unter Drohungen dazu genötigt wurde, wann immer Knaus selbst abwesend war. Wie das sieben Jahre lang bis zur Einberufung Knaus‘ in die Wehrmacht vor sich gegangen sein soll und wie die Ehefrau das fehlende Geld ihrem Mann gegenüber erklärte, bleibt der Fantasie des Lesers vorbehalten, umso mehr als Knaus als Reklamezeichner für die Ufa in Ludwigshafen tätig und nicht als Reisender quer durch Deutschland unterwegs war.
Nun ist es keineswegs so, dass in der Ausstellung die Verbindung zum Nationalsozialismus verschwiegen würde, aber das Thema wird kursorisch an einigen äußerst unglücklich gewählten Beispielen abgehandelt.
Nun ist es keineswegs so, dass in der Ausstellung die Verbindung zum Nationalsozialismus verschwiegen würde, aber das Thema wird kursorisch an einigen äußerst unglücklich gewählten Beispielen abgehandelt. Die NS-Kunst wird als stilistisch bieder, steril und uniform imaginiert, was kein mit dem Thema vertrauter Kunsthistoriker heute noch so konstatieren würde; vor einem Jahr konnte man sich in Arnheim von der stilistischen Variabilität der Malerei der Zeit überzeugen. In Mannheim muss aber die unvermeidliche Kalenberger Bauernfamilie von Adolf Wissel zur Illustration der arischen Familie herhalten, obwohl nicht zu übersehen ist, dass die allesamt aneinander vorbeischauenden Porträtierten keineswegs eine idealisierte Welt zeigen. Gerhard Keils „Turner“ sollen wohl Bilder von arischen jungen Männern beschwören, aber der 1912 geborene Keil kann schwerlich mit der Neuen Sachlichkeit in Verbindung gebracht werden.
Wie zur Kompensation behauptet einer der Wandtexte plötzlich ganz undifferenziert und flächendeckend diffamierend, dass der rechte, konservativere Teil der neusachlichen Maler sich an den neuen Machthabern orientierte.
Welche bedenklichen Resultate solch ein lustloser Umgang mit dem Nationalsozialismus hervorbringt, zeigt sich in einer begleitenden Ausstellung des Reiss-Engelhorn-Museums, in der der international renommierte Fotograf Robert Häusser, der die meiste Zeit in Mannheim lebte und wo auch sein Nachlass aufbewahrt wird, in Verbindung mit zwei Fotografen der Weimarer Republik präsentiert wird.
Seit knapp zwei Jahrzehnten werden Bildbände von Häussers Werken mit Texten garniert, in denen man erfährt, dass seine Familie unter den Nazis leiden musste. Robert Häussers Vater sei zuerst ein früher Anhänger Hitlers gewesen, habe sich dann aber vom Nationalsozialismus abgewandt, geheime Treffen mit Gleichgesinnten abgehalten, sei schließlich verraten und von 1936 bis 1938 im KZ Dachau inhaftiert worden. Die Familie war danach angeblich sozial isoliert und musste einen gesellschaftlichen Abstieg hinnehmen. Auch in der neuesten Publikation zur laufenden Ausstellung ist vom „Trauma des Leidens seiner Familie“ im NS-System die Rede. Diese Darstellung beruht auf Häussers Autobiographie.
Mannheimer Museen bei dem Thema schlicht zu unkritisch?
Im Bundesarchiv findet man eine NSDAP-Karteikarte zum Vater, Christian Häusser. Ein Foto zeigt ihn in SA-Uniform mit Hakenkreuzarmbinde und dem Beitrittsdatum 1. April 1931. Einen Ausschluss aus der Partei, den ein Dachau-Aufenthalt unweigerlich mit sich gebracht hätte, findet man allerdings nicht vermerkt. Stattdessen gab es März 1938 offenbar ein Urteil des Obersten Parteigerichts, das eine Verwarnung und eine Ämtersperre auf zwei Jahre aussprach. Auch der Umzug nach Brandenburg 1942 und die Ummeldung in die dortige NSDAP-Ortsgruppe ist vermerkt. Die Gedenkstätte Dachau versichert auf eine Anfrage hin, eine vollständige Häftlingsübersicht über die fraglichen Jahre zu haben und ein Christian Häusser tauche da nicht auf. Eine weitere Akte gibt schließlich preis, dass dieser sich 1944 auf eine Stelle ins besetzte Polen bewarb, der Auszug aus dem Strafregister weist lediglich eine Strafe von 20 Reichsmark im Jahr 1935 aus – wegen Beleidigung und grobem Unfug.
Robert Häussers Erzählungen über seinen Vater scheinen offenbar nicht der Wahrheit zu entsprechen, werden aber unkritisch reproduziert. Im Bundesarchiv findet man zudem eine Karte zu Robert Häusser selbst, der zum 1. September 1942 der Partei beigetreten ist, worüber kein Wort in all den Publikationen über ihn steht. Dass Häusser es nicht so genau mit der Wahrheit nahm, belegt zudem seine eigene Entnazifizierungsakte im Landesarchiv Karlsruhe, in der er seine NSDAP-Mitgliedschaft leugnet.
Eine Frage muss jedenfalls nach all den strittigen Punkten erlaubt sein: Haben die Mannheimer Museen bei den genannten Ausstellungen zur Neuen Sachlichkeit die heute üblichen Mindeststandards bei der Recherche erfüllt?
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