Was ein Porträt ist, weiß doch jeder. Könnte man meinen. Dass es fast ebenso viele Definitionen gibt wie porträtierte Leute, stellt man in der Grafikschau der Mannheimer Kunsthalle fest, wo Kurator Thomas Köllhofer seine Schränke weit geöffnet und ganz neu nachgedacht hat. Auf den ersten Blick deckt die Schau rund vier Jahrhunderte ab, und chronologisch gehängt sind die Kostbarkeiten auch - dennoch ist Köllhofers Konzept eine Besonderheit, und dies nicht nur, weil er ausgewählte Skulpturen integrierte, sondern weil die vielen Facetten des Bildtypus bewusst werden.
Herrscherporträts bis zu Napoleon
Zunächst hat er in die Sammlung von Carl Theodors Hofwissenschaftler Anton von Klein (1746-1810) gegriffen, die 1924 in die Kunsthalle kam und die schönsten Radierungen und Kupferstiche des 16. bis 18. Jahrhunderts enthält. Klein sammelte unter anderem zu Informationszwecken. Gemälde großer Meister ließen sich damals nur durch Drucke verbreiten, und so erweist sich im 18. Jahrhundert das Porträt vor allem als Medium für Herrscher - und es ist Blatt für Blatt hinreißend. Carl Theodor selbst fehlt keineswegs, einmal stehend mit Hermelinumhang, Regentenstab und Kronen auf dem Tisch neben ihm (1788 von Johann Georg Huck nach einem Gemälde Pompeo de Batonis), ein anderes Mal als kleines Blatt im Profil, mit unverkennbarem Hängebäckchen, von Hofkünstler Egid Verhelst (1733-1804) nach einer unbekannten Marmorplastik des nicht zu ermittelnden Bildhauers „Ling“. Und Verhelst, kein Mann von halben Sachen, nahm sich in gleichem Format, aber nach dem Leben auch Kurfürstin Elisabeth Auguste vor. Der kleine Saal deckt sozusagen das Herrscherporträt bis zu Napoleon ab - mit Reiterfiguren Ludwigs XV. um 1744 (Johann Georg Wille) und dem tollen Draufgänger Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der sein Pferd kaum zügeln kann (von Georg Philipp Rugendas).
Das Gelehrten- und Künstlerporträt der gleichen Zeit ist völlig anders geartet. Von der Qualität der Sammlung Klein zeugen die meist kleinformatigen Bildnisse etwa Martin Luthers von Lucas Cranach (1548) oder Albrecht Dürers von Philipp Melanchthon (1526). Auch dieser Saal endet mit dem späten 18. Jahrhundert und einer Herrlichkeit wie dem üppigen „Selbstporträt mit Strohhut“ von Elisabeth Vigée-Lebrun (1755-1842), meisterhaft gestochen 1776 von Johann Gotthard von Müller (1747-1830).
Wie intim und persönlich dieser Porträttypus geraten kann, zeigen einige winzige Rembrandt-Radierungen, darunter seine Mutter (1628) und ein Selbstbildnis, dessen auftrumpfende Eigenwahrnehmung im Gegensatz zum Format steht. Eines der großartigsten Blätter ist die malerische Schabkunst von Johann Jakob Haid (1704-1787), der sich das Porträt des Malers Johann Georg Dathan von dessen Bildhauer-Kollegen Paul Egell vornahm.
Die Frage, was ein Porträt eigentlich sei, stellt Köllhofer seinem Publikum gezielt anhand einiger unvollständig beschrifteter Blätter und Skulpturen. Der Kopf von Wolf Spitzer - was stellt er dar, eine Person oder eine ausdrucksvolle Abstraktion? Der klassisch schöne Mann mit dem langen Haar und den feinen, kühlen Gesichtszügen von Georg Kolbe - wer ist das? Caspar David Friedrichs altes Paar, stimmungsvoll mit Sanduhr und Bibel, Brille und Büchern - Porträts seiner Eltern oder ins Bild geholte heimelig bürgerliche Stimmung? Beides? Und der „Man in a Deck Chair Drinking“ von George Segal - der Gipsabguss eines realen Mannes: Porträt oder „nur“ eine bestürzend lebensechte Skulptur?
Den Vogel schießt Köllhofer im letzten Kabinett ab - er versammelte die Porträts der Kunsthallendirektoren von Fritz Wichert (Alexander Archipenko, 1923) über Gustav Friedrich Hartlaub (Otto Schliessler), Walter Passarge (Gerd Dehof), Heinz Fuchs (Wolf Spitzer, von Fuchs ungeliebt, der daraufhin aus Draht ein Selbstporträt bastelte) bis hin zu Manfred Fath (winzig, witzig und bezaubernd von Karin Sander). Wenn man ein Fazit ziehen will - als Besucher sollte man es machen wie Köllhofer selbst - in der Fülle von Leckerbissen noch einmal neu nachdenken über „das“ Porträt.
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