Stadtgeschichte

Wer Napoleons Mannheimer Geliebte war

Der neue Marchvum-Direktor Harald Stockert tritt mit dieser pikanten, bisher aber nicht bekannten Geschichte sein Amt an: Der uneheliche Sohn Napoleons und seine Mutter lebten zeitweise in Mannheim.

Von 
Peter W. Ragge
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Napoleons Geliebte Eleonore, dargestellt als griechische Dichterin Sappho. © Marchivum/Musée des Beaux-Arts Antoine Lecuyer, Saint-Quentin

Mannheim. Es ist sehr pikant, was er da beschreibt, für damalige Zeiten gar skandalös. Napoleon hat eine Geliebte in Mannheim, gar einen unehelichen Sohn mit ihr - denn verheiratet ist diese Frau mit dem Intendanten des Nationaltheaters! Aber genau das schildert Harald Stockert, der neue Direktor vom Marchivum, in einem Buch und heute in seinem Antrittsvortrag.

Er wolle damit „eine kleine, dramatische und unterhaltsame Geschichte bieten“ und „auch ein Stück bislang unbekannter Mannheimer Stadtgeschichte, die im Schatten der großen Geschichte stattfand“, sagt er und macht damit zugleich deutlich, wie er künftig sein Amt versteht und historische Information vermitteln will.

Dass Napoleon selbst nie in Mannheim war, das weiß man - er kam nur bis zur damaligen Rheinschanze, heute Ludwigshafen. Das Veteranendenkmal in D 5 und eine Stele auf der Friesenheimer Insel erinnern an seine Schlachten jener Zeit, mehr nicht. Und man weiß natürlich, dass Napoleons Adoptivtochter lange hier wohnt: Stéphanie de Beauharnais (1789-1860).

Die Zweitfamilie des Kaisers

Aus politischen Gründen mit Erbgroßherzog Carl (1786-1818) verheiratet, lebt sie mit ihm nach der Hochzeit 1806 bis 1811 im Mannheimer Schloss und bezieht es nach seinem frühen Tod 1818 als Witwensitz. 42 Jahre logiert sie mit einem Hofstaat von knapp zwei Dutzend Personen im Schloss, wo der Westteil des Mittelbaus heute noch so eingerichtet ist wie in ihrer Ära. Sie sorgt für viel royalen Glanz in jener Zeit, empfängt viele adelige Besucher - doch nie Napoleon selbst. Auch der Schlossgarten ist ihr zu verdanken.

Aber dass Stockert von „Napoleons Zweitfamilie in Mannheim“ spricht, wirkt gewagt - ist es aber nicht. Darauf gestoßen ist der Historiker durch Zufall: „Ein kleiner, eigentlich falscher Hinweis“, ein illegitimer Sohn Napoleons habe im Seckenheimer Schloss gewohnt, hat ihm „das Tor in die napoleonische Welt aufgemacht“, sagt er. Diese Umbruchzeit Anfang des 19. Jahrhunderts sei „absolut spannend, da passierte ungeheuer viel in einer für damaligen Zeitgenossen überwältigenden Dynamik“.

Der neue Marchivum-Chef Harald Stockert

  • Harald Stockert (52) ist als Nachfolger von Ulrich Nieß neuer Direktor vom Marchivum.
  • Stockert ist in Bad Mergentheim aufgewachsen. Zum Studium der Geschichte, Germanistik und Mathematik kam er nach Mannheim und Amsterdam. Am Historischen Seminar der Universität Mannheim promovierte er über die Fürsten von Löwenstein-Wertheim zwischen 1780 und 1850.
  • Von 1998 bis 2000 absolvierte Stockert das Referendariat für den höheren Archivdienst. 2001 kam er als Abteilungsleiter „Zwischenarchiv“ zum damaligen Stadtarchiv und wurde 2008 stellvertretender Institutsleiter. Seit 2014 ist Stockert zudem Geschäftsführer der Mannheimer Archiv- und Digitalisierungs-Gesellschaft (MAUD).
  • Als Antrittsvortrag stellt Stockert sein auch mit Hilfe der Karin- und Carl-Heinrich-Esser-Stiftung sowie vom Freundeskreis Marchivum mitfinanziertes Buch „Napoleons Zweitfamilie“ (Verlag Regionalkultur) vor.
  • Der Vortrag am Donnerstag, 14. September, findet um 18 Uhr im Friedrich-Walter-Saal des Marchivums statt und wird zudem auf www.marchivum.de gestreamt.

Schließlich wird Mannheim durch Napoleon badisch, der Rhein zur Grenze, und die Kurpfalz endet. „Und in dieser Welt voller Schlachten, Länderneuordnungen, mit der Figur Napoleons zwischen Genialität, Skrupellosigkeit und Hybris, findet man dann diese Operettengeschichte, die vor Absurditäten nur so strotzt“, wundert sich Stockert noch ein bisschen selbst über diese Zweitfamilie, „die bislang völlig unbekannt ist“. Aber es gibt sie - natürlich nicht mit Absicht.

Adoptivtochter Stéphanie besucht einst ein Internat, und sie hat eine Schulfreundin namens Eleonore, der „außergewöhnliche Schönheit“ bescheinigt wird. Mit ihr beginnt Napoleon, obwohl zu jener Zeit verheiratet, eine Affäre, und die bleibt nicht ohne Folgen. 1806 wird Sohn Leon geboren, wobei laut Geburtsurkunde der Vater als unbekannt gilt. Er hat nämlich schon eine neue Geliebte, kümmert sich aber um das uneheliche Kind, sorgt für Tagesmutter, Vormünder und Finanzen. Alleine die Geschichte, wer alles den Jungen betreuen soll und wie Eleonore dann mit einem - später in Haft wandernden - Offizier verheiratet wird, gleicht schon einem Krimi. Doch diese und eine weitere Ehe scheitern, und danach kommt Mannheim ins Spiel.

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Sie heiratet nämlich - in dritter (!) - Ehe Karl August Emil von Luxburg (1782-1849), zunächst wenig erfolgreicher Soldat (Major à la suite), dann Gesandter des badischen Herrscherhauses in Frankreich und von 1821 bis 1836 Intendant des Mannheimer Nationaltheaters. Die Eheschließung findet am 23. Mai 1814 in Seckenheim statt, wo Karl August 1816 das einst vom kurpfälzischen Beamten von Stengel erbaute Schlösschen für 15 000 Gulden erwirbt. Es wird „zum gesellschaftlichen Mittelpunkt des lokalen Adels“, so Harald Stockert. 1819 kaufen sie noch eine Stadtwohnung in A 2,6.

Besuch in Seckenheim

Der Ehemann muss gewusst haben, dass er eine frühere Mätresse Napoleons heiratet, aber er denkt, ihre Vergangenheit sei weit weg. Doch sie sei „stadtbekannt“ gewesen, sagt Stockert - und sie holt das Ehepaar ein. Spannend schildert Stockert, wie der uneheliche Sohn aus Frankreich im Januar 1823 in Seckenheim vor der Tür steht und seine Mutter besuchen will, die er lange nicht gesehen hat. Sie habe ihn umarmt, von Luxburg indes distanziert geschaut.

Leon ist nicht nur Napoleons uneheliches Kind, sondern - so Stockert - „eine international bekannte, skandalträchtige Figur“, denn es gibt Prozesse gegen ihn und um sein Erbe, es gibt Auseinandersetzungen (sogar ein Pistolenduell) in Frankreich und wegen des prominenten Vaters rege Presseberichterstattung. „Leon und Eleonore konnten ihre Rolle als Sohn bzw. ehemalige Geliebte niemals abschütteln“, so der Marchivum-Direktor.

In Mannheim meldet sich Leon als „Carl von Leon“ und als „Graf“ - der er gar nicht ist - an, bezieht eine Wohnung in C 3,2, dann in A 3,2 und C 1,2, studiert zeitweise an der Uni Heidelberg Philosophie, bricht aber ab und scheitert mit dem Plan, zum badischen Militär zu gehen. Er kauft Grundstücke, wird zu einem der größeren Güterbesitzer in Neckarhausen, lebt dort auch zeitweise und zieht doch wieder nach Paris. Letztlich ist er beim Tod 1881 eine gescheiterte Existenz mit vielen Schulden, weshalb seine Güter in der Region alle zwangsversteigert werden.

Redaktion Chefreporter

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