Warschau/Mannheim. Der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano will sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Das gab der 52-Jährige am Mittwoch bekannt. Toscano zeigte sich bestürzt über den Antrag der CDU im Bundestag über den Migrationsplan, der mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erlangte.
Herr Toscano, Sie wollen Ihr Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Warum?
Luigi Toscano: Ich bin gerade in Polen mit Holocaust-Überlebenden unterwegs. Als ich am Mittwochabend ins Hotel kam, habe ich von der Abstimmung im Bundestag mit Stimmen der AfD erfahren. Ich bin so entsetzt und enttäuscht. Ich sehe alle meine demokratischen Werte verraten. Deswegen habe ich zusammen mit dem Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg entschieden, dass wir die Ehrung zurückgeben.
Aber das Bundesverdienstkreuz hat doch nichts mit dem Bundestag und Politik zu tun. Es wird vom Bundespräsidenten verliehen.
Toscano: Stimmt, aber es wird im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Deutschland hat sich nach 1945 verpflichtet, so etwas wie den Holocaust mit allen Mitteln zu verhindern - und dann kommt da diese rechtsextreme AfD und bekommt Einfluss im Bundestag. Da wollen wir ein symbolisches Zeichen setzen. Ich will auch nicht mehr auf diese Art offiziell dieses Land auf der ganzen Welt repräsentieren. Ich sehe da eine Schande.
Der Fotograf Luigi Toscano
- Der Fotograf: Sich selbst beschreibt Luigi Toscano, geboren am 9. Mai 1972 in Mainz, als „Spätberufener mit bewegter Vergangenheit“. Der heute in Mannheim Lebende arbeitete als Dachdecker, Türsteher und Fensterputzer. So erlebte der Sohn italienischer Gastarbeiter seine Umwelt aus unterschiedlichsten Perspektiven. Dass er heute Kunst macht, wollte er lange nicht so recht wahrhaben. Er sei der, der fotografiert, sagte er immer – er sei Luigi, das hätte ihm gereicht.
- Die Ausstellungen: Seine erste Ausstellung „Colorblind“ (Farbenblind) war 2003, Toscano war Anfang 30. Seitdem hat er rund 30 Ausstellungen gehabt.
- Gegen das Vergessen: Sein Hauptprojekt „Gegen das Vergessen“ mit Bildern von Holocaust-Überlebenden ging in den vergangenen Jahren um die ganze Welt und wurde in 28 Orten auf verschiedenen Kontinenten gezeigt.
- Bundesverdienstkreuz: Luigi Toscano ist der erste Fotograf, der 2021 von der UNESCO zum „Artist for peace“ ernannt wurde. Außerdem erhielt er 2021 auch den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Ihn will er nun wieder zurückgeben.
Man muss die AfD nicht mögen, aber sie sitzt demokratisch legitimiert im Bundestag.
Toscano: Na ja, für mich ist die AfD eine nicht-demokratische Partei, die demokratisch im Bundestag sitzt.
Am Morgen spricht ein Holocaust-Überlebender im Bundestag, und danach wird so eine Entscheidung getroffen. Warum?
Die Debatte, wie die Entscheidung zustande kam, überdeckt gerade den Inhalt: nämlich das beschlossene, verschärfte und teils verfassungswidrige Umgehen mit Migration. Haben Sie keine Angst, dass auch die Demokratie leidet, wenn die Aufregermomente die Inhalte überdecken?
Toscano: Was mich entsetzt: Was der Bundestag da verabschiedet hat, ist gerade irrelevant. Das hätte Zeit gehabt. Der Zeitpunkt allein ist schlimm. Am Morgen spricht ein Holocaust-Überlebender im Bundestag, und danach wird so eine Entscheidung getroffen. Warum? Es gehört zu einer verantwortlichen Politik, dass man solche Entscheidungen zum richtigen Moment einbringt.
Ich verstehe Sie schon richtig: Die Entscheidung selbst halten Sie auch für falsch, oder?
Toscano: Genau. Die Debatte dient eigentlich nur dazu, etwas aufzuheizen, und das spielt denen in die Karten, die sie anführen - CDU und AfD. So eine Debatte braucht viel mehr Raum und Zeit. Seit 1945 hat so eine extremistische Partei nicht mehr eine Entscheidung mitgetragen. Das ist es, was mich so traurig macht.
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