Mannheim liest ein Buch

"Mannheim liest ein Buch": Dmitrij Kapitelman macht den Anfang

Den Auftakt von "Mannheim liest ein Buch" hat Dmitrij Kapitelman in der Aula der Mannheimer Universität gemacht. Sein zum „Buch der Stadt 2023“ gewählter Roman „Eine Formalie in Kiew“ nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine Reise in die Ukraine mit

Von 
Christina Altmann
Lesedauer: 
Dmitrij Kapitelman ist Schriftsteller und Journalist. © Christian Werner

Mannheim

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Eine Lesung mit Gespräch ist an einer Universität eigentlich nichts Besonderes. Doch diese Veranstaltung war nicht nur Studierenden vorbehalten. Die Öffentlichkeit war geladen und Sicherheitskräfte bewachten die Zugänge zur Mannheimer Aula, beäugten Taschen und Rucksäcke der Besucher, denn schließlich handelte es sich beim Gastredner um einen jüdischen Kontingentflüchtling aus der kriegsgebeutelten Ukraine. Und angesichts zunehmender Gefahr antisemitischer und migrationsfeindlicher Ambitionen ist Vorsicht geboten. Dmitrij Kapitelman las aus seinem zum „Buch der Stadt 2023“ gewählten Roman „Eine Formalie in Kiew“ und stellte sich den Fragen der Literaturwissenschaftler Sandra Beck und Professor Thomas Wortmann vom Seminar für Deutsche Philologie.

Literarische Qualität und thematische Aktualität hätte laut Wortmann den Ausschlag gegeben, dieses Buch, das Migration, Faschismus, Nationalismus anspricht und die deutsche, wie die ukrainische Gesellschaft gleichermaßen betrifft, für die Aktion auszuwählen.

Lust an Wortschöpfungen

In der Tat nimmt Kapitelman seine Leser mit auf eine Reise vom Damals-Kiew, als sich die Ukraine mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 Unabhängigkeit eroberte, in das Heute-Kiew, das mit wirtschaftlichen Problemen, mit Korruption, mit den Nachwirkungen der „postsowjetischen Staatssäure“zu kämpfen hat. Er schildert all die ernsten Vorgänge mit unbeschwertem Humor, oft mit Sarkasmus aber großer Wärme. Mit einer köstlichen Lust an Wortschöpfungen und nahezu beiläufig geschilderten Wahrheiten räumt er die Vorurteile über die „löchrige, unglaubwürdige, unzuverlässige Ukraine (siehe Gullydeckel)“ und das „kreditwürdige Geldland“ Deutschland beiseite.

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Dmitrij Kapitelman ist 1986 in Kiew geboren. Als Juden duften seine Eltern mit der kranken Tochter und dem damals achtjährigen Sohn ausreisen. Sie landeten 1964 in Leipzig. Die Katzen-fixierte Mutter und der passive, in sich gekehrte Vater sprechen weiter russisch, Dmitrij beherrscht akzentloses Deutsch und auch Sächsisch, fast besser als Frau Kunze von der Leipziger Ausländerbehörde. Dort beantragt er nach 25 Jahren Migration die deutsche Staatsangehörigkeit, muss aber in seiner ehemaligen Heimatstadt die Geburtsurkunde neu beglaubigen lassen.

Meisterhaft verfasste Liebeserklärung

Drei Passagen liest Kapitelman mit erzählerisch-singendem Timbre aus seinem Buch, das wie sein erster Roman „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ autobiografisch ist. Das Zerwürfnis mit den Eltern andeutend, klärt sich etwas mit dem Zusammentreffen seines Sandkistenfreundes, der fest an die Reformen des „Komikerpräsidenten“ und die demokratische Freiheit der Ukraine glaubt.

Eine meisterhaft verfasste Liebeserklärung an die entwurzelte Familie und eine verlorene Heimat, die bei allem versteckten Humor erstaunt, berührt, aufklärt. Die Gäste in der gut besuchten Universitätsaula spendeten langen, anerkennenden Applaus.

Weitere Infos unter: www.mannheimliesteinbuch.de

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