Ausstellung

Licht und Schatten einer Epoche

Frankfurter Städel hinterfragt Amsterdams berühmtes „Goldenes Zeitalter“

Von 
Christian Huther
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Blick in die Ausstellung: Das Städel-Museum in Frankfurt zeigt niederländische Meister des 17. Jahrhunderts. © Peter Juelich/epd

Frankfurt. Wer arm und wer reich war, sieht jeder sofort auf dem 400 Jahre alten Gruppenbild. Die reichen Männer und auch ihre eher selten auftauchenden Frauen tragen schwarze Kleidung mit weißer Halskrause. Das war die relativ schlichte, aber typische Bekleidung der bürgerlichen Oberschicht, die sich vom Prunk der Fürstenhöfe absetzen wollte – dennoch waren diese Gewänder teuer, da schwarze Farbe schwierig herzustellen war. Die Armen hingegen konnten sich nur natur- oder erdfarbene Kleidung leisten, wenn diese nicht längst zerrissen war. Die Wohlhabenden in den schwarzen Roben wiederum engagierten sich ehrenamtlich als Regenten des Almosenhauses, sie wachten über die Einhaltung der Arbeitsregeln, teilten auch Essen und Kleidung an die unverschuldet verarmten Mitbürger aus. So sah Amsterdam um 1626 aus: einerseits eine Herrschaft der oberen 5000 Reichen, andererseits zahllose arme Menschen, die sich nur mit schlecht bezahlten Arbeiten über Wasser halten konten.

Der Aufstieg des beschaulichen Fischerdorfs Amsterdam zum europäischen Zentrum des Welthandels geschah binnen weniger Jahrzehnte. Die Wirtschaft boomte, die Einwohnerzahl wuchs rasant von 30 000 auf 210 000, trotz des 80-jährigen Krieges gegen die spanische Herrschaft (1568-1648). Doch die Amsterdamer waren klug genug, ihre katholische Regierung zu stürzen und zugleich den Hafen von Antwerpen für lange Zeit zu blockieren – so war der eigene Erfolg garantiert. Treibende Kraft war die eigene Ostindien-Kompanie, die ein Kolonialreich schuf, folglich mit Sklavenhandel und Ausbeutung reich wurde.

Rembrandts „unstillbarer Hunger nach Wirklichkeit“

Dennoch bleibt diese Epoche für Jochen Sander das „Goldene Zeitalter der Malerei“, so der Kurator des Frankfurter Städels, da sie für das Florieren der Kunst sorgte. Sie brachte Rembrandt hervor, den wichtigsten niederländischen Künstler des Barock, sie sorgte zudem in Amsterdam für eine jährliche Produktion von 70 000 Gemälden. Allerdings geht es Sander um einen differenzierten Blick, er fragt: „Wie golden war dieses ‚Goldene Zeitalter’ für die Menschen abseits der reichen Oberschicht?“

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Hansdieter Fronz
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Da fügt es sich gut, dass Amsterdams historisches Museum längere Zeit wegen Sanierung und Erweiterung geschlossen bleibt. Jetzt werden sogar die selten auf Reisen gehenden Kunstwerke großzügig verliehen – das Haus ist Hauptleihgeber der Städel-Schau. Das Amsterdam Museum besitzt nämlich eine riesige Sammlung an repräsentativen Gruppenporträts, die im 16. Jahrhundert aufkamen und rasch Mode wurden. Die rund 100 Werke umfassende Schau lockt mit dem Titel „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“, nutzt also seinen Ruhm, um weniger bekannte Künstler vorzustellen. Vom Meister selbst sind nur wenige Gruppenbilder zu sehen, dafür aber etliche Druckgrafiken. Rembrandt zeichnete als einer der wenigen Künstler seiner Zeit auch Bettler, Kranke oder Erhängte. Er kam 1631 von Leiden nach Amsterdam und stieg binnen kurzer Zeit zum Lieblingsmaler der Elite auf.

Nicht im Städel zu sehen ist sein Hauptwerk von 1642, die „Nachtwache“ der Amsterdamer Bürgerwehr. Das Gemälde ist so fragil, dass es nicht das Museum verlässt – derzeit wird es ohnehin restauriert. Dafür ist Rembrandts kühnes Gruppenbild von Chirurgen mit einem Leichnam zu sehen, der frontal zum Betrachter ausgerichtet ist. Für Sander ist das ungewöhnlich erzählerische Bild „ein Fest der Malerei“. So beleuchtet die Schau überraschend viele Licht- und Schattenseiten der Epoche.

Beim Rundgang zeigt sich, dass Gruppenbilder typisch für die Zeit waren. Die größten Formate hatten die Schützengilden, die sich aus der Oberschicht speisten, da sich niemand sonst diese Waffen leisten konnte. Noch heute gibt es zahllose dieser Bilder mit teils steif dastehenden Männern, teils auch mit vielerlei Objekten ausgestattet oder zum Festmahl versammelt. Das Prekariat indes war nicht bildwürdig, nur für Rembrandt – „er hatte einen unstillbaren Hunger nach Wirklichkeit“, so Sander.

Einige der Gruppenbilder verraten dennoch bei genauem Hinsehen mehr, etwa Jürgen Owens „Die Regenten des Bürgerwaisenhauses“ von 1663. Sechs Männer an einem Tisch, einige Kinder werden hereingeführt. Im Hintergrund ist Claes Heijndrichs, der Buchhalter des Waisenhauses, zu sehen. Er hält in seinen Händen das Buch, in dem alle Waisen registriert werden. Einst kam Heijndrichs als sechsjähriger Junge selbst in dieses Waisenhaus – so beweisen die Regenten ihren Erfolg dank der guten Erziehungsmaßnahmen. Für die neuen Kinder ist der Buchhalter ein Vorbild, für den Buchhalter sind die Kinder ein Blick in seine Vergangenheit.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

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