Kunst

Wie Stuttgart den Maler Vittore Carpaccio würdigt

Dass man Carpaccio heute eher als Vorspeise kennt, ist kein Grund für die Staatsgalerie Stuttgart, den frühen Renaissance-Künstler nicht ins Zentrum einer Großen Sonderausstellung des Landes Baden-Württemberg zu stellen

Von 
Hansdieter Fronz
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Eine Besucherin bewundert in der Staatsgalerie Stuttgart Carpaccios Detailreichtum. © Judith Kubitscheck/epd

Stuttgart. Dass der Ursprung des Begriffs Carpaccio in der Kunst liegt – und gemeint ist nicht etwa die Kochkunst, gemeint sind vielmehr die Fine Arts der englischsprachigen Länder –, das dürften heute nur die wenigsten wissen. Doch die in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Venedig kreierte Vorspeise zählt zu den Trivia des Lebens von Vittore Carpaccio (1465-1528). Die kulinarische Spezialität ist schlicht nach dem Maler der Frührenaissance benannt – angeblich weil der Appetizer aus rohem Rindfleisch mit gehobeltem Parmesan seiner Farbpalette, auf der leuchtende Rot- sowie Gelbtöne dominierten, ähnelte. Doch wenngleich die Anekdote den bis in unsere Tage reichenden Ruhm des Carpaccios belegt, dürften den Künstler, der in Venedig geboren wurde und starb, außerhalb Italiens nur noch wenige kennen.

Zumindest ist sein Stern, der zu Lebzeiten so hell strahlte wie der des großen Giovanni Bellini, in der Gegenwart merklich gesunken. Kein Grund für die Staatsgalerie Stuttgart, den Künstler nicht ins Zentrum einer Großen Sonderausstellung des Landes Baden-Württemberg zu stellen. Gut fünfzig Gemälde und Papierarbeiten – neben Werken aus den eigenen Beständen auch hochkarätige Leihgaben aus internationalen Sammlungen – führen in der Ausstellung „Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig“ in die Zeit um 1500.

Vittore Carpaccio erstmals im Zentrum einer deutschen Schau

Gerade auch kulturell gesehen war diese Phase eine Blütezeit Venedigs, in der die Lagunenstadt, die heute unter dem Touristenansturm zu kollabieren droht, im Konzert der europäischen Mächte ökonomisch wie politisch noch in der Ersten Liga spielte. Ausgangspunkt der Schau, die den Renaissancekünstler erstmalig in Deutschland in den Mittelpunkt einer Kunstpräsentation stellt, sind zwei bedeutende Werke Carpaccios aus der Sammlung der Staatsgalerie: die monumentale Altartafel „Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse“ aus dem Jahr 1507 sowie die großformatige Mischtechnik „Martyrium des heiligen Stephanus“ von 1520. Dazu holte man Leihgaben aus verschiedenen Sammlungen, etwa aus dem Rijksmuseum in Amsterdam, der Wiener Albertina oder der Galleria Borghese in Rom.

Die exquisite Madonna mit Kind aus der Washingtoner National Gallery of Art allerdings war offenbar so wenig erhältlich wie das gleichermaßen glänzende Ölgemälde „Christus im Garten Gethsemane“ aus der Scuola di San Giorgio degli Schiavoni in Venedig. Um 1500 gehörte Carpaccio zu den meist beschäftigten Malern der Serenissima. Nicht nur als erfindungsreicher Darsteller religiöser Motive hatte er sich einen Namen gemacht, geschätzt war er auch als Porträtist. Sein frühes „Bildnis eines Mannes mit rotem Barrett“ (die Zuschreibung gilt freilich nicht als gesichert) legt davon ebenso Zeugnis ab wie das vor 1500 entstandene „Bildnis einer Frau“. Zu diesen Porträts gesellen sich Bildnisse von Gentile Bellini, Jacometto Veneziano oder Jan van Scorel.

Carpaccios frühes Meisterwerk ist der neunteilige Leinwandzyklus mit Szenen aus dem Leben der hl. Ursula – der Schutzheiligen der Scuola di Sant’Orsolo, für deren Versammlungshaus gemalt in den 1490er-Jahren. In Stuttgart wird er nicht im Original geboten, sondern in einer verkleinerten Reproduktion.

Carpaccio versetzt die Heiligenlegende aus dem 5. Jahrhundert szenografisch ins Venedig des späten 15. Jahrhunderts: Als Bestandteile der Narration lässt er venezianische Architekturen ebenso einfließen wie Gebräuche des Alltags der Lagunenstadt; ja, er lässt selbst bekannte Zeitgenossen auftreten. Darin ist ein programmatisches Bekenntnis zur Zeitgenossenschaft der Kunst erkennbar, das diesen Zyklus zum Werk des sogenannten „Augenzeugenstils“ macht.

Eindringliche Momente der Zeitgenossenschaft

Zeitlich etwas später liegen Andachtsbilder sowie eine Reihe von Gemälden Carpaccios mit Marienmotiv – insbesondere mit dem Sujet der Madonna mit dem Jesuskind. Die Auswahl wird flankiert von Gemälden dieses Motivs insbesondere von Giovanni Bellini. Auch hier: Augenzeugenstil. So lässt Carpaccio seine „Geburt Mariens“ (um 1502/1503) aus dem Albanesi-Zyklus in den Räumlichkeiten eines venezianischen Patrizierhauses spielen.

Nicht zuletzt auch das „Martyrium des heiligen Stephanus“ nach der Apostelgeschichte und den mittelalterlichen „Legenda aurea“ enthält Momente der Zeitgenossenschaft. Die da den Heiligen steinigen oder Zeugen seiner Hinrichtung sind, tragen Turbane oder die Kleidung deutscher Landsknechte. Darin spiegeln sich politische Bedrohungen Venedigs um 1500 – die Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich und mit der von Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation angeführten Liga von Cambrai.

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