Mannheim. Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat bei seiner "Mannheimer Rede" am Dienstagabend im voll besetzten Schauspielhaus des Nationaltheaters (NTM) die Kultur als das bezeichnet, "was unsere Gesellschaft zusammenhält". Es seien nicht das Geld, nicht die Wirtschaft, nicht die Politik, nicht militärische Machtmittel.
Mit Kultur meinte Lammert das Mindestmaß an Erfahrungen, Orientierungen und Überzeugungen, die über Generationen gewachsen und fortgeschrieben werden. "Dies gilt für alle existierenden Gesellschaften, bei allen Unterschieden."
Der 69-Jährige sagte, es gebe Begriffe, die zur Verdeutlichung dessen, worum es geht, nur begrenzt geeignet seien – ohne die aber notwendige Debatten gar nicht stattfänden. "Leitkultur ist ein schwieriger Begriff für eine unbequeme, aber überfällige, unvermeidliche Debatte", sagte Lammert weiter.
Jede aufgeklärte Kultur werde sich selbst nicht für die einzige, einzig mögliche, allen anderen überlegene Kultur halten. Leitkultur beanspruche nicht, überall in der Welt für alle zu gelten, so Lammert. "Jede Kultur, die sich selbst ernst nimmt, ist insoweit eine Leitkultur."
Lammert: "Verfassungen definieren Verbindlichkeiten"
Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung sprach auch über den Zusammenhang von Kultur und Staat: "Verfassungen definieren Verbindlichkeiten, die der Staat gegenüber der Gesellschaft durchzusetzen hat." Es gebe keine Rechtsnormen, die vom Himmel fallen, so Lammert. Die Begründung für die Erlaubnis wie für das Verbot sei im Kern immer kulturell.
Als Musterbeispiel für diesen Zusammenhang zog er das Grundgesetz heran. "Gleich der erste Artikel dieser Verfassung beginnt mit einem hochideologischen Bekenntnis: Die Würde des Menschen ist unantastbar." Würde eine Verfassung im Allgemeinen und unsere Verfassung im Besonderen empirische Tatsachen festhalten wollen, müsste dieser Satz lauten: "Die Würde des Menschen ist antastbar. Nirgendwo ist dieser Nachweis gründlicher erbracht worden als in unserer Gesellschaft", so der Politiker.
"Norbert Lammert hat eine starke und gute Rede gehalten", sagte Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD). Er habe den Begriff der Leitkultur als zentralen Orientierungspunkt aus unserer Verfassung hergeleitet. Lammert stellte sich nach seiner Rede der Diskussion mit Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski und SRH-Chef Christof Hettich.
Die Karten für die Veranstaltung im Schauspielhaus waren sehr schnell vergriffen. Das Nationaltheater hatte deshalb eine Live-Übertragung der Rede im Theater-Café für 100 weitere interessierte Gäste möglich gemacht.
Der CDU-Politiker Norbert Lammert (69) war von 2005 bis 2017 Bundestagspräsident und hatte somit das zweithöchste Staatsamt inne. Die "Mannheimer Reden" ins Leben gerufen hat NTM-Intendant Burkhard C. Kosminski mit Christof Hettich vom Bildungs- und Gesundheitsdienstleister SRH (Heidelberg). Vor Norbert Lammert waren Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der Mannheimer Filmproduzent Nico Hofmann zu Gast. Die Reden sollen eine Wertedebatte anstoßen. Der "Mannheimer Morgen" ist Medienpartner.
Wer die nächste „Mannheimer Rede“ halten wird, ist noch offen. Ebenso ist der genaue Termin dafür noch nicht festgelegt. Sicher ist, dass die Eintrittskarten wieder kostenlos erhältlich sein werden.
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