Kunst

Kosmischer Werdegang: Gerd Reutters "letzte" Ausstellung

Zu seinem 92. Geburtstag zeigt der Keramikkünstler Gerd Reutter in "Werdegang" seine neuen Arbeiten über unseren Planeten. Der Mann mit den Händen in der Erde glaubt, dass es seine letzte Ausstellung sein wird

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Der Künstler Gerd Reutter aus Mannheim ist auch mit seinen 92 Jahren noch immer aktiv tätig. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Eigentlich glaubt er ja, dies sei seine letzte Ausstellung. Gerd Reutter hat immerhin 14. Juli sein 92. Lebensjahr vollendet. Wieso er überhaupt bis jetzt weiter gemacht hat, während andere Leute in dieser Situation sich längst im Pflegeheim langweilen? Der Astrophysiker Stephen Hawking ist schuld - Reutter hat drei Bücher von ihm gelesen und kommt nicht mehr los von einer kosmischen Perspektive.

Und so ist seine Geburtstagsschau „Werdegang“ nicht nur der (vermeintliche) Schlusspunkt über sein eigenes Schaffen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Erde von ihrer Entstehung vor 4,6 Milliarden Jahren über ihre physische Formgebung unter anderem durch Asteroideneinschläge, über die Entstehung des Lebens bis hin zum Auftauchen des Menschen und der Megalithkultur von Stonehenge. Den ruinösen Zustand der Gegenwart hat er wohlweislich ausgeklammert.

In Stein gemeißelte Evolution

Man muss sich vergegenwärtigen, dass Reutters Schaffensmaterial, der Ton, Teil der Erde selbst ist und dass kein anderer Werkstoff so nah gerade an diesem Thema sein könnte. Es sind urkeramische Möglichkeiten, die Erde als rote Feuerkugel erscheinen zu lassen, Tiefseeschlote als Urformen von Lebensmöglichkeiten zu zitieren, das Auseinanderreißen der Kontinente durch einen Asteroideneinschlag zu verdeutlichen, an die Höhlenmalereien vor 20 000 Jahren, an die Entwicklung zur Sesshaftigkeit zu erinnern und schließlich Ritualorte wie Stonehenge zu beschwören. Es sind nicht nur Entwicklungsstufen des Planeten und des Lebens, sondern es sind Entwicklungen, die aus dem Material „Erde“ selbst entstanden.

Nie erlöschendes Interesse

Die leider nur kurzfristige Schau in Reutters Ausstellungsraum in der Kleinfeldstraße umfasst über die jüngsten Arbeiten hinaus natürlich zahllose Beispiele aus seinem künstlerische „Werdegang“ seit 1991, dem Jahr, in dem er seine bürgerliche Existenz aufgab zugunsten der Kunst. Der Schauraum ist ein einziges Dokument für Reutters nie erlöschendes Interesse an den archaischen und bis heute existenziellen Bedingungen des menschlichen Lebens, an Grundsatzthemen wie Behausung und Zerstörung, Verbindungen und Brüchen, Aufstieg und (Um-)Sturz - Bedingungen, die bis in die politische Realität der Gegenwart gelten.

Aber wenn er nun die Erde nicht nur als unseren Lebensraum, sondern auch als Himmelskörper sieht, dann wären da ja noch eine Menge anderer Himmelskörper aus durchaus ähnlichem Material um uns herum, Körper, die mitunter sogar auf uns heruntersausen… Reutters „Werdegang“ kann mit dieser Schau also wohl nicht ganz zu Ende sein.

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Die Mannheimer Stiftung Künstlernachlässe hat den Vorlass von Reutters Lebenswerk unter ihre Fittiche genommen und damit fast 500 Werke gesichert. Vorstandsmitglied Christine Schumann wird bei der Eröffnung die Einführungsrede halten.

Die Schau "Werdegang" (Kleinfeldstraße 50, Mannheim) wird am Samstag, 22. Juli, um 15 Uhr eröffnet und kann danach täglich von 15-18 Uhr bis einschließlich 30. Juli besucht werden.

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