Schauspiel

Klug, schräg, knackig: Wiener Sisi-Revue begeistert im Pfalzbau Ludwigshafen

Rainald Grebe hat als Regisseur eine Revue auf die Bühne des Wiener Volkstheaters - und nun des Pfalzbaus - gestellt: "Ach, Sisi - 99 Szenen" ist ein bizarres wie köstliches Theater-Feuerwerk

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Die Staatsopernloge als Rundfunkstudio: Anna Rieser (l.) und Christoph Schüchner sprechen und singen über Kaiserin Elisabeth von Österreich. © Marcel Urlaub

Ludwigshafen. „Oh je, Sie Armer! Das wird bestimmt furchtbar kitschig“, kommentiert eine Nachbarin mitleidig meine Antwort auf ihre Frage „Wohin des Wegs?“ Den Weg in den Pfalzbau Ludwigshafen unternommen zu haben, verdient keinesfalls Bedauern. Dafür sorgen dort an zwei Abenden der maliziös-launige, mit allen kabarettistischen Wassern gewaschene Rainald Grebe und das spiel- wie sangesfreudige Ensemble des Wiener Volkstheaters.

Freilich, wo „Sisi“ drauf steht, ist auch Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn drin, nur eben nicht so, wie man beim ersten Schreck vermuten möchte. Man kann in die Kitschfalle tappen („Sisi! Franzerl! Sisi! Franzerl!“) oder eines von hunderten historischen und belletristischen Büchern über die einstige Prinzessin aus Possenhofen lesen. Man kann aber auch Heimat-, Spiel- und Zeichentrickfilme oder Musicals über sie machen oder eben: alles zusammen. Diesen Weg ist Grebe mit seiner Revue „Ach, Sisi – neunundneunzig Szenen“ gegangen.

Köstliche Wiener Melange

Entstanden ist somit eine Melange aus Wissen, Halbwissen, Klischees und Rezeptionsgeschichte, die man „wienerischer“ nicht hätte frisch aufbrühen können. Wie bei der historischen Figur überlagern sich an diesem pausenlosen Abend in „Rheingold-Länge“ von 140 Minuten all diese Aspekte. Wer war Elisabeth privat, historisch, psychoanalytisch, literarisch für die Welt, das damalige und das heutige Österreich?

Zugegeben, die Antwort könnte länger als 2 Stunden zwanzig dauern. Und doch hätte gegen Ende, auf die eine oder andere Idee – etwa die Übertragung ihres unsteten Flüchtens von Ort zu Ort auf ein durch Tourneen geprägtes Künstlerleben oder eine mehrfach neuangesetzte Schlussszene – durchaus verzichtet werden können. Mehr gibt es aber an diesem wundervollen Abend wahrlich nicht zu mäkeln – und er funktioniert so: Links und rechts einer riesigen wie dramatischen Hofburgtür hat Bühnenbildner Jürgen Lier zwei Hoflogen gestellt, aus denen eine Radiosendung mit Gästen aus Sisis Leben übertragen wird.

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Vom Rittmeister, Haushofmeister oder Friseur über den Ungarisch-Lehrer (köstlich!), den kaiserlichen Vorleser, die Kammerzofe oder Hofdame bis zur ach so bösen Schwiegermutter Erzherzogin Sophie. Die im Radioprogramm dazwischen gespielten „Songs“ werden von Simon Frick, Christoph Haritzer und Jens-Karsten Stoll (Komposition) live und links außen gespielt und schwingen walzerfrei irgendwo zwischen Paul Dessau, Kurt Weill, Georg Kreisler – und eben Rainald Grebe.

Das ist oft schräg, laut und komisch, aber eben auch poetisch-grotesk oder politisch wirr. Kein Wunder, stammen die Liedtexte wenn auch nicht von Brecht oder Heine, so doch immerhin von Ihrer rätselhaften Majestät höchstselbst. Sisis Gedichte aus den Jahren 1886-1889 geben nicht minder starken Einblick in ihr Seelenleben wie ihre Zeitgenossen. Gesungen wird mal einzeln, mal zusammen und das beim Steckenpferd-Lipizzaner-Training, auf der Suche nach Sisis geliebtem Veilchen-Eis oder beim Nachspielen der Sterbeszene am Genfer See.

Dort bekommt natürlich auch der Mörder und Anarchist Luigi Lucheni künstlerisch eine gelungene theatralische Portion Verständnis mit: „Unter anderen Umständen hätten sich Sisi und ihr Mörder sicher gut verstanden.“ Dazu kommt das Backstage-Geschehen einer „Elisabeth“ Musical-Aufführung sowie Ernst Marischkas alle Bilder überlagernde „Sissi“-Trilogie mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm. Die werden beide natürlich auch gleich mitverarbeitet, logisch, weil rezeptionsgeschichtlich und kulturhistorisch zwingend. Zwischen Film, Musical und historischen Fotos oder Gemälden glänzen Kristina Böchers abgespeckte Kostüme dazu atmosphärisch sensibel.

Die Lust am K&K -Titel

Vom Winterhalter-Gemälde mit Stern-Brillanten, Wiener Stadtarchitektur, Gerüchten und Gerichten, also Mehl- und Leibspeisen, ist ebenso quicklebendig und skurril die Rede wie von millionenschweren Reisekostenabrechnungen einer mit Republik und Anarchie kokettierenden Monarchin, die mit 72-köpfigem hofstaatlichem Gefolge reist.

Lustvoll hingehauchte Titel der K&K-Ära („Hoftafeldeckergehilfe“ oder „Oberhofzuckerbäcker an den Kredenzen“, grrr), pathetisches Glockenläuten und Opernball-Geschwärme blinzeln dabei ironisch ins Österreich der Gegenwart. Ebenso wie die Dauerwerbesendung mit Sisi-Devotionalien-Nippes, der als Tourismus- und Wirtschaftsfaktor noch heute von Schönbrunn bis Gödöllö und Korfu die Pferdchen am Laufen hält.

Um absolute Wahrheit geht es dieser Wiener Melange nicht, sie ist eine Annäherung, die nicht anklagt, nicht denunziert, nicht wertet. Und ein Abend, der zeigt, was Theater kann: unterhalten, verzaubern, verwundern, bilden und begeistern – kurz: ein anarchistisches Meisterwerk, bei dem man sich königlich amüsieren kann. Großer Applaus.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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