Ludwigshafen. Auf seine Vergangenheit in Form der Mitgliedschaft in einer richtungsweisenden Elektropopband wird er immer wieder angesprochen, schon seit über 30 Jahren: Damals ließ Karl Bartos Kraftwerk hinter sich. Aber die alte Mitgliedschaft ist längst zu einem Aufkleber geworden, der auf Plattenhüllen und Konzertplakaten prangt. Das kann auch nützlich sein - ein Kapital, ein Markenzeichen, das die künstlerischen Auftragsbücher füllen hilft.
Im Februar hat Bartos eines seiner ehrgeizigsten Vorhaben zur Uraufführung bringen können: seine Neuvertonung zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“, einem legendären Stummfilmklassiker von 1919/20. Nun stellt er sie auch in Ludwigshafen vor, es handelt sich dabei um eine Kooperation des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg mit der BASF-Kulturabteilung. Das Event im prächtigen Konzertsaalsound hat seinen Ort im Feierabendhaus.
Der 72-jährige Karl Bartos, unterstützt von seinem künstlerischen Kompagnon Mathias Black (der führt die Klangregie), steht hinter einer breiten Front von Tischen mit Computerbildschirmen. Wie einst bei Kraftwerk. Aber hinter ihm hängt auch die große Filmleinwand, auf der „Das Cabinet des Dr. Caligari“ läuft.
Die Bilder sind erstaunlich tiefenscharf im hochauflösenden 4K-Verfahren restauriert worden. Da hat die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung ganze Arbeit leisten lassen. Die verzerrten Perspektiven des gemalten Setdesigns mit seinen manchmal dreieckigen Türen faszinieren immer noch. Ein städtischer Beamter etwa sitzt auf einem hohen Ross beziehungsweise Holzpfahl. Das wirkt kafkaesk.
Die starke Akzentuierung der Musik schränkt die filmische Wirkung ein
Und Bartos’ Filmmusik? Die drängt sich diesen Bildern ganz schön auf, ist reichlich plakativ. Eine Art Selbstermächtigung. Der Komponist möchte „hineinzoomen in jede Filmsekunde“, wie er sagt. „Hineinzoomen“ jedoch vergrößert alles, hauptsächlich die Lautstärke: Der erste Auftritt Cesares, des mörderischen Somnambulen, wird mit einem hämmernden Fortissimo vertont. Und unter Mezzoforte macht es Bartos nie.
Man wünschte sich, er würde viele der Sequenzen einfach um ein Stück herunterregeln - um rund 15 Dezibel, in grober Schätzung. Filmischer Expressionismus muss für die Musik nicht automatisch Lautstärke bedeuten, möchte man dem Komponisten zurufen. Aber er hört es nicht.
Konzeptionell macht seine Arbeit Eindruck, er erschafft hier eine durchgängige und hoch aufragende Klanglandschaft aus quasi-orchestraler, aber vollsynthetisch generierter Filmmusik und Sounddesign. Bei Letzterem geht es vor allem um die Nachvertonung von „natürlichen“ Geräuschen, wie dem Knarzen einer Tür oder dem punktsynchronen Nachstellen der Schrittsequenzen der Figuren auf dem Weg durch all die künstlichen Kulissen. Auch das schmutzige Gelächter Dr. Caligaris kommt zur Klanggestalt. Und sogar ein paar Wortfetzen hat Bartos eingebaut. Er macht den ersten Psychothriller der Geschichte fast zum Tonfilm.
Für die Schlusssequenz, die die Ereignisse in einer orientierungslosen Zeit aus der realen Gegenwart herauslöst und als Fiebertraum von Irrenhaus-Patienten deutet, sind die „Caligari“-Macher oft gescholten worden. Auch Karl Bartos‘ Filmmusik misstraut ihr und erfindet dazu eine (Orgel-) Drohkulisse im Fortissimo. Ein Happy End klingt anders.
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