Kabarettkritik

Kabarettist nennt in Mannheim Generation Z „wehleidiger als ein Glasknochenträger beim Pogo“

Mathias Tretter erntet in der Klapsmühl’ am Rathaus mit dem sehr unterhaltsamen Programm „Sittenstrolch“ viele Lacher á la Dieter Nuhr

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Mathias Tretter bekommt in der Klapsmühl` viel Szenen und großen Schlussapplaus. © Klotz

Mannheim. Mathias Tretter hat sie seit 2003 fast alle gewonnen: den Deutschen Kleinkunstpreis, den Deutschen und den Bayerischen Kabarettpreis sowie Stiere, Besen, Kakteen, Scharfrichterbeile, Löwenzähne oder wie die renommierten Auszeichnungen in seinem Metier so heißen. Trotzdem kann der gebürtige Würzburger froh sein, dass er nicht so populär ist, wie Dieter Nuhr: Sonst würden aus dem Kontext genommene Teile seines Programms „Sittenstrolch“ ähnliche Proteststürme auslösen wie die identitätspolitische Trotzphase des Düsseldorfer Comedy-Stars. Nach fast jeder „Nuhr im Ersten-Sendung läuft die blaue Twitter-App rot an vor Wut und Nuhr gilt – absurderweise – bei manchen als rechtsextrem und wissenschaftsfeindlich.

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Von daher ist es fast mutig, dass Tretter sich über weite Strecken seines Auftritts am Freitagabend über Befindlichkeiten („wehleidiger als ein Glasknochenträger beim Pogo und sie tragen es auch noch vor sich her“), Moralismus und totalitär anmutenden Furor der identitätspolitisch schnell zumindest mikroverletzten Generation Z/Woke/Milennial lustig macht. Schon seine Existenz sei eine Zumutung, behaftet mit der Erbsünde: Der Wahl-Leipziger ist ein alter, weißer Mann. „Das ist schon nicht mehr gut zu machen. Und dann noch heterosexuell – man kann’s auch übertreiben“, spottet der 51-Jährige, der u.a. in Heidelberg Germanistik und Anglistik studiert hat.

Lacher über Identitätspolitik

Interessant: Das klassische Kabarettpublikum der Klapsmühl’ (überwiegend mindestens im Boomerinnen-Alter, eher linksliberal und politisch überdurchschnittlich interessiert) demonstriert mit Applaus und explosiven Lachern überwiegend Unverständnis über die Ansprüche ihrer Enkelgeneration zwischen Klimaklebern und Gender-Aktivisten. Was nach dem kontraproduktiven Sombrero-Eklat der Mannheimer Buga ein weiterer Beleg dafür ist, dass völlig berechtigte Anliegen wie Klimaschutz, Gleichberechtigung oder Antirassismus klüger kommuniziert werden müssen.

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Von
Lisa Uhlmann
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Natürlich bekommt Tretters durchaus auch populistischer Ansatz keinen so wuchtigen Parteitagsapplaus wie etwa von Mario Barths 10 000 Fans in der ausverkauften SAP Arena. Gut, zum fernsehbekannten vielfach ausgezeichneten Tretter sind auch nur 0,8 Prozent davon gekommen. Normalerweise sind seine Auftritte voll. Aber am Freitag fordern schönes Wetter und Stadtfest offensichtlich ihren Tribut. Zumal er im Januar schon einen Auftritt im Seckenheimer Palü hinter sich hat.

"Rassen-Bingo" der Polizei

Tretter, bei dem Parteipolitik inzwischen eher eine Nebenrolle spielt, kann es erfreulicherweise auch in die andere Richtung. Etwa wenn er „Racial Profiling“ als „Rassen-Bingo“ der Polizei abkanzelt. Wenn man hinter einem Afrikaner herlaufe, seit das wie eine Tarnkappe, ätzt er leider oft treffend: Da könne man mit vom Kokain weißgesprenkelter Nase, einem Rucksack voller Betäubungsmittel und einer vom Gemächt baumelnden Stange Dynamit nackt durch den Bahnhof laufen – „die würden immer den kontrollieren“. Handwerklich laufen die gut 90 Minuten auf hohem Niveau. Tretters Stil ist eher bedächtig, auch in Sachen Gestik und Mimik. Aber wehe, wenn er in Fahrt kommt: Dann wird es rasant, brillant und oft böse. Was für Szenen- und großen Schlussapplaus sorgt.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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